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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Der Fall Guttenberg und die Demokratie Besorgniserregend CARSTEN HEIL

Geschrieben am 25-02-2011

Bielefeld (ots) - Ein Minister hat große Teile seiner vor ein paar
Jahren verfassten Doktorarbeit einfach abgeschrieben. Er hatte aber
mit seinem Ehrenwort versichert, nichts abgeschrieben, sondern alles
allein verfasst zu haben. Als herauskommt, dass er auf rund 270
Seiten doch abgekupfert hat, bezeichnet der Minister diesen Vorhalt
zunächst als "absurd". Eine Woche später räumt er alles ein,
entschuldigt sich, wirft sich in den Staub, bezeichnet seine einst
mit Bestnoten bedachte Doktorarbeit als "Blödsinn". Wer diesem
Zickzack-Kurs folgen kann, braucht Flexibilität. Die Medien und große
Teile der geistigen Elite des Landes haben diese Beweglichkeit aus
guten Gründen nicht. Einhellig und eindeutig verlangen sie, dass
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sein Amt verlässt.
Das sei eine Frage der Glaubwürdigkeit. Und die Wählerinnen und
Wähler? Der verfassungsmäßige Souverän gefiel sich in den vergangenen
Jahren immer mehr darin, auf die da oben zu schimpfen, auf die
unglaubwürdigen Politiker, die sowieso nur ihren eigenen Vorteil im
Sinn hätten. Jetzt, da in der Causa Guttenberg genau das der Fall ist
(da verfolgt einer ohne Rücksicht auf Verluste ausschließlich seine
eigenen Interessen), gehen die Bürger gnädig mit ihm um. Dass
CDU-Kanzlerin Angela Merkel zu Guttenberg im Amt belässt, wird
mehrheitlich begrüßt. Dessen Sympathiewerte steigen in Umfragen sogar
noch. Lediglich bei nicht repräsentativen Online-Umfragen spricht
sich eine Mehrheit für den Rücktritt aus. Wie schon in der Diskussion
um das Buch von Thilo Sarrazin tut sich in Deutschland ein tiefer
Graben auf zwischen akademischer Elite, der Führung des Landes sowie
veröffentlichter Meinung auf der einen Seite und der öffentlichen
Meinung auf der anderen. Das Volk denkt völlig anders als seine
Vordenker. Die sozial-materielle Spaltung setzt sich im
Wertezusammenhalt fort. Ein Grund zur Sorge. Als Margot Käßmann wegen
eines Fehlers im Straßenverkehr alle kirchlichen Ämter niederlegte -
übrigens, weil sie ihre Glaubwürdigkeit in Frage gestellt sah -,
waren sich noch alle einig. Mit großem Bedauern wurden die Rücktritte
für richtig und unausweichlich gehalten. Guttenberg und die Kanzlerin
verhalten sich mit einem Seitenblick auf die Umfragen entgegengesetzt
zu Käßmann. Sie opfern die Glaubwürdigkeit auf dem Altar der
Zustimmung. Damit kehrt sich Angela Merkel endgültig vom eigenen,
bisher sauberen Kurs in Sachen Wertefragen ab. Sie war es, die das
System der schwarzen Kassen Helmut Kohls kritisierte und sich damit
im Jahr 2000 mutig vom Altkanzler löste. Der war ein Meister des
Aussitzens: Egal wie verwerflich mein Tun auch ist, wenn ich
starrsinnig genug sitzen bleibe, überstehe ich alle Kritik. Diese
Strategie wenden die Kanzlerin und ihre Getreuen nun auch an. Werte
aber sind unteilbar. Wenn sie jetzt für beliebte Politiker oder die
Spitze des Staates nicht mehr gelten, hat sich der Werteverfall bis
ganz oben durchgefressen. Für die Demokratie ist das
besorgniserregend.



Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de


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