(Registrieren)

BERLINER MORGENPOST: Kommentar zu Guttenbergs Plagiats-Affäre

Geschrieben am 17-02-2011

Berlin (ots) - Nur mal angenommen, die Dissertation eines
nachrangigen Kabinettsmitglieds, Dirk Niebel etwa oder Ilse Aigner,
wiese die gleichen Mängel auf wie die Doktorarbeit von Karl-Theodor
zu Guttenberg - was wäre geschehen? Vermutlich nicht viel. Eine
Meldung hier und da, ein paar höhnische Bemerkungen. Und fertig. Aber
der Freiherr ist nicht irgendein Minister. Er hat einen rasanten
Aufstieg hingelegt wie kein anderer bundesdeutscher Politiker vor
ihm. Er genießt außergewöhnliche Beliebtheit und verfügt über die
rare Ressource Charisma. Seine Herkunft verheißt Würde und
Integrität, er predigt Anstand, das Tadellose bildet den Kern dieses
Politikers. Allenfalls Ursula von der Leyen gehört noch zur Spezies
jener traditionsgeprägten Ehrenpolitiker, die Verantwortung gleichsam
in der DNA tragen und sich damit vom gut- bis kleinbürgerlichen
Volksvertreter abheben oder abgehoben werden. Der lückenlose
Nachweis, dass Guttenberg bei seiner Arbeit nicht nur ein paar
Anführungsstriche vergaß, sondern offenbar - Eile, Vorsatz oder
beides - ganze Passagen kopierte, trifft die vermeintliche Integrität
jener Lichtgestalt daher umso härter und wirft Fragen auf, die der
Beschuldigte sich selbst, seiner Familie, der wissenschaftlichen
Community oder der Öffentlichkeit beantworten muss. Wie kann es
beispielsweise sein, dass ein karrierehungriger Politiker
ausgerechnet Teile der Einleitung aus der FAZ übernimmt? Die
einführende Darlegung des Forschungsgegenstandes am Anfang sowie die
Zusammenfassung der Ergebnisse am Ende bergen das Wesentliche jeder
wissenschaftlichen Arbeit. Seltsam, dass ausgerechnet der
wortmächtige Gelegenheitsjournalist Guttenberg in seiner Biografie
eine derart offenkundige Schwachstelle schuf. Das Diss-Desaster fügt
sich in eine Reihe von Problemen, von denen die "Gorch Fock" noch das
geringste ist, auch wenn seine Autorität bei der Truppe gelitten hat.
Politisch bedrohlicher ist die Bundeswehr-Reform, die der Minister
mit Sparversprechen begann, um gleich darauf mehr Geld zu fordern.
Diese Strategie erregte den Zorn der Kabinettskollegen, die das sture
Nein von Kassenwart Schäuble ausdrücklich und ausnahmsweise
begrüßten. Nun lassen sich Bundeswehr-Tragödien und
Haushaltszankereien wegargumentieren. Der Plagiatsvorwurf indessen
trifft den Aufsteiger erstmals frontal. Niemand anders ist
verantwortlich zu machen. Ein Rauswurf als Krisenreaktion geht nicht,
es sei denn, der Verteidigungsminister träte freiwillig zurück, etwa
um die vermurkste Arbeit noch mal durchzugehen. Wird er aber nicht.
Guttenberg ist nicht Käßmann. Im Widerstreit von Ehre und Aussitzen
entscheidet auch ein Edelmann pragmatisch, auch wenn ein Rücktritt
ihn zum unangreifbaren Heiligen machen würde. Fraglich bleibt, ob die
Deutschen ihrem Lieblingspolitiker nachhaltig grollen oder die Causa
Doktorarbeit als eine Art Jugendsünde verzeihen. Am Ende jedenfalls
steht die wohltuende Erkenntnis, dass es Märchenprinzen ebenso wenig
gibt wie lebenslange Überflieger. Übers Wasser laufen konnte eben nur
einer. Guttenberg kann nicht mal unauffällig schummeln.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

316488

weitere Artikel:
  • Rheinische Post: WestLB: Krafts Zahlenspiele Düsseldorf (ots) - Ein Kommentar von Georg Winters: Hannelore Kraft hat sich mit der öffentlichen Einschätzung, das Land Nordrhein-Westfalen müsse in den nächsten Monaten 3,5 Milliarden Euro an Belastungen für die WestLB stemmen, keinen Gefallen getan. Entweder ist das Ganze bloß ein politischer Schachzug, der das Landesverfassungsgericht dazu bringen soll, den NRW-Nachtragshaushalt mit den angeblichen Zusatzlasten für die WestLB doch noch durchzuwinken. Das wäre ein durchsichtiger Trick, der in Münster kaum verfangen dürfte. Oder mehr...

  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Sterbehilfe Bielefeld (ots) - Die deutsche Ärzteschaft hat es geschafft, ihr hohes Berufsethos an den medizinischen Alltag anzupassen. Sie formuliert eine Art Kompromisslinie zur Sterbehilfe in Ausnahmesituationen. Streng logisch gibt es bei der Frage nach Leben und Tod kein Durchmogeln - und doch geschieht genau das in der Praxis immer wieder. Wer das Problem grundsätzlich lösen will, kann nur scheitern. Zum einen gibt es den hohen und unerschütterlichen Grundsatz, dass Ärzte Heiler sind und nichts anderes. Das ist gut so und muss so bleiben. mehr...

  • Rheinische Post: Bildungs-Schulden Düsseldorf (ots) - Ein Kommentar von Frank Vollmer: Unternehmensberater hätten ihre Freude an der Sprache, in der Bildungsforscher und Gewerkschafter gestern in Bochum Änderungen in der nordrhein-westfälischen Bildungspolitik gefordert haben. Von "Effizienz" war da die Rede, von "Benchmarks" und "Output-Steuerung". Feiert jetzt etwa der stets fleißig verteufelte Neoliberalismus (was auch immer das sein mag) einen späten Sieg? Weit gefehlt. Was nach dem Lob der Leistung durch Konkurrenz klingt, ist in Wahrheit ein alter Hut - mehr...

  • Rheinische Post: Festung Europa Düsseldorf (ots) - Ein Kommentar von Helmut Michelis: Es sind Zehntausende meist junge Männer, die nichts zu verlieren haben. Aber Europa reagiert erschreckend hilflos auf den Flüchtlingsstrom nicht nur aus den taumelnden Diktaturen Nordafrikas. Und in Deutschland streitet man darüber heftig. So tritt die Polizeigewerkschaft für eine "Festung Europa" ein, bewacht durch eine schlagkräftige EU-Küstenwache. Die Arbeiterwohlfahrt lädt dagegen die Migranten ausdrücklich nach Deutschland ein: Asylanträge von Tunesiern seien großzügig mehr...

  • Südwest Presse: Kommentar: zu Guttenberg Ulm (ots) - Aber klar: Bert Brecht hat sich für die Dreigroschenoper bei François Villon bedient, Goethe nahm für "Über allen Gipfel ist Ruh" Anleihen bei Johann Daniel Falk. Befindet sich Karl-Theodor zu Guttenberg also in guter Gesellschaft? Bedauere. Abkupfern ist nicht gleich abkupfern. Der Minister hat vor fünf Jahren eine wissenschaftliche Arbeit abgeliefert. Sie verlangt neue Erkenntnisse und schreibt vor, geistige Leistungen anderer eindeutig zu kennzeichnen. Nur so können Gutachter beurteilen, wie viel Gehirnschmalz ein mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht