(Registrieren)

Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum ESM-Verfahren

Geschrieben am 10-07-2012

Bielefeld (ots) - Welch Last für den gebürtigen Detmolder Andreas
Voßkuhle: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts ist mit seinen
sieben Richterkollegen des Zweiten Senats aufgerufen, zu entscheiden,
ob der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) mit dem Grundgesetz
vereinbar ist. Vorerst geht es zwar nur um eine Eilentscheidung, doch
diese Einschränkung gilt vielen in den Turbulenzen der Euro-Krise
schon fast als juristische Spitzfindigkeit. So kann man noch so oft
betonen, dass eine Eilentscheidung nicht zwingend etwas über das
Urteil im Hauptsacheverfahren aussagt - es will kaum einer hören.
Endgültiger als dieses Mal dürfte eine vorläufige Entscheidung nie
verstanden werden. Der Druck ist riesig. Doch bleibt den Richtern in
den roten Roben womöglich nur die Wahl zwischen Pest und Cholera?
Entweder Europa fortschreiben und das Grundgesetz opfern oder das
Grundgesetz verteidigen und Europa riskieren. Zwar ist es die
ureigene Aufgabe Karlsruhes, über den Umgang der Politik mit der
Verfassung zu wachen. Beim ESM-Entscheid aber könnten die
Verfassungshüter wie selten zuvor selbst Politik machen. So mangelt
es an Mahnungen und Warnungen nicht, und nicht wenige lassen dabei
den nötigen Respekt vor dem höchsten aller deutschen Gerichte, dieser
ganz besonderen Errungenschaft der Bundesrepublik, vermissen.
Politiker warnen vor einem Scheitern des ESM, wenn ausgerechnet
Deutschland den Vertrag nicht ratifizieren würde. Manche sehen für
diesen Fall nicht nur die Euro-Zone, sondern das Haus Europa in
Gefahr. Auch die Finanzakteure in aller Welt blicken gebannt nach
Karlsruhe. Eingeklemmt zwischen den politisch Mächtigen und den
scheinbar allmächtigen Märkten - das wirft die Frage auf: Ist das
Verfassungsgericht wirklich frei in seiner Entscheidung? Frei, obwohl
die Richter doch bei einem »Nein« zum ESM um die möglichen
Konsequenzen wissen - ja, sie ganz sicher nicht minder fürchten
müssten als jeder andere Europäer. Frei, obwohl sie bei einem »Ja« an
sich selbst zweifeln müssten? Waren sie es doch, die mit ihrem
Lissabon-Urteil 2009 nach eigener Aussage eine »rote Linie« gezogen
hatten. Und Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle selbst hatte im
vergangenen September mit Blick auf die weitere europäische
Integration erklärt: »Ich denke, der Rahmen ist weitgehend
ausgeschöpft.« Gibt also das Gericht mit seinem Urteil wenn nicht den
Euro, so doch sich selbst auf? Oder findet Karlsruhe einen anderen,
einen dritten Weg? Einen Richterspruch, der es der Politik erlaubt,
weiter an Europa zu bauen, sie aber zwingt, den Kerngedanken der
Demokratie, die Herrschaft des Volkes, wieder stärker in den Blick zu
nehmen? Wenn ja, wären Andreas Voßkuhle und seine Kollegen zu
beglückwünschen. Und wir um unser Verfassungsgericht einmal mehr zu
beneiden.



Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

406011

weitere Artikel:
  • Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Rabatt für Schwarzfahrer in Bremen Für Flächenländer kaum geeignet MATTHIAS BUNGEROTH Bielefeld (ots) - Da zucken die Vertreter der Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) unwillkürlich zusammen. Rabatt für notorische Schwarzfahrer? Unvorstellbar, sagen sie. Die Prognose fällt nicht schwer: Dieses Modellprojekt in Bremen wird sich bundesweit kaum durchsetzen. Zu heterogen ist die Struktur der Tarifverbünde in Flächenländern wie Nordrhein-Westfalen, als dass sich hier ein gemeinsamer Weg finden ließe. Und ein solcher Schritt hätte hier auch eine ganz andere Tragweite als in einem Stadtstaat wie Bremen. mehr...

  • Stuttgarter Nachrichten: Kommentar zu Bilanz von Grün-Rot Stuttgart (ots) - Die Einstellung der Wähler zu grüner Politik spiegelt sich in Kretschmanns Spitzenwert nur bedingt wider. Tatsächlich fällt ihr Urteil über Grün-Rot sehr viel zurückhaltender aus. Umso glücklicher können sich die Grünen schätzen, dass sie Kretschmann haben. Wobei unvermeidlich die Frage auftaucht, was sein wird, wenn sie den 64-Jährigen einmal nicht mehr als ihre Nummer eins haben? Das grüne Glück ist kein junges Glück. Die nächste Landtagswahl ist in vier Jahren. Mit oder ohne Kretschmann? Das kann entscheidend mehr...

  • Lausitzer Rundschau: Merkels Zeugnis Bei Karlsruhes Euro-Entscheidung steht viel auf dem Spiel Cottbus (ots) - Das ist weiß Gott keine Gewinner-Situation für das Bundesverfassungsgericht. Der Druck auf die Richter ist immens. Von denen, die mit verheerenden Folgen für den Euro und Europa insgesamt rechnen, sollte Karlsruhe die Ratifizierung von ESM und Fiskalpakt stoppen. Und von denen, die genau das fordern, weil sie die Rechte des Bundestags beschnitten sehen und nicht wollen, dass der deutsche Steuerzahler für die Schulden anderer Länder haftet. Zwischen diesen beiden extremen Positionen muss Karlsruhe jetzt agieren. Ein mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Europa / Fiskalpakt / Bundesverfassungsgericht Osnabrück (ots) - Welche Last, welches Drama! Das Dilemma liegt auf der Hand. Einerseits verlangt das Grundgesetz nach der Förderung Europas. Finanzielle Hilfen gehören dazu. Andererseits haben die Karlsruher Richter auf die Hoheit des Bundestages zu achten. Und Entscheidungen solcher Tragweite, wie sie in der Euro-Krise fallen, verlangen nach einer demokratischen Verwurzelung, die stärker ist als der Betrieb von Rat und Kommission in Brüssel und einer eher abstrakten Veranstaltung namens Europa-Parlament. Dass es eine mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Datenschutz / Meldegesetz Osnabrück (ots) - Tiefes Unbehagen Das Vertrauen in den deutschen Staat ist weit größer als in Unternehmen. Wohl auch deshalb gibt es jetzt eine so weitreichende Empörung über das im Parlament durchgepeitschte Meldegesetz des Bundes. Faktisch sind heute viele Daten frei zugänglich. Sie lassen sich über Telefonbücher oder die Suchmaschine Google in Sekunden herausfinden. Auch geben viele Verbraucher sorglos Namen und Adresse über Gewinnspiele und Preisausschreiben weiter. Und nicht wenige stellen persönliche Angaben auf Facebook mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht