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Landeszeitung Lüneburg: ,,Brandmauer um Griechenland verhindert Domino-Effekt" -- Interview mit dem Wirtschafts- und Finanzexperten der FDP im Europäischen Parlament, Dr. Jorgo Chatzimarkakis.

Geschrieben am 29-04-2010

Lüneburg (ots) - Die Hellas-Krise hält Europa in Atem. Das
deutsche Zögern bei der Bewilligung der Nothilfe erzürnt manche
Nachbarstaaten. Immer mehr Politiker kritisieren die Rolle der
Ratingagenturen, deren Urteile über die Kreditwürdigkeit von Staaten
ganze Volkswirtschaften ins Desaster stürzen können. Dr. Jorgo
Chatzimarkakis betont im Interview mit unserer Zeitung, dass das
Hilfspaket eine einmalige Sache für Europa bleiben muss. Aber: Werde
die europäische Wirtschaftspolitik künftig besser koordiniert, könne
Europa gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Beendet die Pleite Griechenlands die Erfolgsgeschichte des Euro?

Dr. Jorgo Chatzimarkakis: Griechenland ist noch nicht pleite. Wir
versuchen derzeit, die Zahlungsfähigkeit Griechenlands zu erhalten.
Es wird ein Programm verabschiedet, das dem Land hilft, innerhalb von
drei Jahren wieder auf die Beine zu kommen. Noch sind Korrekturen
notwendig. Aber die Aussicht ist da, dass Griechenland es schaffen
kann.

Populärer werden Rufe nach der D-Mark oder nach einem Rauswurf
Griechenlands aus dem Euro-Raum. Was antworten Sie den Nostalgikern?
Dr. Chatzimarkakis: Der Rauswurf von Griechenland würde zu einer
Einführung der Drachme und derer massiven Abwertung führen. Damit
wäre Griechenland unfähig, die bestehenden Schulden -- die in Euro zu
Buche stehen -- zu bezahlen. So was könnte man auch als "Todesspirale
der Abwertung" bezeichnen. Einer der größten Gläubiger, Deutschland,
würde dann leer ausgehen. Die Kosten würden dann auf den Steuerzahler
abgewälzt werden. Ein Austritt Deutschlands aus der Euro-Zone wäre
ebenfalls extrem teuer und hätte unabsehbare wirtschaftliche Folgen.

Wieder steht die Politik -- und damit der Steuerzahler -- für
fragwürdige Kreditpolitik gerade. Haben wir aus der Finanzkrise
nichts gelernt? Dr. Chatzimarkakis: Zunächst einmal: Noch fließt
kein Steuergeld nach Griechenland, sondern lediglich Bankkredite von
der öffentlichen KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau). Wenn alles gut
läuft, wird die Bundesrepublik dabei sogar eine hohe Millionensumme
an Gewinn machen, da Berlin Darlehen an Athen zu einem höheren Zins
vergibt, als es selbst auf dem Kapitalmarkt zahlen müsste. Fakt ist
aber auch, dass wir aus der Finanzkrise nichts gelernt haben, wenn
wir den Ratingagenturen die absolute Deutungshoheit bei der Bewertung
von Volkswirtschaften überlassen. Hier ist sofortiges Handeln
unbedingt nötig, um einen Dominoeffekt unter den anderen
Defizitsündern im Euroraum zu verhindern.

Reichen die 45 Milliarden Euro für 2010 oder droht ein Fass ohne
Boden? Dr. Chatzimarkakis: Die 45 Milliarden müssen am kommenden
Wochenende noch von IWF, Europäischer Zentralbank und Europäischer
Kommission bestätigt werden. Danach werden wir klarsehen, ob diese
Summe 2011 und 2012 jeweils noch mal gestemmt werden muss oder nicht.
Ich denke, wenn Griechenland das Sparpaket umsetzt, hat das Fass
einen Boden.

Können steigende Zinsen und der verordnete radikale Sparkurs
Griechenland erst recht in den Staatsbankrott treiben? Dr.
Chatzimarkakis: Die steigenden Zinsen sind ein vo"rübergehendes
Phänomen, gespeist aus der Sorge, dass das Risiko zu groß ist. Sobald
das Hilfspaket greift, geht der Risikoaufschlag wieder runter.
Bezogen auf die griechische Wirtschaft ist das Sparpaket allerdings
einzigartig in der jüngeren Geschichte. Vergleichbar ist es nur mit
der Brüningschen Deflationspolitik in der Weimarer Republik -- die
bekanntlich in der politischen Katastrophe des Dritten Reiches
endete. Es muss also neben dem Sparprogramm weitere Bemühungen geben,
um die griechische Wirtschaft wieder anzukurbeln. Derzeit sammeln wir
Ideen, wie die griechische Wirtschaft eigeninitiativ werden kann.

Weckt Europa mit der Nothilfe für Griechenland nicht zu erfüllende
Begehrlichkeiten, falls auch Spanien, Portugal oder Italien
straucheln? Dr. Chatzimarkakis: Es war von entscheidender Bedeutung,
eine Brandmauer um Griechenland zu ziehen, damit der Domino-Effekt
nicht einsetzt. Deswegen muss dieses Hilfspaket auch den Charakter
der Einmaligkeit haben und darf nur als Ultima ratio ausgezahlt
werden, um Schaden von der Euro-Zone abzuwenden. Gleichwohl wirft die
unmittelbare Abwertung Portugals durch die Ratingagenturen die Frage
auf, ob es dort eine Strategie gibt, den Dominoeffekt zu fördern.
Daher brauchen wir dringend eine neue Ausgestaltung der
Finanzaufsicht ESMA. Eigentlich sollte sie erst zum 1. Januar 2011
aktiv werden. Das muss vorgezogen werden, um Inte"ressenkonflikte
zwischen Ratingagenturen und Bankhäusern auszuschließen.

Ist die Einbindung des IWF in das Hilfspaket nicht ein
Offenbarungseid des größten Wirtschaftsraumes der Welt? Washington
und Peking wird so Zugriff auf EU-Währungspolitik gewährt. Dr.
Chatzimarkakis: Die Methode des IWF zur Sanierung von Staaten halte
ich für absolut richtig. Die EU hatte bisher keinen Methodenkatalog,
wie man Volkswirtschaften aus derartigen Krisen wieder rausholt. Ich
war aber von Anfang an gegen die Verwendung von IWF-Geld im
Hilfspaket. Denn damit hat man automatisch die große Vetomacht USA
mit in der Kommandozentrale des Euroraums. Das war nicht vorgesehen,
schließlich ist der Euro ein strategisches Mittel, um Europas
Wettbewerbsfähigkeit global zu sichern. Eigentlich hätte Europa die
Verwendung von IWF-Geldern verhindern müssen.

Das Nichteingriffsgebot wurde damals auf deutschen Druck in der
Währungsunion zementiert. Wird es Zeit, dass es gestrichen wird? Dr.
Chatzimarkakis: Ich halte nicht so viel davon, die No-Bail-out-Rule,
die Regel, dass kein EU-Land das andere aus einer Schuldensituation
heraushauen darf, zu streichen. Ich bin eher dafür, dass man den
Stabilitätspakt buchstabengetreu umsetzt -- was leider in den
vergangenen zehn Jahren nicht der Fall war. So gab es nach der
Statistikfälschung Griechenlands ein gezieltes Wegschauen. Und der
damalige Innenminister Wolfgang Schäub"le hatte ein Veto eingelegt
gegen mehr Aufsichtsrechte von Eurostat. Damit hat er eine bessere
Umsetzung des Stabilitätspaktes mitverhindert. Andererseits hat
Deutschland unter Finanzminister Hans Eichel den Stabilitätspakt
aufgeweicht. Das Gegenteil muss getan werden. Auf der Basis des
Nichteingriffsgebotes muss der jeweilige Defizitsünder vom
Verteilungsprozess ausgeschlossen werden. Strafen müssen automatisch
und ohne vorherige Verhandlungen der Staaten verhängt werden.

Wie kann Europa gewährleisten, dass Athen das Spar- und
Reformpaket umsetzt? Dr. Chatzimarkakis: Das gelingt nur durch eine
stärkere Haushaltsaufsicht seitens der EU-Kommission. Ich fordere
seit langem einen EU-Sonderbeauftragen für dieses Programm. Welche
Kontroll- oder Gestaltungsmöglichkeiten hat das Europäische Parlament
in dieser Krise? Dr. Chatzimarkakis: Das Europäische Parlament hat
dazu beigetragen, dass in Europa neue Bankenaufsichtsmechanismen
schnell und umfassend umgesetzt wurden. Es stieß an, dass die Rolle
von Eurostat bei der Überwachung des Stabilitätspaktes gestärkt
werden soll -- was aber von Mitgliedsstaaten blockiert wurde. Jetzt
haben wir einen Sonderausschuss zur Überwindung der Finanz- und
Wirtschaftskrise eingerichtet. In der Vergangenheit war es oft so,
dass die Kommission den in derartigen Ausschüssen formulierten
Vorschlägen gefolgt ist. Darin liegt unsere Aufgabe etwa bei der
jetzt anstehenden Schaffung einer europäischen Ratingagentur.

Birgt Griechenlands Tragödie eine Chance? Mehr wirtschaftliche
Koordinierung würde mehr Europa bedeuten und den Geburtsfehler des
Euro beheben. Dr. Chatzimarkakis: In der Tat hat der Euro den großen
Geburtsfehler, eine Währungsunion ohne eine gleichzeitige echte
politische Union geschaffen zu haben. Wir stehen jetzt vor der
Aufgabe, mehr Kohärenz in die Wirtschafts- und Finanzpolitik zu
bringen -- also unsere Wirtschaftspolitik besser aufeinander
abzustimmen. Anderenfalls drohen Ungleichgewichte im Euro-Raum, die
der Euro eventuell nicht überlebt. Daher müssen wird die Lehren rasch
ziehen und umsetzen. Dann gehen wir aus dieser Krise gestärkt hervor.

Das Interview führte Joachim Zießler

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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