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HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zu Deutschland, Libyen und Gaddafi

Geschrieben am 23-08-2011

Hamburg (ots) - Ein Kommentar von Thomas Frankenfreld

Während sich die 42 Jahre währende Herrschaft des libyschen
Despoten Muammar al-Gaddafi unter blutigen Straßenkämpfen
unaufhaltsam dem Ende zuneigt, nimmt die Diskussion über die Rolle
Deutschlands in diesem Konflikt wieder Fahrt auf. Wenn der Tyrann von
Tripolis stürzt, wenn eine neue Zeit für Libyen anbrechen kann, dann
war dieser Erfolg der Rebellen nur möglich aufgrund der militärischen
Hilfe der Nato. Rund 20?000 Lufteinsätze von Amerikanern, Briten und
Franzosen gab es bislang; dazu Drohnen-, Satellitenaufklärung und
vieles mehr. Ohne dies wären die Aufständischen rasch erbärmlich
zusammengeschossen worden. Deutschland wird noch einmal gefragt
werden, ob seine Totalverweigerung militärischer Hilfe - abgesehen
von ein paar Soldaten in Nato-Führungsstäben - die richtige
Entscheidung war. Zunächst einmal weiß noch niemand, ob die libysche
Rebellion tatsächlich in ein pluralistisches Staatswesen mündet - von
einer Westminster-Demokratie sollte niemand träumen - oder ob sich
ein Bürgerkrieg der Stämme mit islamistischer Komponente anschließen
wird. Die Supermacht USA hat wirksam, aber unauffällig geholfen, weil
ihr Präsident seinem verstörten Volk keinen dritten Krieg zumuten
wollte. Die Führer Frankreichs und Großbritanniens haben nicht
zuletzt aus innenpolitischer Profilierungstaktik die kühnen
Feldherren gegeben. Doch das funktioniert in Deutschland mit seiner
gründlich gebrochenen Militärtradition nicht. Es würde Merkel und
Westerwelle sogar ganz erheblich schaden, wenn sie unser Land in
einen derartigen Krieg verstrickten. Deutschland gilt als
hauptverantwortlich für den Ausbruch des Ersten und
alleinverantwortlich für den des Zweiten Weltkriegs. Allein beim
Angriffskrieg der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion starben
zwischen 22 und 27 Millionen Menschen. Und weder Amerikaner noch
Briten oder Franzosen haben erlebt, dass Abermillionen ihrer Bürger
getötet oder vertrieben und ihre Städte dem Erdboden gleichgebombt
wurden. Was Krieg anbelangt, ist Deutschland gründlich kuriert. Zudem
hat die Bundesrepublik nach dem Ende des Kalten Krieges massiv
abgerüstet. Standen einst fast 500?000 Bundeswehrsoldaten mit rund
4000 Kampfpanzern bereit, so sind es heute noch 240?000 mit 350
"Leoparden". Von Freunden umzingelt, will unser Land keine
maßgebliche Militärmacht sein. Natürlich wäre es selbst mit den
vergleichsweise bescheidenen Mitteln möglich gewesen, in Libyen
einzugreifen. Doch abgesehen davon, dass die Nato ihr begrenztes
Uno-Mandat zum Schutz libyscher Zivilisten weit überzog und zur
Bürgerkriegspartei wurde - wohin soll diese offensive Strategie der
Allianz mit dem libyschen Präzedenzfall eigentlich führen? Soll die
Bundeswehr eines Tages in Syrien, im Sudan oder Somalia mit
eingreifen? Im Kern fordert die Nato-Strategie von ihren Mitgliedern,
sich notfalls gegenseitig zu verteidigen. Dazu muss und wird
Deutschland jederzeit bereit sein; die Verbündeten waren es 40 Jahre
lang in unserem dringendsten Interesse auch. Nun sind seit einer
Änderung der Nato-Strategie 1999 auch Einsätze außerhalb des
Bündnisgebiets möglich. Doch unser Land hat eben eine andere
Geschichte als andere Staaten; und militärische Abenteuer deutscher
Armeen sollten äußerst sparsam dosiert werden. Schon jetzt kann wohl
kaum ein Politiker oder kommandierender General einer deutschen
Mutter plausibel erklären, dass ihr Sohn leider in Afghanistan fallen
musste, damit dort eine etwas weniger brutale Herrschaft etabliert
werden kann. Was haben wir dort zu suchen? Deutschland ist kein
Weltpolizist; und derzeit sind in Afghanistan, in Libyen oder sonst
wo auf der Welt auch keine nationalen Interessen bedroht, die einen
Kriegseinsatz rechtfertigen würden.



Pressekontakt:
HAMBURGER ABENDBLATT
Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de meinung@abendblatt.de


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