(Registrieren)

HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zur Gedenkfeier

Geschrieben am 23-02-2012

Hamburg (ots) - Ein Kommentar von Karl Günther Barth

Es waren ganz große Worte, ganz ohne falsches Pathos, wie es bei
ähnlichen Gelegenheiten nur zu gerne passiert. Bundeskanzlerin Angela
Merkel hat bei der Gedenkfeier für die Opfer des Rechtsterrors die
Mordanschläge eine "Schande für unser Land" bezeichnet. Für dieses
Land, für diesen Staat, und damit für uns alle, hat sie die
Hinterbliebenen um Verzeihung gebeten für die falschen
Verdächtigungen, denen sie sich jahrelang ausgesetzt sahen. Aber
reicht das? Gut, Polizei und Justiz ermitteln mittlerweile
fieberhaft. Aber hat sich nur die Beweislage geändert oder auch was
in den Köpfen - nicht nur in denen der Ermittler? Denn das ist das
eigentliche Problem, das auch nicht durch eine noch so beeindruckende
Gedenkfeier gelöst werden kann. Das ist jener alltägliche Rassismus,
der immer mehr und immer normaler vorkommt. Zu besichtigen ist er bei
den Ewiggestrigen von der NPD und den sogenannten Kameradschaften in
ihrem Dunstkreis. Rechtsextremisten, die zum Beispiel in Teilen von
Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen in unserer Gesellschaft, wie die
Fische im Wasser schwimmen und es bis in die Kommunal- und
Landesparlamente geschafft haben. Sie engagieren sich in Schulen und
Vereinen, um als vermeintlich gute Neonazis akzeptiert zu werden -
und um dabei ganz nebenher gezielt Fremdenfeindlichkeit und
Ausländerhass zu schüren. Toleranz, hat die Kanzlerin gesagt, sei
fehl am Platze. Null Toleranz kann es da nur heißen. Gab es nicht
auch klammheimlichen Beifall, als jenen Teilen der Zivilgesellschaft
die Mittel gekürzt wurden, die Neonazis die Stirn bieten wollten?
Mancher hat doch insgeheim geseufzt, wenn etwa engagierte Vereine
gegen Rechtsextremismus Unterstützung einforderten: Die schon wieder!
Fast 67 Jahre nach dem Ende der Nazi-Herrschaft scheint es in
Deutschland immer noch schwer zu sein, aus dem Wissen um die deutsche
Vergangenheit politisches Bewusstsein und Verantwortung dauerhaft zu
entwickeln. Für seinen Satz, die Deutschen sollten den 8. Mai 1945
nicht als Tag der Kapitulation sehen, sondern als Tag der Befreiung
von der Nazi-Herrschaft ist Richard von Weizsäcker berühmt geworden.
Der damalige Bundespräsident, ein Konservativer, hat in einem heute
weithin unbekannten Teil der Rede die jungen Deutschen aufgefordert,
sich nicht in einen Hass gegen Juden oder Türken hineintreiben zu
lassen. Weizsäcker hielt diese Rede 40 Jahre nach dem Ende der
Nazi-Herrschaft und damit nur wenige Jahre, bevor in Solingen (1993)
und Mölln (1992) türkische Häuser in Flammen aufgingen - und immerhin
15 Jahre bevor die Zwickauer Neonazi-Zelle mit ihrer Mordserie
begann. Damals gab es auch noch keinen Thilo Sarrazin, der die Säle
füllte und gegen eine angebliche Überfremdung zu Felde zog. Es reicht
auch nicht, die NPD zu verbieten. Wir müssen den Kampf um die Köpfe
gewinnen - und den Ausländern, nicht nur den Türken, jenen Schutz
bieten, den sie als unsere Mitbürger verdienen. Das ist die wahre
Botschaft der Gedenkfeier von Berlin. Die Angehörigen der Opfer haben
das verstanden. Sie sprachen nicht von Entschädigung, sondern von
Gemeinsinn und Zugehörigkeit. Hoffentlich haben ihnen viele zugehört.



Pressekontakt:
HAMBURGER ABENDBLATT
Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de meinung@abendblatt.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

380043

weitere Artikel:
  • Westfalenpost: Kommentar zu Energie/Solar/Förderung/Umwelt/Erneuerbare/Die Solarförderung wird gekappt/Schattenseiten/Von Martin Korte Hagen (ots) - Jetzt geht alles schneller als gedacht. Schon Anfang März dreht die Bundesregierung an der Schraube für die Solarförderung. Rückwärts und mit Tempo. Die Einspeisevergütung wird drastisch gekappt: um 20 Prozent für kleine und um 30 Prozent für große Anlagen. Zusätzlich sinken ab Mai die Fördersätze jeden Monat um 0,15 Cent pro Kilowattstunde. Die Eile hat einen Grund: Die Minister Röttgen (Umwelt) und Rösler (Wirtschaft) wollen einen Solar-Schlussverkauf verhindern. Um so mehr schieben sie damit eine ganze Branche in mehr...

  • Schwäbische Zeitung: Etwas Trost, mehr nicht - Kommentar Leutkirch (ots) - Rechtsextreme Verbrecher haben in diesem Land über viele Jahre gewütet. Aber ein Land kann sich nicht kollektiv und stellvertretend dafür schämen. Es kann auch nicht kollektiv und stellvertretend um Entschuldigung bitten. Und man kann ebenso wenig kollektive Trauer über die Untaten verordnen. Scham, Schuld, Trauer sind persönliche Kategorien. Jedem Versuch, sie zum Anliegen der ganzen Gesellschaft zu machen, mangelt es an Ernsthaftigkeit. Den meisten Gedenkveranstaltungen haftet deshalb etwas rituell Bemühtes, mehr...

  • Lausitzer Rundschau: Ein richtiger Schritt Neue Diätenregelung für Brandenburger Abgeordnete Cottbus (ots) - Die Bezahlung von Abgeordneten im Brandenburger Landtag wird neu geregelt. Steuerprivilegien für Parlamentarier werden abgeschafft. Die Volksvertreter in Potsdam werden uns ähnlicher werden - zumindest was die Bezahlung betrifft. Bislang wurde der Lohn für fleißige Parlamentarier in satten Altersbezügen versteckt - er war eine unverschämt großzügige Variante der sowieso schon beispiellosen Beamtenalimentierung. Jetzt erfolgt die Vergütung in einem System, das eher dem vergleichbar ist, was wir aus der Privatwirtschaft mehr...

  • Lausitzer Rundschau: Worte und Taten Zum bundesweiten Gedenken an die Opfer der Neonazi-Morde Cottbus (ots) - In Erinnerungs- und Mahnkultur sind wir Deutschen geübt. Notgedrungen. Aber können wir auch entschlossen sein, Konsequenzen ziehen, alles tun, damit so etwas nicht wieder vorkommt? Keine Toleranz den Intoleranten. Angela Merkels Satz war eigentlich der gemeinsame Schwur der sehr gelungenen Gedenkveranstaltung für die Mordopfer der Zwickauer Terrorzelle. Können und werden wir ihn umsetzen? Die Ermittlungsbehörden haben nach ihrem Versagen einige Korrekturen vorgenommen, so wie man sie eben vornimmt, wenn ein Verbrechensphänomen mehr...

  • Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Neonazi-Mordserie: Bielefeld (ots) - Jahrelang hat es gedauert, bis die Familien einfach nur Opfer sein durften. Jahrelang sind sie verdächtigt worden, statt ernst genommen zu werden. Jahrelang blieben sie allein. Die Tatsache, dass ihre Angehörigen von Neonazis ermordet wurden, ist heute Gewissheit und Beunruhigung zugleich. Die Opferfamilien wurden von Verdächtigungen erlöst, wissen nun aber unumstößlich, dass es Menschen im Land gibt, die sie nicht haben wollen. Das darf Deutschland nicht akzeptieren. Ein Gedenktag, bei dem die Opfer im Mittelpunkt mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht