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LVZ: Leipziger Volkszeitung zu Günter Grass

Geschrieben am 14-08-2006

Leipzig (ots) - Spießer Grass
Von Bernd Hilder
Laut Duden ist eine Unperson jemand, den die Medien bewusst
ignorieren. Das ist schlimm für Rampenlicht-Liebhaber. Günter Grass,
Literaturnobelpreisträger und Ikone linksorientierter und angeblich
anti-kleinbürgerlicher Moralchirurgie, treibt plötzlich die
bourgeoise Angst um, nicht mehr in seiner ganzen Geistesgröße
wahrgenommen zu werden. Nach seinem viel zu späten Eingeständnis, als
Halbwüchsiger in der Waffen-SS gedient zu haben und einigen Tagen der
Schreckstarre über die Heftigkeit der Reaktionen, glaubt Grass nun,
Majestätsbeleidiger wollten ihn zur Unperson degradieren. Grass - das
Opfer: Schon wieder eine blechtrommelnde Selbstinszenierung,
offenbarend selbstgefällig. Mit aggressiver Wehleidigkeit will der
strauchelnde Titan nach Jahrzehnten der intellektuellen und gnadenlos
messerscharfen Arroganz zweifelnde Anhänger besänftigen.
Was hat Grass denn erwartet nach dem kühl kalkulierten Rausposaunen
einer verzeihbaren Jugendsünde, der er sich hinterlistig bisher
bestenfalls im langsamen, verschämten Krebsgang genähert hatte? Lob
für späte Ehrlichkeit, wo doch bei einer Instanz des erhobenen
Zeigefingers wie ihm verheimlichen bestenfalls wie lügen wirkt?
Nachsicht bei Linken und Verständnis bei Bürgerlichen und Rechten,
die ihn bisher parteipolitisch einäugig erlebten? Bis zur
Kapitulation 1945 war Grass ein ahnungsloser Mitläufer. Ein durch
Massenpropaganda Verblendeter. So weit, so durchschnittlich: Grass
als das verspätete Exempel deutscher Diktaturen-Normalität.
Was danach folgte, zeigt Grass nicht nur als antifaschistischen
Mahner, parteipolitischen Einpeitscher, aufsteigenden Literaten und
deutsch-polnischen Versöhner, sondern auch als ruchlosen
Opportunisten, der verschweigt, was seiner literarischen Karriere im
Wege stehen könnte. Dafür setzte er seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel
- und verlor. Dass Grass mit seiner Nazi-Vergangenheit ausgerechnet
jetzt, im hohen Alter, reinen Tisch macht, ist kein Zufall. Hätte er
sich schon vor Jahren bekannt, wäre ihm der Nobelpreis mit ziemlicher
Sicherheit versagt geblieben. Hätte er das Geheimnis mit ins Grab
genommen, hätte er keinen Deutungseinfluss mehr gehabt, falls dieser
brisante Makel seines Lebens später publik geworden wäre. Grass zu
unterstellen, er habe seine Autobiografie mit einem Reklame-Kracher
promoten wollen, dürfte er selbst als Beleidigung seiner Intelligenz
betrachten. Nicht das Ausplaudern, sondern das Schweigen des Dichters
war ihm nützlich. Seitdem er spricht, löst er nicht das Knäuel eines
widersprüchlichen Lebens auf, sondern verstrickt sich verstockt noch
mehr, schon wieder besserwisserisch.
Provokant wirft Grass der angeblich grauenhaften und verlogenen
Nachkriegsgesellschaft Adenauers Spießig-keit vor, die es so nicht
mal bei den Nazis gegeben habe. Die hätten auf oberflächliche Weise
eine Volksgemeinschaft etabliert, in der Klassenunterschiede keine
große Rolle gespielt hätten. Solche zündelnden, unhistorischen Sätze
wird Grass erläutern müssen. Eines aber ist bereits klar: Mit den
verlogenen Spießern der Adenauer-Ära kann Grass in erster Linie nur
einen gemeint haben: sich selbst.

Originaltext: Leipziger Volkszeitung
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=6351
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_6351.rss2

Rückfragen bitte an:
Leipziger Volkszeitung
Redaktion

Telefon: 0341/218 11558


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