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Landeszeitung Lüneburg: Landeszeitung Lüneburg: Futterkrise auf offener See -- Interview mit Professor Boris Worm zu dem erschreckenden Planktonschwund im sich erwärmenden Meer.

Geschrieben am 05-08-2010

Lüneburg (ots) - Satellitengestützte Untersuchungen des
Phytoplankton-Gehaltes der Meere reichten nicht aus, um langfristige
Trends zu erkennen. Wie erhielten Sie eine 100 Jahre zurückreichende
Datenreihe?

Prof. Boris Worm: Zunächst haben wir uns eine grundsätzliche Frage
gestellt: Ist das Meer grüner oder blauer geworden? Hat das Meer mehr
pflanzliche Biomasse, also vor allem mehr Phytoplankton, das die
meisten Ökosysteme erhält. Satellitendaten sind für diese
Fragestellung sehr gut zu verwenden, global täglich zu erhalten, in
sehr guter Auflösung. Das Problem ist aber, dass sie nur für die
letzten zwölf Jahre durchgängig vorliegen. Daneben gibt es nur noch
ein kleines Fenster von Satellitendaten Ende der 70er-, Anfang der
80er- Jahre. Wir wollten sehen, ob es überhaupt einen längerfristigen
Trend gibt. Insgesamt haben wir rund eine halbe Million Daten von
direkten Planktonbeobachtungen im Ozean gesammelt. Da"runter fallen
die Entnahme von Proben durch Wissenschaftler zur Planktonbestimmung,
aber auch historische Daten, die bis ins Jahr 1899 zurückreichen --
die sogenannten Secchi-Daten. Der Jesuitenpater Pietro Angelo Secchi
war im 19. Jahrhundert von der päpstlichen Flotte beauftragt worden,
die Wasserklarheit des Mittelmeers zu kartieren. Zu diesem Zweck
erfand er ein einfaches, noch heute genauso verwendetes Hilfsmittel
-- die Secchi-Scheibe, eine weiße, runde Platte von etwa 30
Zentimetern Durchmesser. Sie wird an Schnüren ins Wasser gelassen.
Ist sie von Bord aus nicht mehr zu erkennen, hat sie die Sichttiefe
erreicht, woraus sich die Planktondichte ermitteln lässt. Seit 1950
erhob man zusätzlich Daten mittels optischer Untersuchungen von
Wasserproben. Am Ende belegte die riesige Datenmenge einen klaren
langfristigen Trend: Die Masse des Phytoplanktons nahm im Mittel
global ab -- also wurde das Meer blauer. Aber nicht überall: In den
Küstenbereichen nahm die Planktonmenge zu, vor allem seit 1980 --
mutmaßlich wegen der zunehmenden Bevölkerungsdichte an den Küsten und
den verstärkten Abwässern.

"Das Meer ist blauer geworden" klingt charmant, ist aber
dramatisch: Pflanzliche Bakterien und Algen, die am Beginn jeder
marinen Nahrungskette stehen, vermindern sich jedes Jahr im Vergleich
zum globalen Mittelwert um ein Prozent. Ist das globale Ökosystem
bedroht?

Prof. Worm: Ja, das Phytoplankton hat im globalen Mittel seit 1950
um etwa 40 Prozent abgenommen. Das ist ein erschreckender Wert, weil
das Plankton letztlich die Nahrungsgrundlage fast aller
Meeresorganismen darstellt. Für die Nahrungsketten ist das ein
Prob"lem, sie werden sich zusammenziehen.

Welches sind die unmittelbaren Folgen für die Aufnahme von CO2 in
Biomasse?

Prof. Worm: Die ist ebenfalls rückgängig. Pflanzliches Plankton
nimmt ja Kohlendioxid auf, baut Biomasse auf und gibt Sauerstoff ab.
Allerdings muss ich einschränken, dass wir nur die Menge an Plankton
bestimmt haben -- nicht dessen Produktivität. Es ist also durchaus
denkbar, dass die Produktivität nicht im selben Maße abgenommen hat
wie die Biomasse. Dass sie aber deutlich zurückgegangen ist, davon
ist auszugehen, bis wir hierüber belastbare Daten ermitteln. Die
"biologische Pumpe" -- die Aufnahme von CO2 durch Plankton, dessen
Absinken in die Tiefsee, wo es das Treibhausgas zunächst dem
Klimageschehen entzieht, ist ein wichtiger, wenn auch nicht
dominanter Teil des Kohlenstoffkreislaufs. Die Menge des direkt im
Wasser gelös"ten CO2 ist allerdings größer ist als die vom Plankton
verarbeitete. Beim produzierten Sauerstoff und der Biomasse muss
ebenso von einem Rückgang ausgegangen werden. Offen ist noch, wie
hoch dieser ausfällt.

