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WAZ: Merkels verpasste Chance - Gerne Gabriels Gauck. Leitartikel von Ulrich Reitz

Geschrieben am 04-06-2010

Essen (ots) - Horst Köhler hat mit seiner historisch einmaligen
Flucht aus dem Amt der angesehensten Institution in Deutschland
geschadet. Es wäre nun die Angelegenheit der Kanzlerin gewesen,
diesen Schaden zu beheben. Diese Chance hat sie verpasst.

Sicher, es ging bei dieser Spitzenpersonalie immer schon
parteipolitisch zu. Schließlich leben wir in einer
Parteiendemokratie. Zu den darüber hinweg tröstenden Gewissheiten
gehört, dass sich bislang noch jeder parteilich ausgekungelte
Präsident aus den klebrigen Fängen seiner Erfinder löste und
überparteilich handelte, sobald er im Amt war. Wahr ist freilich
auch, dass Parteien immer dann überparteiliche Kandidaten in den Sinn
kommen, wenn diese chancenlos sind. Und doch war Angela Merkels
Entscheidung für ein Weiter So der aktuellen, krisenhaften Lage nicht
angemessen. Sie war instinktlos und falsch.

Die durch Köhler verursachte neue Lage hätte ein neues Denken
verlangt. Merkel hätte sich mehr um das Amt und dessen Ansehen in der
Bevölkerung kümmern müssen als um ihre Union und ihre Koalition mit
der FDP, kurz: Sie hätte stärker die Demokratie in den Blick nehmen
müssen als sich selbst. Das freilich hätte Souveränität
vorausgesetzt.

Joachim Gauck ist ein beeindruckender Mann, ein herrlicher Redner
und leidenschaftlicher Freund der Freiheit. Nichts adelt ihn, dessen
Vater von Stalins deutschen Brüdern nach Sibirien deportiert wurde
und den die Kommunisten ausschließlich Theologie studieren ließen,
mehr als das Urteil der DDR-Staatssicherheit über ihn:
"Unverbesserlicher Antikommunist". Wenn sich nun die Linkspartei über
Gauck erregt, ist das erfreulich entlarvend. Herzlichen Dank in
diesem Zusammenhang an die Herren Gabriel und Trittin. Sie haben uns
die Peinlichkeit eines Rot-Rot-Grünen Kandidaten erspart. Nachdem
Sozialdemokraten und Grüne erst unlängst in Düsseldorf erleben
mussten, dass Linkspartei-Repräsentanten nicht einmal nach
intensiver, stundenlanger Diskussion zu einem eindeutigen Urteil
über den Unrechtsstaat DDR finden, ist Gauck ein wohltuendes Signal.
Als die SED noch nicht Linkspartei hieß, aber schon PDS, sprach Gauck
treffend von den "roten Reaktionären".

Noch am Donnerstagabend, während einer Telefonkonferenz mit ihrem
CDU-Bundesvorstand, nannte Merkel den Parteilosen Gauck eine
"beeindruckende Persönlichkeit". Wie, außer durch Zuhilfenahme
ausschließlich Partei-opportunistischer Argumente, will sie
eigentlich zweifelnde Bundesversammelte überzeugen, Christian Wulff
ihre Stimme zu geben und nicht Gauck, jenen Mann, den einst Helmut
Kohl in dessen Amt holte?

Parteiliches Handeln ist auf Dauer nur erträglich, wenn
Parteipolitiker wenigstens in den besonderen Momenten die Kraft
finden, über sich selbst hinaus zu wachsen.

Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55903
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_55903.rss2

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de


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