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Landeszeitung Lüneburg: Europa muss im All erwachsen werden / Experte Dr. Marcel Dickow mahnt mehr Kooperation im Weltraum an, damit die EU nicht von China abgehängt wird

Geschrieben am 06-10-2011

Lüneburg (ots) - Vergangene Woche ging China den nächsten Schritt
seines bemannten Weges ins All: Die Raumstation "Himmlischer Palast"
wurde auf eine Umlaufbahn gebracht. China zeigt Ehrgeiz, während das
NASA-Programm der USA stagniert. Was machen Europas Pläne? Wir
fragten den Raumfahrt- und Rüstungsexperten Dr. Marcel Dickow von der
Berliner Denkfabrik SWP.

Die Euro-Rettung gilt allgemein als Testfall für den integrativen
Willen der EU. Könnte die EU auch im All stärker zusammenwachsen?

Dr. Marcel Dickow: Das sollte sie. Alleine schon deswegen, weil
die Raumfahrt eines der kostspieligsten Projekte der EU ist. Das
Satellitennavigationssystem Galileo etwa schlägt in den nächsten
Jahren mit 5,3 Milliarden Euro zu Buche. Das ist ein gutes Argument
für mehr Kooperation und gegen den Rückfall in alte Kleinstaaterei.

Welche Schnittmengen gibt es zwischen Weltraumpolitik und
europäischer Sicherheitspolitik?

Dr. Dickow: Es gibt viele Schnittmengen. Das beginnt bei den ganz
klassischen Raumfahrtanwendungen für die Streitkräfte, also die
Kommunikation über Satelliten, die strategische Aufklärung über
Satellitenbilder bis hin zur taktischen Aufklärung über
satellitengesteuerte Drohnen. Hinzu kommt der klassische
Sicherheitsbereich, also zum Beispiel die Auswirkungen des
Klimawandels und humanitäre oder staatliche Krisen. Satellitenbilder
können Aufschluss darüber bringen, ob irgendwo Ernten ausfallen oder
sich Flüchtlinge auf den Weg machen. Die meisten dieser Punkte
betreffen laut EU die zivilen Teile der Sicherheitspolitik.

Welche Chancen bieten Projekte wie Galileo zu einer
Vereinheitlichung der europäischen Sicherheitspolitik?

Dr. Dickow: Das ist eine schwierige Frage. Auf einer modellhaften
Ebene kann die Weltraumpolitik Vorbild sein. Wie am Boden rühren auch
im All viele europäische Probleme aus nicht hinreichend geklärten
oder geteilten Kompetenzen. Gelingt es aber den EU-Mitgliedsstaaten,
Präzedenzfälle zu schaffen, bei denen die Beschaffung und Nutzung von
Projekten erfolgreich ist -- wie bei Galileo oder GMES, dem
Umweltbeobachtungsprogramm der EU --, kann der Sicherheitspolitik der
Boden bereitet werden. Typisches Beispiel ist die Frage: Wer betreibt
künftig Galileo? Vermutlich wird diese Aufgabe einer bereits
bestehenden Agentur zugeschlagen werden. Für die anstehende Frage von
militärischen oder zivilen Hauptquartieren bei EU-Missionen, die
bisher ad-hoc geschaffen werden müssen, kann eine solche Lösung als
Vorbild dienen. Der andere Bereich ist die tatsächliche Anwendung der
Ins"trumente, die die Raumfahrtpolitik zur Verfügung stellt. Einigen
sich die Mitgliedsstaaten und die EU zum Beispiel darauf,
Satellitenbilder nicht nur von Fall zu Fall, sondern
institutionalisiert auszutauschen, dient das der Vereinheitlichung
der Sicherheitspolitik. Einsätze wie im Tschad oder in Somalia würden
erleichtert, wenn Satellitenbilder und -kommunikation von vornherein
den Beteiligten zur Verfügung stehen.

Schwächt die zwischen EU-Kommission und Mitgliedsstaaten geteilte
Kompetenz für die Weltraumpolitik Europas Schlagkraft?

Dr. Dickow: Ja und Nein. Europas Weltraumpolitik wird in einem
ständigen Verhandlungszustand geformt. Mehrwert für Europa wird dann
erzielt, wenn eine Institution wie die EU-Kommission dieses Projekt
als Gemeinschaftsaufgabe begreift und entsprechend koordiniert. Es
ist schwierig, weil es Neuland ist. Manchmal dauert es länger, weil
immer wieder neu verhandelt werden muss. Manchmal wird es deswegen
auch teurer. Aber das ist genau der Prozess, in dem Europa seit 40
Jahren reift: Es werden Präzedenzfälle geschaffen, die dann
nachträglich institutionalisiert werden.

Gäbe es mehr Mehrwert, wenn Europa wegkäme von diesem Inselhüpfen
und stattdessen eine europäische Weltraumstrategie festlegt?

Dr. Dickow: Auf jeden Fall. Das ist die Planung der EU-Kommission,
die eine entsprechende Strategie entwerfen will. Damit will sie vor
allem verhindern, dass Mitgliedsstaaten als Einzelkämpfer zu viel
Geld ausgeben, obwohl die Aufgaben gemeinsam günstiger erledigt
werden könnten. Diese neue Strategie wird unter den Argusaugen der
Mitgliedsstaaten entworfen, anschließend diskutiert. Dennoch bin ich
mir sicher, dass sie Europa einen Schritt voranbringt.

Inwieweit hängt Europa von anderen Raumfahrtnationen ab?

Dr. Dickow: Es gibt Bereiche, in denen Europa Unabhängigkeit
anstrebt, etwa bei der Satellitenkommunikation, der Erdbeobachtung
und dem ungehinderten Zugang mittels der in Kourou startenden
Trägerrakete Ariane. In anderen Bereichen sucht Europa gezielt die
Zusammenarbeit, weil sie Hilfsmittel in den internationalen
Beziehungen ist. Beispiele wären hier die Kooperation mit den USA und
Russland auf der Raumstation ISS sowie die Erstellung eines
Weltraumlagebildes.

Welche Ziele verfolgt das aufstrebende China im All?

Dr. Dickow: Dieselben wie in der internationalen Politik. China
will als Großmacht ein eigenständiges Weltraumprogramm haben. Dies
wurde auch dadurch angestoßen, dass China in den vergangenen
Jahrzehnten von internationalen Raumfahrtprojekten ausgeschlossen
war. So hatten die USA verhindert, dass China Teil des ISS-Projektes
wird, um den Abfluss von Hochtechnologie zu verhindern. Das stieß
einen Emanzipationsprozess an, wie ihn in den vergangenen 25 Jahren
auch Europa durchlief. Peking hat den Ehrgeiz, das gesamte Spektrum
abzudecken, also unbemannte wie bemannte Missionen mit zivilen und
militärischen Komponenten.

Kann die EU von Peking lernen, welche Relevanz die Weltraumpolitik
für das Militär besitzt?

Dr. Dickow: Ja. So steht Brüssel wegen der Galileo-Sendefrequenzen
in Verhandlungen mit Peking. Einen intensiven Austausch mit den USA
gibt es ja schon lange. Das Satellitennavigationssystem ist eines der
Felder, auf denen die EU erwachsen geworden ist. Europa verfügt mit
Galileo über ein strategisches Instrument, und die EU lernt gerade im
internationalen Rahmen bei den schwierigen Frequenzverhandlungen mit
China, entsprechend aufzutreten.

Moskau und Peking wollen die militärische Vormachtstellung der USA
einhegen. Macht es Sinn, wenn Europa für seine Weltraumprojekte eine
ausschließlich zivile Nutzung vorschreibt?

Dr. Dickow: Die Bruchlinien bei der meist zivil wie militärisch
nutzbaren Weltraumtechnologie verläuft eher zwischen bewaffnet und
unbewaffnet. Hier tritt die EU für ein Verbot von Weltraumwaffen ein.
Eine Militarisierung des Weltraums aber kann nicht mehr verhindert
werden, denn die Programme der USA und der UdSSR waren von Anfang an
militärischer Natur und die EU-Staaten sind ja selbst bereits
militärisch im Weltraum. Die EU muss darüber entscheiden, ob sie ihre
bis dato zumeist zivil genutzen Programme künftig auch militärisch
nutzt. Es gibt gute Gründe, das zu tun. Zum Beispiel Kostenersparnis.
Die EU-Kommission hat bisher eine klare Position: Sie betreibt zivile
Programme unter ziviler Kontrolle, deren militärische Nutzung aber
nicht ausgeschlossen ist.

Sie sagten, mit Galileo wurde die EU erwachsen. Welche Widerstände
mussten überwunden werden, um sich vom GPS der USA zu emanzipieren?

Dr. Dickow: Washington hatte lange Schwierigkeiten, zu verstehen,
warum Europa nach einem eigenen System strebt, wo es doch den
NATO-Partnern Zugang auch zum verschlüsselten, militärischen Signal
gewährte. Als die USA erkannten, dass sie Europa als Konkurrenten
nicht mehr verhindern können, schalteten sie auf Kooperation um. So
wurde 2003 festgelegt, dass beide Systeme kompatibel sein sollen.

Musste Europa den USA eine Störmöglichkeit für Galileo einräumen?

Dr. Dickow: Das war von Anfang an der Knackpunkt. Zunächst war es
den USA nicht möglich, das Galileo-Signal -- etwa im Falle eines
Krieges -- zu stören, ohne ihr eigenes GPS zu stören. Dies wurde
technisch gelöst. Das verschlüsselte, genauere, für
staatlich-hoheitliche Aufgaben vorgesehene Galileo-Signal bleibt aber
unbeeinträchtigt. Washington hat den machtpolitischen Anspruch, bei
Bedarf sämtliche Satellitennavigationssysteme lokal stören zu können.

Kommt die EU-Drohne?

Dr. Dickow: Das ist eines der Gebiete, auf denen Europa noch der
Kleinstaaterei verfallen ist. Es gibt zwar mit dem
Verteidigungskooperationsvertrag zwischen Großbritannien und
Frankreich vom November 2010 eine politische Absegnung der
Forschungen in diese Richtung. Zudem gibt es ein Konzept von EADS und
natürlich die Möglichkeiten, Drohnen in den USA oder in Israel zu
kaufen. Dies ist ein Bereich, in dem Kooperation notwendig wäre, weil
es wenig Sinn macht -- wie in Afghanistan -- vier, fünf verschiedene
Drohnen im Einsatz zu haben. Im Moment ist es aber eher
unwahrscheinlich, dass sich die Staaten auf eine Drohnen-Plattform
einigen.

Sie drängen in einer Studie darauf, dass Deutschland und
Frankreich verstärkt kooperieren. Beide Staaten sind auch
industriepolitische Rivalen. Verhindert diese Rivalität eine engere
sicherheitspolitische Verzahnung?

Dr. Dickow: Bisher tut sie das. Es gibt Möglichkeiten, die
industriepolitischen Interessen auszutarieren, um die notwendige
Kooperation der beiden europäischen Kernstaaten zu ermöglichen. Dazu
müssen Berlin und Paris aber ihr Misstrauen ablegen und sich
möglicherweise sogar über die Interessen ihrer nationalen Industrien
hinwegsetzen. Was Europa braucht, ist ein europäischer Markt für
Raumfahrtindustrie, keine abgeschotteten, nationalen Märkte.

Sinkt Europa im Weltall zur drittklassigen Macht ab, wenn Paris
und Berlin den notwendigen Willen zur strategischen Kooperation nicht
aufbringen?

Dr. Dickow: Das will ich nicht ausschließen. Es ist nicht
wahrscheinlich, weil es ja bisher auch ohne eine engere Verzahnung
funktioniert hat. Aber die Zeit läuft den Europäern davon. Je mehr
Länder wie Brasilien, Indien und China im Weltall in Konkurrenz zu
den USA und Russland gehen, desto mehr muss sich auch Europa
emanzipizieren. Das Zeitfenster für mehr Europa in der Raumfahrt ist
schmal. Rauft sich der alte Kontinent nicht in den nächsten fünf
Jahren zusammen, wird er sicherheitspolitisch in die Zweit- oder
Drittklassigkeit absinken.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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