(Registrieren)

DER STANDARD-Kommentare "Die Feigheit vor dem Wähler" von Petra Stuiber

Geschrieben am 17-07-2012

Politiker befragen lieber das Volk, statt selbst zu entscheiden
- zum eigenen Schaden // Ausgabe vom 18.7.2012

Wien (ots) - Michael Häupl ist seiner Koalitionspartnerin Maria
Vassilakou nicht in den Rücken gefallen. Er hat im letzten Moment die
Kurve gekratzt und das mit der Volksbefragung doch noch so
hingebogen, dass ihm die Grünen keinen Bruch des
Koalitionsübereinkommens vorwerfen können. Das ist immerhin etwas.
Mehr, als man von seinem Grazer Amtskollegen Siegfried Nagl behaupten
kann: Der schwarze Bürgermeister hat seine Koalition mit den Grünen
gesprengt und sich in eine überstürzte Volksbefragung, unter anderem
zu Umweltzonen, hineintheatern lassen. Nagl war, als Vater selbst
besorgt wegen der schlechten Luftqualität in Graz, für die Einführung
von Umweltzonen, gab aber dem Druck der ÖVP-Wirtschaftslobby nach und
war plötzlich für eine Volksbefragung. Und, Überraschung,
Überraschung, es fand sich eine satte Mehrheit, die gegen die
Umweltzone war. Das hat man davon, wenn man "direkte Demokratie" sagt
und Feigheit vor dem politischen Gegner meint.
Eine alte kommunikationstheoretische Binsenweisheit besagt, dass es
leichter ist, negative denn positive Emotionen zu schüren - und in
Zeiten von Facebook-Gruppen und Twitter-Shitstorms gilt das doppelt
und dreifach. Es braucht nur ein paar einprägsame Schlagworte, eine
klare Botschaft plus ein paar Reizwörter (Autofahrer! Melkkuh der
Nation!), und schon hat man die gewünschte breite Ablehnungsfront
beisammen. Die FPÖ spielt seit Jahrzehnten Wahlkampf auf dieser
Klaviatur.
Anders als Nagl in Graz war die ÖVP in Wien gleich geschlossen gegen
die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung - gemeinsam mit der FPÖ.
Alternativen? Fehlanzeige. Das focht 150.000 Wiener freilich nicht
an, sie unterschrieben eifrig pro Volksbefragung. Schließlich ging es
um des Österreichers liebstes Spielzeug, das Auto - für viele Wähler
noch immer eine Frage von demonstriertem Wohlstand und Prestige. Das
mag Michael Häupl daran gehindert haben, sich gleich entschlossener
hinter das im Koalitionspakt besiegelte Parkraum-Projekt zu stellen.
Wirklich geholfen hat das nicht, die inneren Widersprüche in der
Wiener SPÖ zwischen Reformern und Traditionalisten wurden so erst
recht offensichtlich.
Die von Rot-Grün nunmehr angesetzte Volksbefragung, zwei Monate nach
Einführung der neuen Parkpickerl-Zonen, wird die Kritiker kaum
besänftigen. Aber es wäre nicht die Wiener SPÖ, wüsste man nicht
selbst ganz gut, wie man mit Volkes Meinung jongliert. Vor der
letzten Wien-Wahl wurden die Bürger plötzlich zu vormaligen
No-go-Themen befragt, etwa zur Nacht-U-Bahn - die mirnixdirnix auch
gleich eingeführt wurde.
Mit echter direkter Demokratie hat das freilich auch wenig zu tun.
Wer Politik macht, muss genau unterscheiden, in welchen Situationen
die Meinung der Bürger einzuholen ist.
Große Zukunftsthemen, etwa ein Mega-Bahnhofsprojekt (Stuttgart 21)
oder die (An-)Schaffung eines neuen Stadtteils in Graz
(Reininghaus-Gründe), sind anders zu bewerten als Verkehrsberuhigung
in Wiener Bezirken oder gesundheitspolitische Maßnahmen zur
Verbesserung der Grazer Luft.
Politiker wurden dafür gewählt, auch unpopuläre Entscheidungen zu
treffen. Wer lieber bei jedem Streit "das Volk" fragt, muss damit
leben, dass dieses auch mitunter falsche Entscheidungen trifft und
Weitblick vermissen lässt - Verführung durch Populisten inbegriffen.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

407169

weitere Artikel:
  • Märkische Oderzeitung: Kommentarauszug zur HIV-Pille: Frankfurt/Oder (ots) - Dass Menschen im Westen sich schon jetzt kaum Sorgen um diese Seuche machen müssen, aber es im südlichen Afrika und Osteuropa Millionen Infizierte gibt und Tausende Tote, das ist ein Skandal. Die neue Pille wird den Menschen in armen Ländern auch nicht helfen, dafür ist sie viel zu teuer. Das eigentliche Wunder wäre, wenn die Seuche dort endlich gestoppt würde. Dafür braucht es bezahlbare HIV-Medikamente, funktionierende Gesundheitssysteme und Aufklärung der Bevölkerung. Pressekontakt: Märkische Oderzeitung mehr...

  • Märkische Oderzeitung: Kommentarauszug zur Klage Bayerns gegen den Länderfinanzausgleich: Frankfurt/Oder (ots) - Aber Seehofer weiß, dass es, erstens, feste Regeln gibt, die bis 2019 gelten - und denen er selbst einst zugestimmt hat -, und dass, zweitens, Änderungen für die Zeit danach auch wiederum nur im Konsens zu erzielen sind. Dennoch schiebt er - die Landtagswahl 2013 im Blick - eine Riesenwelle an. Dabei ist alles, was er mit seiner Klage erreichen kann, dass er die Gespräche da fortsetzen muss, wo er sie jetzt abgebrochen hat. Pressekontakt: Märkische Oderzeitung CvD Telefon: 0335/5530 563 cvd@moz.de mehr...

  • Märkische Oderzeitung: Kommentarauszug zu Joseph Blatter und die FIFA: Frankfurt/Oder (ots) - Der setzt wieder mal auf das bewährte Aussitzen, und das klappt bestens. Nicht umsonst nennt man ihn "Teflon", an dem alle Vorwürfe abperlen. Der Fan hat von den hohen Funktionären die Nase voll, traut ihnen jede Sauerei zu. Jetzt soll es eine Ethik-Komission, angeführt von einem deutschen Staatsanwalt, richten. Die Hoffnung, dass sie wirklich frei arbeiten kann, alle Missstände aufdeckt und alle Übeltäter zur Verantwortung zieht, ist zwar gering, aber sprichwörtlich stirbt die Hoffnung zuletzt. Pressekontakt: mehr...

  • Frankfurter Neue Presse: Überfrachteter Fußball, überforderte Politik. Georg Haupt über die Entwicklungen rund um unserem Lieblingssport. Frankfurt am Main (ots) - Der Fehler steckt wohl im System. Fußballerische Großereignisse, erst recht solche in der Form von Weltmeisterschaften, sind längst zu nationalen Prestigeobjekten geworden, bei denen Regierungschefs auf der Ehrentribüne herumhüpfen oder wahlweise die Tränen rollen lassen. Wenn ganze Nationen "Sommermärchen" feiern wollen, sind Störungen unerwünscht. Das bereitet den Boden für Auswüchse, wie sie jetzt ans Tageslicht kommen. Fair Play, das war einmal, die Wirklichkeit heißt Korruption.Und noch sind die Akten mehr...

  • Berliner Zeitung: Zum Länderfinanzausgleich: Berlin (ots) - Seehofer wäre nicht Seehofer, wenn er die Chance für diese populistische Aktion ungenutzt verstreichen ließe. Im Herbst 2013 wird ein neuer Landtag gewählt, und dass die fleißigen Bayern nicht weiter für die faulen Saupreißn in Berlin zahlen wollen, kommt in den Bierzelten gut an. Da kann man dann auch unter den Stammtisch fallen lassen, dass Bayern 40 Jahre Nutznießer dieses Solidarsystems war. Was Seehofer tut, ist brandgefährlich. Denn alle Länder brauchen gerade in den kommenden Jahren Planungssicherheit, mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht