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Landeszeitung Lüneburg: Lebensthema Freiheit und Demokratie / Rainer Eppelmann lobt Bundespräsidenten-Kandidat Gauck - Fähigkeit zu Ausgleich und Versöhnung

Geschrieben am 23-02-2012

Lüneburg (ots) - Am 18. März tritt die Bundesversammlung zusammen,
um Joachim Gauck, den Kandidaten von Union, Liberalen, SPD und
Grünen, zum neuen Bundespräsidenten zu wählen. Rainer Eppelmann,
einst regimekritischer Pfarrer in der DDR, sieht in dem 72-jährigen
Rostocker ein glaubwürdiges und souveränes Staatsoberhaupt, aber
keinen Heiligen.

Joachim Gauck, der "Bundespräsident der Herzen" - gilt das auch
für Sie?

Rainer Eppelmann: Ich mag die Formulierung nicht, weil das an eine
tote Prinzessin erinnert. Ich sage mit dem Herzen Ja, ich sage aber
auch mit dem Verstand Ja. Joachim Gauck ist für mich ein
überzeugender Kandidat und ich bin sehr froh darüber, dass die
Bundeskanzlerin die Souveränität und Klugheit gezeigt hat, sich für
einen Kandidaten zu entscheiden, der vor nicht allzu langer Zeit von
der SPD vorgeschlagen worden ist - in dem Wissen, dass er kaum eine
Chance hatte, gewählt zu werden. Ich glaube, wir werden einen guten,
menschlich sehr nahen und geistvollen, streckenweise sogar weisen
Bundespräsidenten bekommen. Und einen, der nicht als Politiker auf
die Welt gekommen ist und auch nicht schon als Konfirmand davon
geträumt hat, politisch Karriere zu machen.

Wollten SPD, Grüne und am Ende auch die FDP die Kanzlerin mit
diesem Kandidaten also vorführen?

Eppelmann: Das weiß ich nicht. Aber wenn man sie fragte, würden
sie alle natürlich sagen, sie hätten immer nur den Besten im Blick
gehabt. Ich erinnere aber daran, dass die SPD auch einmal eine Frau
im höchsten Staatsamt sehen wollte. Aber als sie dann eine sichere
Mehrheit in der Bundesversammlung hatte, wurde es ein alter
Ministerpräsident aus Nordrhein-Westfalen.

Sehen Sie Kanzlerin Merkel nach Philipp Röslers Coup in der
Koalition geschwächt?

Eppelmann: Nein. Wenn man sich auch politisch verändern kann, ist
das ein Ausdruck von Stärke. Wenn jemand geschwächt ist, dann sind es
die Liberalen in ihrem Verhältnis zum großen Koalitionspartner. Es
gibt ja nun kaum jemanden, der sagt: Herr Rösler, wir danken Ihnen
und ihrer Partei dafür.

Hat Sie Gaucks zweiter Anlauf auf das Präsidialamt überrascht?

Eppelmann: Ja, ich war erstaunt, aber nicht über Joachim Gauck,
sondern über Angela Merkel. Bei allem Respekt, den ich vor der
Kanzlerin habe, hätte ich ihr nicht zugetraut, dass sie einen
Kandidaten mitträgt, der vom politischen Gegner ins Rennen geschickt
worden ist.

War es richtig und klug von der Kanzlerin, die Linke bei der
Kandidatenfindung auszuschließen?

Eppelmann: Diese Frage hat für mich keinen Stellenwert. Ich muss
damit leben, dass diese Partei im Deutschen Bundestag vertreten ist,
Ich kann und will aber nicht vergessen, dass ein Teil der Mitglieder
der Linken früher jener Partei angehört hat, die für 40 Jahre
Diktatur verantwortlich war.

Joachim Gauck lobt Sarrazin, nennt die Occupy-Bewegung "albern"
und verteidigt Hartz IV. Ist Gauck eher ein Polarisierer denn ein
Versöhner?

Eppelmann: Er hatte ja als Pfarrer eine ganze Reihe von Jahren die
Aufgabe, eine Gemeinde zusammenzuhalten, und das ist ihm - soweit ich
das aus der Berliner Ferne zu Rostock beurteilen kann - gelungen. Er
hat in der demokratischen DDR eine nicht unwesentliche Rolle in
seiner Fraktion gespielt, sonst wäre er nicht für die Leitung der
Stasi-Unterlagen-Behörde infrage gekommen. Auf diesem ausgesprochen
komplizierten Feld hat er zehn Jahre lang mit einem hohen Grad an
Emotionalität Führungsstärke und die Fähigkeit zum Ausgleich
bewiesen. Dass dort sogar frühere Mitarbeiter des Ministeriums für
Staatssicherheit Arbeit gefunden haben, hat ihm nicht nur Freunde
beschert und gezeigt, dass Gauck bereit ist, die Hand zum Ausgleich
und zur Versöhnung zu reichen. Dass er trotzdem jemand ist, der seine
Meinung sagt, schätze ich sehr.

Was ist Gaucks größte Stärke?

Eppelmann: Dass er ein wacher Kopf ist, exzellent formulieren kann
und dass er bei allem nicht nur sich selbst sieht, sondern auch die
anderen. Ich glaube, dass er - so wie übrigens auch Horst Köhler -
sehr schnell den Zugang zu den ganz normalen Menschen finden wird.
Aber immer auch Widerspruch findet: Ich glaube auch nicht, dass wir
in Deutschland Friedhofsruhe brauchen. Wenn alle einer Meinung sind -
das habe ich 40 Jahre in der DDR erlebt, trägt das nicht zur
Entwicklung bei. Ein Bundespräsident muss und kann nicht immer die
Meinung aller Menschen vertreten.

Die Freiheit ist Gaucks Lebensthema. Kritiker wie Friedrich
Schorlemmer halten Gauck vor, die Themen Gerechtigkeit und Ökologie
zu vernachlässigen. Teilen Sie diese Ansicht?

Eppelmann: Ich bin überrascht, wie genau Friedrich Schorlemmer
Joachim Gauck zu kennen glaubt. Ich kann gut verstehen, dass Freiheit
das zentrale Thema eines Menschen ist, der die DDR, die Diktatur, die
Unfreiheit von der ersten bis zur letzten Stunde miterlebt hat. Die
Beispiele Sarrazin und Occupy zeigen, dass es auch andere Themen
gibt, zu denen Gauck eine Meinung hat. Ich finde es ungerecht zu
sagen, er habe nur ein Thema. Das wird Joachim Gauck nicht gerecht.

Welche Schwerpunkte erwarten Sie darüber hinaus vom künftigen
Bundespräsidenten?

Eppelmann: Sein langes ehrenamtliches Engagement in dem Verein
"Gegen Vergessen - für Demokratie", dem Mitglieder fast aller
gesellschaftlichen Gruppen angehören, zeigt, dass er ein sehr
verbindender Mensch ist. Mit dem Namen des Vereins ist im Grunde
gesagt, was er meint. Und deshalb habe ich die große Hoffnung, dass
diejenigen in diesem Land, die Diktatur und Unfreiheit nie persönlich
erlebt haben, begreifen, dass Demokratie trotz aller Allttäglichkeit,
trotz mancher Ungerechtigkeit und Gleichgültigkeit eine große
Kostbarkeit ist.

Welche Bedeutung hat Ihrer Ansicht nach die Tatsache, dass nun
zwei ostdeutsche Protestanten im Kanzleramt und im Schloss Bellevue
amtieren werden?

Eppelmann: Ich habe den Eindruck, der Prozess der Vereinigung ist
viel viel weiter, als manche meinen. Und im zweithöchsten Staatsamt
haben wir mit Norbert Lammert ja auch noch einen Katholiken.

Wie haben Sie die Causa Wulff wahrgenommen? Ist Deutschland eine
Mediokratie?

Eppelmann: Ich glaube schon, dass vieles von dem, was geschrieben
und gesagt worden ist, die öffentliche Meinung wiedergegeben hat. Mir
ist aber manches zu hektisch, zu mörderisch und zu scheinheilig
gewesen. Ich denke da an dieses leidige Fernsehinterview, an die
Behauptung von Bettina Schausten, sie würde für die Übernachtung bei
Freunden 150 Euro auf den Tisch legen - die hat entweder keine
Freunde oder sie hat gelogen. Das zeigt den Geist, den sie selbst mit
in dieses Gespräch hineingebracht hat. Auch die, die politische
Verantwortung übernehmen in unserem Land - bis hin zum
Bundespräsidenten, sind keine Heiligen, sondern auch nur Menschen mit
Fehlern, mit Schwächen, hoffentlich auch mit genügend Stärken und
Souveränität. Ich bin sicher, all das hat auch Joachim Gauck. Mir
fällt ein Satz von Gerhard Rötting ein, dass ich in meinem
Losungsheft für den heutigen Tag fand. Er sagte: Es gibt keine
Heiligen ohne Vergangenheit und keine Sünder ohne Zukunft.

Geht es die Öffentlichkeit etwa an, ob ein Bundespräsident
verheiratet ist oder nicht?

Eppelmann: Ich kann den CSU-Mann Norbert Geis durchaus verstehen.
Als junger Pfarrer bin ich anfangs absichtsvoll im Anzug und nicht im
Talar vor die Gemeinde getreten, um zu zeigen: Ich bin einer von
euch. Ich fühlte mich dabei ungeheuer gut. Bis beim dritten
Gottesdienst ein Gemeindemitglied zu mir kam und sagte: "Herr
Pfarrer, jetzt traue ich mich zu fragen - warum ziehen sie eigentlich
keinen Talar an? Ich kann Ihnen gar nicht richtig zuhören, weil ich
immer bloß an diese Frage denke." Von da an habe ich einen Talar
getragen, weil ich wollte, dass die Menschen sich nicht an mir
stoßen, sondern mir zuhören. Ich kenne die Gründe für Joachim Gaucks
familiäre Verhältnisse nicht, vielleicht hat das etwas mit dem Ethos
zu tun, dass man sich als Pfarrer nicht scheiden lässt. Ich glaube,
dass er sehr aufmerksam verfolgt, was an dieser Stelle passiert. Er
muss sich fragen, ob es ihm wichtig ist, darauf einzugehen, damit die
Leute ihm zuhören und sich nicht über Nebensächlichkeiten ärgern.

Braucht Deutschland überhaupt einen Bundespräsidenten ohne echte
Macht, dessen Nominierung zudem regelmäßig auch ein Machtspiel ist?

Eppelmann: Wenn ich mir die Geschichte der Bundesrepublik ansehe,
hat sie möglicherweise nicht jeden Präsidenten wirklich gebraucht. Es
hat aber auch keiner von ihnen dem Land und den Menschen so sehr
geschadet, wie mancher Kaiser oder König, der seinen Titel qua Geburt
führte. Das gilt auch für Christian Wulff, der ja immerhin ein Stück
wache Demokratie hervorgerufen hat, und an der ist er ja letztlich
auch gescheitert. Es sind aber auch einige Bundespräsidenten richtig
gut gewesen, haben Sätze formuliert, die bis heute nachklingen, etwa
Gustav Heinemann oder Richard von Weizsäcker - fairerweise müsste man
noch einige mehr nennen. Ich meine, es sollte uns etwas wert sein, in
einer funktionierenden Parteiendemokratie jemanden zu haben, der zwar
von den Parteien bestimmt wird, aber in seinem Amt - wenn er es ernst
nimmt - eine hohe parteipolitische Unabhängigkeit und große
öffentliche Aufmerksamkeit genießt. Wer einen mächtigeren Präsidenten
wie in Frankreich oder den USA will, muss das System ändern und die
Macht des Kanzleramtes beschneiden.

Das Gespräch führte Klaus Bohlmann



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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