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Landeszeitung Lüneburg: Mit Volldampf das Treibhaus angeheizt / Klimaökonom Prof. Schwarze: Zwar gelang in Durban das Umsteuern, doch das kühlt die Erde noch nicht runter

Geschrieben am 22-12-2011

Lüneburg (ots) - "Halbvoll ist das Glas in der Klimapolitik",
bleibt Professor Reimund Schwarze optimistisch. Auf dem Gipfel in
Südafrika sei ein Umsteuern gelungen. Fortan solle nicht mehr Europa
alleine die Last des Klimaschutzes schultern, während die Werkbänke
der Welt in Asien stehen. Damit das notwendige energische Umsteuern
gelinge, müssten in dem Jahr bis zum Gipfel in Katar die
Absichtserklärungen aber noch mit Leben erfüllt werden.

War 2011 ein verlorenes Jahr für den Klimaschutz?

Prof. Reimund Schwarze: Ja, wenn man die Emissionsentwicklung des
vergangenen Jahrzehnts und vor allem des letzten Jahres analysiert.
Wir haben eine ganze Dekade verloren, sind auf dem falschesten Weg,
den man sich nur vorstellen kann. Im letzten Jahr stieg die
CO2-Emission global stärker an als die Güterproduktion. Wir rennen
also unbeirrt mit Volldampf in die Kohlenstoffwirtschaft, von der wir
uns eigentlich verabschieden müssten.

In Durban wurde verabredet, 2015 ernsthaft zu verhandeln und ab
2020 ernsthaft zu handeln. Wie viele solcher "Erfolge" verkraftet das
Klima?

Prof. Schwarze: Das hängt davon ab, wie die neue Form des
Klimaschutzes, die in Durban gegossen wurde, ausgefüllt wird. Es
musste eine neue Form gefunden werden, das ist die Lehre aus dem
verlorenen Jahrzehnt. Es kann nicht so weitergehen, dass die Last der
Kohlenstoffreduktion von wenigen geschultert wird, während sich die
Güterströme langsam nach China und Indien bewegen, die bisher noch
nicht in die Verantwortung genommen wurden. Diese Umsteuerung ist ein
schmerzhafter Prozess, wie wir in den letzten, chaotischen
Morgenstunden der Konferenz von Durban erleben mussten. Es war ein
wichtiger Beschluss, China und Indien ins Boot zu nehmen. Ob er
Wirkung zeigt, hängt davon ab, ob er nächstes Jahr mit Substanz
gefüllt wird.

Auch Klimapolitik ist Machtpolitik. Welche Verschiebungen brachte
Durban?

Prof. Schwarze: Es war der außenpolitischste Klima-Gipfel
überhaupt. Hier wurden durch die Umweltminister neue außenpolitische
Allianzen geschmiedet. Europa konnte nicht länger mehr hinnehmen, den
eigenen Kontinent quasi zu deindustrialisieren, während andere
Länder, die sehr viel kohlenstoffintensiver produzieren, die
Güterströme an sich ziehen. Das hat die EU abgewendet, insofern ging
es hier um große Geopolitik.

Können Sie diese neue Landkarte der Klimapolitik skizzieren?

Prof. Schwarze: Die Vorstellung, schon eine neue Landkarte der
Klimapolitik vorliegen zu haben, ist allzu optimistisch. Ich würde
eher sagen, dass wir umgesteuert haben, dass die neuen Allianzen aber
noch mit Leben erfüllt werden müssen. Und das wird im nächsten Jahr
unter arabischer Präsidentschaft in Katar schwieriger als unter
südafrikanischem Vorsitz. Der Ausstieg Kanadas aus dem
Kyoto-Protokoll wird nicht das letzte Nachbeben Durbans bleiben. So
sind etwa Pekings Diplomaten zutiefst erbost über die
Verhandlungsführung der Umweltexperten. Dennoch bin ich trotz der
noch zu erwartenden Rückschläge zuversichtlich, China besser
einbinden zu können. Dazu muss der Westen mit China auf der
technologischen Ebene und beim Emissionshandel stärker kooperieren.
Peking hat verstanden, dass es auf erneuerbare Energien setzen muss
und dass dazu der Emissionshandel ein nützliches Instrument ist.

Ist es ein Vorteil, dass Peking erstmals nicht mehr als Sprecher
der Schwellen- und Entwicklungsländer auftrat, sondern auf eigene
Rechnung -- mithin ehrlicher -- agierte?

Prof. Schwarze: Ja, aber dies ist weniger ein Erfolg Durbans als
ein Ergebnis der gesamten geopolitischen Entwicklung. Noch in
Kopenhagen saßen am Ende die USA und China als Hauptakteure am Tisch
-- mit verheerendem Ergebnis. Mittlerweile haben die Chinesen
schrittweise akzeptiert, dass die Hegemonie zweier Großmächte das
Klimaproblem nicht löst. Bereits 2010 in Cancun erklärten sie sich
bereit, ihre Produktion überwachen zu lassen. In Durban gab es auf
halber Strecke das Signal, irgendwann auch einmal einem
internationalen Klimaabkommen beizutreten. Das Eis taut in Peking.

Ist der Klimafonds mehr als ein Trostpflaster?

Prof. Schwarze: Zunächst ist er nicht mehr als ein Minimalerfolg,
denn das Gerüst stand schon seit Cancun. Auch hier gilt das Gleiche
wie für das angekündigte große Klimaabkommen 2015: Jetzt muss Fleisch
an die Knochen. Die Zusagen können aber nur eingehalten werden, wenn
der Kohlenstoffmarkt gesichert wird. Anderenfalls können wir den
Fonds nicht sinnvoll füllen. Was von Versprechungen zu halten ist,
diesen aus staatlichen Mitteln zu speisen, haben wir bei der
Entwicklungshilfe erlebt. Norwegen ist das einzige Land, das
tatsächlich die versprochenen 0,7 Prozent des Sozialproduktes in die
Entwicklungshilfe gibt. Nötig sind also private Mittel. Und dafür
brauchen wir den Kohlenstoffmarkt, durch den Klimakiller einen
betriebswirtschaftlichen Preis bekommen.

Ölschlamm-Krösus Kanada stieg aus dem Kyoto-Protokoll aus. Siegt
letztlich immer nationaler Eigennutz vor globaler Verantwortung?

Prof. Schwarze: Im Falle Kanadas definitiv. Die derzeitige
Regierung ist scheinbar auf kurzfristige Gewinnmaximierung aus, wenn
sie nicht sogar komplett irrational handelt. Die Hoffnung, auf
Ölsande Kanadas Wohlstand zu gründen, ist bizarr. Erstens ist die
Erschließung dieser Ressource teuer. Zweitens: Falls sich die Welt
Kanadas Beispiel anschließt, und aus dem Kyoto-Protokoll aussteigt,
wird Kohle wieder so billig, dass Kanada weiter auf seinem Ölschiefer
sitzen bleibt. In Sachen Klima kann sich kein Land im Alleingang als
"Freifahrer" Vorteile verschaffen. Sobald andere Länder gleichziehen,
verliert die Welt als Ganzes.

Wird Brasilien auch dafür bestraft, dass es das 2010 in Cancun
verabredete Waldschutzprogramm weitgehend ignoriert?

Prof. Schwarze: Zunächst muss man festhalten, dass es ohne
Brasilien nicht zu einem Kompromiss in Durban gekommen wäre. Auf der
neuen Weltkarte der Klimapolitik spielt Brasilien eine zentrale
Rolle. Gleichwohl hat Brasilien beim Waldschutz Vollzugsdefizite,
weil diese Politik zwar in Brasilia festgelegt, aber in den Provinzen
durchgesetzt wird. Brasilia erkennt die Bedeutung der neuen
Klimaarchitektur, hat aber massive Probleme, dies im eigenen Land
umzusetzen. Gleichwohl hat Brasilien in anderen Bereichen
nachhaltiger Politik Vorbildcharakter für viele Länder. Zusammen mit
Südafrika ist das Land ein Vorreiter der Schwellenländer.

Hat sich die Menschheit mit Durban endgültig von dem Ziel
verabschiedet, die Erwärmung unter zwei Grad zu halten?

Prof. Schwarze: Politiker können noch mit dem Zwei-Grad-Ziel
arbeiten, Wissenschaftler nicht mehr. Mit aller Klarheit muss gesagt
werden: Das Zwei-Grad-Ziel ist auf Basis dieser Beschlüsse nicht mehr
zu erreichen. Nachdem substanziell alles vertagt wurde, ist das
Zwei-Grad-Ziel nicht mehr als eine nette Utopie. Wir müssen uns daher
auf eine wärmere Zukunft vorbereiten. Die Hauptbetroffenen -- etwa
die Länder Afrikas --, wissen dies, haben deshalb eingeklagt, dass
der Fokus mehr auf die Anpassung an den Klimawandel gelegt wird --
diese sollte gleichgewichtig zum Klimaschutz behandelt werden. Wir
müssen uns jetzt auf massivere Klimaveränderungen vorbereiten, als
die bisherigen Prognosen nahegelegt haben.

Bietet Climate-Engineering das Werkzeug, der Menschheit mehr Zeit
für fundamentale Veränderungen zu verschaffen?

Prof. Schwarze: Climate-Engineering ist ein sehr weites Feld. Da
finden sich Ingenieursphantasien aus den dreißiger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts. Andere sind so teuer, dass man darüber
nicht nachdenken braucht. Zumeist gehört Climate-Engineering in den
Bereich Science Fiction. Geforscht werden sollte in diesem Bereich,
um den kommenden Generationen die Möglichkeit auf neue Instrumente
nicht zu rauben. Aber das hilft uns nicht gegen den Klimawandel.
Übergangstechnologien sind dagegen gefragt, etwa die CCS-Technologie
zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid.

Keine Science Fiction ist hingegen, dass China Wolken abregnen
lässt, um Ernteerträge zu sichern. Wie groß ist die
Wahrscheinlichkeit, dass die Klimaschutzbremser USA und China zu
großtechnologischen Lösungen greifen, wenn die Folgen des Wandels
krasser werden?

Prof. Schwarze: Das Regenmachen ist eine Uralttechnik, wurde
zunächst von Militärs in den 30er- und 40er-Jahren des letzten
Jahrhunderts erschaffen. Es gibt zwar Versuche, dies auch zivil zu
nutzen, aber das ist alles kleinmaßstäblich. Den Vorhang vor der Erde
zuzuziehen, um die Sonneneinstrahlung zu verringen, ist ein ganz
anderes Kaliber. Zwar ist die Gefahr groß, dass dort, wo infolge des
Klimawandels Wassermangel herrscht, auf Primitivvarianten des Climate
Engineering zurückgegriffen wird. Denn sie sind billig. Das Problem
wird dadurch allerdings nur zum Nachbarn verlagert. Andere Sachen
sind noch lange nicht anwendungsreif. So hat das
Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven herausragende Forschungen zur
Ozeandüngung abgeliefert. Ergebnis: Die Nährstoffketten im Ozean sind
noch lange nicht genug erforscht, um den Ozean effektiv als Grab für
Kohlendioxid zu nutzen. Jetzt brauchen wir aber Technologien die
operationabel sind und nicht solche der Kriegsführung des Zweiten
Weltkriegs. Die geben uns keine Antwort auf die globale
Herausforderung des Klimawandels. Spielräume sind beispielsweise noch
in der Effizienz vorhanden. Noch immer werden weltweit Kraftwerke
gebaut, die nicht mal dem Standard entsprechen, der heute in China
bereits normal ist. Bedeutende Anstöße für den Bereich
Technologietransfer gab es allerdings in Durban. Von daher ist das
Glas eher halbvoll statt halbleer.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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