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Landeszeitung Lüneburg: Rettungsschirm ohne Begrenzung / Professor Dr. Thomas Straubhaar hält bisheriges Management in der Euro-Krise für nicht ausreichend

Geschrieben am 14-06-2012

Lüneburg (ots) - Griechenland wählt - und vom Ausgang dieser Wahl
hängt auch die Zukunft des Euro ab. Dabei ist Griechenland ein
kleiner Brocken, mit Spanien und Italien haben zwei
Euro-Schwergewichte finanzielle Schlagseite. Wer noch wie viele
Milliarden Euro benötigt und welchen Weg aus der Krise Europa
einschlägt, sind zwei wichtige Fragen. Bei der Beantwortung dürfe
Deutschland nicht überbelastet werden, warnt die Bundeskanzlerin.
Doch ein Fiskalpakt und ein kleineres Wachstumsprogramm dürften keine
geeigneten Sofortmaßnahmen sein. "Der Rettungsschirm muss so groß
sein, dass er von allen Ländern genutzt werden kann", fordert Prof.
Dr. Thomas Straubhaar im Gespräch mit unserer Zeitung.

Spaniens Banken erhalten Hilfe in Milliardenhöhe, aber die
Regierung erhält keinen Besuch von Sparkommissaren. Ist das eine
Abkehr von bisherigen Vorgehensweisen bei Hilfsaktionen?

Professor Dr. Thomas Straubhaar: Es ist zumindest eine Aufweichung
- und ich denke, dass dieser Schritt nicht in die richtige Richtung
führt. Korrekt wäre es, wenn nationale Regierungen für die
Refinanzierung ihrer Schulden aus dem Rettungsschirm gegen eine
Aufgabe nationaler Autonomie Unterstützung erhalten, die sie dann
auch für eine Sanierung ihrer Banken einsetzen können. Aber dass es
direkt der Rettungsfonds ist, der spanische Banken rekapitalisiert,
halte ich für eine unglückliche Entwicklung.

Ist das Vorgehen im Fall Spanien auch als Zeichen an Griechenland
zu verstehen nach dem Motto: Wer seine Hausaufgaben macht und fleißig
spart, erhält Hilfe ohne Eingriffe in wirtschafts- und
fiskalpolitische Autonomie?

Straubhaar: Dieses Vorgehen weckt Begehrlichkeiten: Griechenland
moniert eine Ungleichbehandlung und fordert, jetzt - wie Spanien -
Geld ohne Auflagen zu erhalten.

Hat Spanien zu lange gewartet mit dem Hilferuf?

Straubhaar: Ganz offensichtlich hat Spanien zu lange geglaubt,
allein die Probleme lösen zu können, um zu vermeiden, nationale
Finanzautonomie abgeben zu müssen. Nun erhält das Land doch Hilfe
ohne Aufgabe nationaler Finanzautonomie - das ist schon ein
Widerspruch.

Nach Ansicht von Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer könnte auch
Italien bald um Hilfe bitten. Die Rettungsschirme würden aber nicht
ausreichen, um Italien zu stützen. Sie haben kürzlich als Signal an
die Finanzmärkte eine unbegrenzte Haftung der Euroländer für alle
Partnerstaaten vorgeschlagen. Wer soll denn das bezahlen können?

Straubhaar: Gerade der Fall Italien zeigt, dass die bisherige
Politik nicht in der Lage ist, die Probleme zu lösen. Wir sind an
einem Punkt, wo wir entweder kehrt machen und eingestehen müssen,
dass die Haftungsübernahme durch die Gemeinschaft gescheitert ist,
denn sie hat nur für kleine Länder genügt, für große hingegen nicht.
Oder wir gehen den eingeschlagenen Weg weiter und machen den
Rettungsschirm so groß, dass er von allen Länder genutzt werden kann.
Italien musste gerade vier Prozent Rendite für die jüngsten
Refinanzierungsgeschäfte bezahlen - und damit fast doppelt so viel
wie vor zwei Jahren. Um solche Entwicklungen zu vermeiden, sollte der
Rettungsschirm so groß werden, dass sich jedes Land praktisch
unbegrenzt Geld zur Refinanzierung leihen kann. Um den Rettungsschirm
mit ausreichenden Mitteln zu versehen, bedarf es einer Banklizenz für
den Rettungsschirm, damit er sich direkt bei der Europäischen
Zentralbank das Geld holen kann.

Warum dann nicht gleich Eurobonds, über die Sie gesagt haben, dies
sei von den schlechten noch möglichen Lösungen die beste?

Straubhaar: In der Tat ist mein Vorschlag nicht so weit entfernt
von der Lösung mit Eurobonds. In beiden Fällen soll es eine
gemeinsame Kasse geben, die überschuldeten Ländern, die nicht mehr
auf dem privaten Kapitalmarkt refinanzierungsfähig sind,
entsprechende Mittel zu einem fixen, erträglichen Zinssatz zur
Verfügung stellt. Bei meinem Haftungsvorschlag würde die Finanzierung
über die Banklizenz und die EZB laufen, bei Eurobonds würden die
einzelnen Länder die Kasse mit Beiträgen alimentieren. Am Beispiel
Italien sieht man bei den Rettungsschirmen, dass sich hier ein Land
verschulden muss, um den Beitrag zur gemeinsamen Kasse leisten zu
können. Dadurch wird Italien ein schlechterer Schuldner, muss höhere
Zinsen zahlen - ein Teufelskreis. Das würde bei meinem
Haftungsvorschlag nicht geschehen. Eine Anmerkung noch zu Eurobonds:
Es ist die Frage, ob man Eurobonds versteht als alleinige
Refinanzierung nationaler Haushalte oder nur als Ergänzung. Ist
Letzteres der Fall, wären Eurobonds nicht so schädlich, wie sie in
Deutschland betrachtet werden.

Aber Vollkasko-Haftung und Eurobonds bedeuten doch in jedem Fall,
dass Deutschland zur Euro-Rettung viel mehr Geld in die Hand nehmen
muss. Droht dann nicht ein Kippen der Stimmung in Deutschland?

Straubhaar: Das ist richtig und das ist auch die große Gefahr. Ein
Stück weit ist die Stimmung schon gekippt, denn die Mehrheit
fürchtet, dass die Euro-Rettung ein Fass ohne Boden wird, dass die
Länder, die unter den Rettungsschirm schlüpfen, nicht in der Lage
sind, ihre Strukturen und damit auch ihre Staatshaushalte zu
sanieren.

Stichwort Strukturen: Sind Hilfen für Griechenland nicht absurd
vor dem Hintergrund, dass Griechenlands oberster Steuerfahnder
kürzlich eingeräumt hat, seinem Staat würden pro Jahr 45 Milliarden
Euro Steuern vorenthalten und schon die Hälfte würde reichen, um
Griechenland aus der Krise zu holen?

Straubhaar: Absolut. Ich denke, dass es im Fall Griechenland gar
nicht mehr um finanzielle, sondern um institutionelle Transfers gehen
muss. Griechenland bedarf eines Steuersystems, einer Verwaltung, die
durchschnittlichen europäischen Standards genügt - davon ist
Griechenland meilenweit entfernt. Also stellt sich die Frage: Was tun
wir in der Übergangszeit, bis Griechenlands "Staatlichkeit"
europäischen Standards genügt? Ich halte es für richtig, dass
Griechenland nur Kapital erhält, wenn es im Gegenzug einen Großteil
seiner Autonomie abgibt.

Betrachten Sie den Ausgang der Wahl in Griechenland am Sonntag
auch als Vorentscheidung für die Zukunft der europäischen
Gemeinschaftswährung?

Straubhaar: Nicht über die Zukunft des Euro, aber über die Zukunft
Griechenlands in der Eurozone. Wenn Griechenland eine linke Regierung
wählt, die zuvor klar gesagt hat, sich nicht an getroffene
Vereinbarungen halten zu wollen, würde ich den Euro-Verantwortlichen
raten, den Geldhahn zuzudrehen. Das wäre eine de-facto-Pleite
Griechenlands mit allen Turbulenzen und Folgen, die für Griechenland
dramatisch wären und auch für die anderen Euro-Länder finanzielle
Folgen hätte. Aber es wäre ein Ende mit Schrecken und nicht ein
Schrecken ohne Ende.

Ist Griechenlands Euro-Aus an den Finanzmärkten nicht schon
eingepreist?

Straubhaar: Das ist eine Frage, die schwer zu beantworten ist. Ich
vermute, dass die meis"ten Finanzakteure in der Tat das Szenario
eines Austritts Griechenlands aus der Euro-Zone für sehr
wahrscheinlich halten.

Was tritt Ihrer Meinung nach schneller ein: Das Auseinanderbrechen
des Eurolandes oder die Schaffung der wirtschafts- und
fiskalpolitischen Einheit im Euroland?

Straubhaar: Das ist schwer zu sagen, aber ich vermute, dass es ein
Wechselspiel geben wird: Ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone
wäre ein Anreiz an die anderen Länder, stärker und schneller mit dem
Fiskal- und Wachstumspakt voranzukommen in Richtung einer
europäischen Zentralisierung. Auf der anderen Seite stellt sich die
Frage, ob diese Zentralisierung schnell genug vollzogen werden kann,
bevor ein weiteres Land wie etwa Portugal oder sogar Spanien entweder
durch die starke Rezession oder die Folgen des Euro-Austritts
Griechenlands in eine ähnlich schwere Lage kommt. Dann bliebe nur zu
hoffen, dass man eine weitere "griechische Tragödie" verhindern kann,
dass die Menschen in Portugal oder Spanien gelernt haben, dass
Vereinbarungen einzuhalten sind, damit sich eine solche "Tragödie"
nicht wiederholt.

Das Interview führte Werner Kolbe



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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