Ist die steigende Temperatur des Oberflächenwassers schuld an dem
Planktonschwund?

Prof. Worm: So sieht es aus. Global steigt die mittlere Temperatur
des oberflächennahen Wassers. Mit dieser Erwärmung nimmt die
Schichtung im Wasser zu. So wie in einem See im Sommer. Da aber große
Teile des offenen Ozeans rund ums Jahr geschichtet bleiben, können
Nährstoffe dann nur schwer aus der Tiefe aufsteigen und somit an der
Oberfläche rar werden. Das stellt ein Nachschubproblem für das
Phytoplankton dar.

Wieso nahm der Phytoplankton-Gehalt im nördlichen und südlichen
Indischen Ozean gegen den globalen Trend zu? Sind das stärker
durchmischte Küstengewässer?

Prof. Boris Worm: Nein, die dortige große Küstenlinie spielt eher
keine Rolle. Zum Beispiel sorgen die Dynamik des Monsuns und das
Abschmelzen der Gletscher im Himalaya für einzigartige Bedingungen im
nördlichen und südlichen Indischen Ozean, die anders sind als die im
Pazifik oder Atlantik.

Eine derart gewaltige Verringerung der Basis der Nahrungsketten
müsste schon längst erhebliche Folgen zeitigen. Warum wissen wir noch
nichts von solchen Folgen? Maskiert die Zunahme an Plankton vor den
Küsten solche Effekte?

Prof. Worm: Ich denke, man kann noch nicht mal sagen, dass man
etwas übersehen hat, weil wir noch gar nicht nachgeguckt haben. Bevor
wir unsere Untersuchung starteten, sagten mir manche Ozeanographen:
Beim Plankton werdet ihr keinen langfristigen globalen Trend
entde"cken. Wenn es da etwas Dramatisches gäbe, hätten wir das schon
mitgekriegt. Dem ist tatsächlich nicht so. Erstaunlicherweise war die
langfristige Entwicklung auf dem offenen Ozean weitgehend unbekannt.
Erstaunlicherweise, weil es sich immerhin um zwei Drittel der
Erdoberfläche handelt -- das größte Ökosystem der Erde.

Entpuppen sich manche schrumpfenden Fischbestände jetzt nicht als
Opfer von Überfischung, sondern der versiegenden Nahrungsquelle?

Prof. Worm: In der Fischerei stagniert die Fangmenge seit Ende der
achtziger Jahre -- damals durchaus überraschend -- und geht sogar
leicht zurück. Kanadische Kollegen errechneten eine Abnahme der
Fangmenge von einem halben bis zu einem Prozent pro Jahr. Das wurde
bisher immer der Überfischung zugeschrieben. Das wird auch der
Hauptgrund sein, aber andere Prozesse spielen möglicherweise auch
eine Rolle. Deshalb versuchen wir in neuen Forschungsprojekten, uns
von den möglichen künftigen Entwicklungen in der Fischerei ein Bild
zu machen.

Der Mensch schlägt den Nahrungsketten die Basis weg. Bekommt er
noch eine Chance, diesen Fehler zu korrigieren?

Prof. Worm: Wir haben immer eine Chance, unsere Fehler zu
korrigieren. Wenn man rausfährt aufs offene Meer, sieht man dort
immer noch sehr viel Leben. Es wirkt bestimmt nicht so, als ob der
Ozean stürbe. Das heißt aber nicht, dass nicht schon eine Abnahme
stattgefunden hat. Besonders bei den großen Raubfischen sind große
Rückgänge zu verzeichnen. Wenn der Rückgang des Planktons wirklich
auf die Klimaerwärmung zurückgeht, wovon ich ausgehe, kann man dies
nicht regional bekämpfen, sondern nur durch globale Zusammenarbeit.
Das müssen wir auch, nicht nur, um das Plankton zu schützen, sondern
auch, um den Planeten für uns lebenswert zu erhalten. Ob wir unsere
Chance nutzen, liegt daran, wie entschieden wir daran gehen, eine
kohlenstoffneutrale Gesellschaft zu werden. Aufgrund der begrenzten
Ressourcen müssen wir das ja sowieso früher oder später tun. Wenn wir
mit dem Umbau heute beginnen, wird der Übergang weniger schmerzhaft.
Das Interview führte Joachim Zießler

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Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
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Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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