(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Ukraine/Timoschenko von Ulrich Krökel

Geschrieben am 09-05-2012

Regensburg (ots) - Der Gefechtslärm im Fall Julia Timoschenko hat
sich ein wenig gelegt. Mehr als zwei Wochen lang war die Lage durch
den Hungerstreik der inhaftierten Oppositionsführerin, die
EM-Boykottdrohungen aus Berlin und Brüssel und die harte Haltung in
Kiew immer weiter eskaliert. Nun hört Timoschenko auf zu hungern, der
ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch bläst den Ost-West-Gipfel
in Jalta ab, und Deutschland schickt einen Arzt nach Charkiw, statt
auf einer Ausreise Timoschenkos zu beharren. Kurz: Die Schlacht hat
nur Verlierer hervorgebracht. War es das wert? Ja und nein. Ja, weil
sich die europäische Öffentlichkeit sieben Jahre nach der orangenen
Revolution endlich wieder mit einem Land beschäftigt, das eine
zentrale Bedeutung für das Verhältnis zwischen Ost und West hat.
Niemandem in der EU darf es gleichgültig sein, was in dem größten
rein europäischen Flächenstaat des Kontinents geschieht. Das Land
liegt vor unserer Haustür. Unter Janukowitsch aber verwandelt sich
die Ukraine in rasantem Tempo in einen autoritär gelenkten Staat, den
sich eine korrupte Elite unterworfen hat, um ihn auszubeuten. Druck
auf ein solches Regime auszuüben, ist richtig und wichtig. Gefragt
sind nun allerdings Lösungsansätze. Die jüngste Eskalation war vor
allem destruktiv, und in diesem Sinne war die Schlacht ihre Opfer
nicht wert. Vor allem Deutschland steht in den Augen vieler Europäer
plötzlich wieder als Land missionarischer Eiferer da, an dessen Wesen
einmal mehr der Kontinent genesen soll. Schon die Belehrungen der
bankrotten Griechen in der Euro-Krise hatten diesen Verdacht bei
vielen Nachbarn genährt. Es wird höchste Zeit, dass sich die deutsche
Diplomatie wieder auf ihre einstige Stärke besinnt: das Gespräch auf
gleicher Augenhöhe mit allen. Warum sich die Bundesregierung zu einem
öffentlichen Schaukampf mit dem Janukowitsch-Regime hergegeben hat,
statt konsequent politisch zu handeln, ist rational schwer
erklärlich. Berlin sollte sich in naher Zukunft zurückhalten und das
Heft des Handelns in die Hände der EU geben. Da der Ernst der Lage
inzwischen allen Seiten klar sein sollte, besteht die Chance zu einem
diplomatischen Neubeginn. Kompromisse in Menschenrechtsfragen darf es
dabei von westlicher Seite nicht geben. Viel geholfen wäre allerdings
schon, wenn man sich von den Pathos-triefenden "Befreit
Julia!"-Forderungen verabschieden und substanziell über die Lage und
die europäischen Perspektiven der Ukraine sprechen würde - am besten
ohne Schaum vor dem Mund. Der polnische Präsident Bronislaw
Komorowski hat dazu gestern einen wichtigen Vorstoß gemacht. Er
appellierte an den ukrainischen Präsidenten, Timoschenko über eine
Strafrechtsreform zu amnestieren. Diese Idee ist zwar schon ein
Dreivierteljahr alt. Damals nahm Janukowitsch den Vorschlag zunächst
auf, besann sich dann aber eines anderen. So gesehen ist der
Komorowski-Plan, den er ursprünglich beim Gipfel in Jalta verkünden
wollte, keineswegs bahnbrechend. Er signalisiert jedoch: Lasst uns
gemeinsam überlegen, wie wir aus der Sackgasse herausfinden. Es mag
frustrierend sein, sich mit einem Mann wie Janukowitsch, der sein
Volk knechtet und ausplündert, an einen Tisch setzen zu müssen.
Unvermeidlich ist es dennoch. Hinzu kommt: Die Ausgangslage ist gar
nicht so schlecht. Vollständig verloren ist das Erbe der
demokratischen orangenen Revolution von 2004 noch nicht. Viele
Menschen sind bereit, sich ihrem Präsidenten entgegenzustellen. Mit
dem ausgehandelten, aber noch nicht in Kraft gesetzten
Assoziierungsabkommen hat die EU einen Hebel in der Hand, mit dem man
auf die Regierung in Kiew einwirken kann. Dort sind all jene
Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit und Demokratie festgeschrieben,
denen sich Janukowitsch derzeit vor allem wegen des Falles
Timoschenko grundsätzlich verweigert. Gelingt es, beide Diskussionen
zu entkoppeln, könnte es eine neue Gesprächsgrundlage geben.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

394594

weitere Artikel:
  • Rheinische Post: Aus Gefälligkeit? Düsseldorf (ots) - Eins muss man dieser Landesregierung lassen: Sie hat gestern blitzschnell versucht, das Feuer auszutreten. Ob ihr das wirklich gelungen ist, wird sich noch zeigen. Jedenfalls hat die Mannschaft von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) mit Schriftstücken darzulegen versucht, dass es keine Gefälligkeitsaufträge an willfährige Unterstützer aus früheren Wahlkampfzeiten gegeben hat. Dennoch bleibt ein schaler Geschmack, wenn ausgerechnet ein Agentur-Neuling, der mit dem Blog "Wir in NRW" in Verbindung gebracht mehr...

  • Rheinische Post: Grünen-Fraktionschef Trittin: Finanzkrise mit Vermögensabgabe für Millionäre abfedern Düsseldorf (ots) - Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hat gefordert, mit einer Vermögensabgabe für Millionäre die Staatsschulden aus der Finanzkrise zu reduzieren. "Man könnte die Finanzkrise über einen Schuldentilgungsfonds mit Hilfe einer Vermögensabgabe abfedern", sagte Trittin der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Donnerstagausgabe). "Dabei müssten alle Millionäre über einen Zeitraum von zehn Jahren ein Prozent ihres Vermögens einbringen ", sagte Trittin. Das treibe niemanden in den Ruin. Pressekontakt: mehr...

  • Rheinische Post: Friedrich: "Wir haben klare Bedingungen" Düsseldorf (ots) - Union droht Griechenland mit Stopp der Hilfskredite / Führende Unionspolitiker haben Griechenland mit dem Stopp weiterer Hilfszahlungen gedroht. "Wir haben klare Bedingungen, unter denen wir helfen. Wenn die aber nicht erfüllt werden, dann kann es auch keine Zahlungen aus Deutschland mehr geben", sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Donnerstagsausgabe). Auch Unionsfraktionsvize Michael Meister sagte der Zeitung: "Wir meinen es ernst: Ohne die mehr...

  • Rheinische Post: Rösler sieht "beträchtliche Risiken" für deutsche Wirtschaft durch Euro-Krise Düsseldorf (ots) - Trotz der zuletzt aufgehellten Konjunkturaussichten sieht Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) weiterhin hohe Risiken für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. "Vor dem Hintergrund der andauernden Staatsschulden- und Finanzkrise und einer rückläufigen Wirtschaftsentwicklung in einer Reihe von Eurostaaten sind die Unsicherheiten und Risiken nach wie vor beträchtlich", heißt es im Mai-Monatsbericht des Bundeswirtschaftsministeriums zur wirtschaftlichen Lage, der der in Düsseldorf erscheinenden mehr...

  • Rheinische Post: Friedrich bringt wegen neuer Al-Qaida-Bombe Nacktscanner ins Gespräch Düsseldorf (ots) - Angesichts neuer technischer Fähigkeiten des Terrornetzwerkes Al-Qaida hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) den Einsatz so genannter "Nackt-Scanner" ins Gespräch gebracht. "Das Thema Scanner ist nicht zu den Akten gelegt", sagte Friedrich der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Donnerstagausgabe). Am Wochenende war bekannt geworden, dass der amerikanische Geheimdienst einen Selbstmordanschlag mit einem von Detektoren auf Flughäfen offenbar nicht mehr aufspürbaren Sprengsatz vereitelt mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht