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Landeszeitung Lüneburg: ,,So wichtig wie die Mondlandung" -- Enegieexpertin Dr. Kirsten Westphal fordert Umsetzung des Solarprojekts ,,Desertec"

Geschrieben am 30-07-2009

Lüneburg (ots) - Mit riesigen Solarkraftwerken in der
nordafrikanischen Wüste wollen 15 Unternehmen Strom erzeugen und nach
Europa transportieren. Am Projekt ,,Desertec" sind unter anderem die
Münchener Rück, RWE, E.ON, die Deutsche Bank sowie Firmen aus der
Solarwirtschaft beteiligt. Die Idee wird kontrovers diskutiert,
obwohl noch ein weiteres derartiges Großprojekt existiert: Der
Solarplan der EU. Dr. Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft
und Politik, einer Denkfabrik der Bundesregierung, ist sich sicher:
"Trotz aller Risiken sind diese Projekte alternativlos. Gefragt sind
jetzt deutsche und europäische Weichenstellungen."

Solarstrom aus der Wüste -- ist dies eine Fata Morgana oder eine
realistische Vision?
Dr. Kirsten Westphal: Das ist eine realistische Vision, wenn man die
nötigen rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen schafft. So
muss Europa die Weichen dafür stellen, dass Solarstrom in Europa auch
über Grenzen hinweg gehandelt werden kann. In Nordafrika müssen
dagegen überhaupt erst mal die Voraussetzungen geschaffen werden,
dass in größerem Maßstab in konzentrierte Solarkraft investiert wird.

Wie groß sind die politischen Risiken in Nordafrika?
Dr. Westphal: Ich würde gar nicht von Risiken sprechen, sondern von
unfreundlichen Rahmenbedingungen. Viele nordafrikanische Staaten sind
Öl- und Gasproduzenten, deren Regime halten sich nicht zuletzt, indem
sie die Profite, die Renten aus diesem Geschäft zum politischen
Machterhalt nutzen. Zudem existieren dort oft noch niedrige, weil
subventionierte Strompreise. Solarstrom, der zu Anfang teuer sein
wird, könnte damit nicht konkurrieren. Und das wäre fatal, weil ein
großer Anteil des erzeugten Stroms vor Ort verkauft werden soll.

Woran hakt die Umsetzung des EU-Solarplanes von 2008?
Dr. Westphal: Zum einen hemmt das globalpolitische Umfeld. Nach dem
Gaza-Krieg haben die arabischen Staaten Ende 2008 und Anfang 2009 die
offiziellen Treffen der "Union für das Mittelmeer" ausgesetzt, unter
deren Dach der Solarplan verwirklicht werden soll. Hinter den
Kulissen arbeiten Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien mit
nordafrikanischen Partnern aber weiter an dem Vorhaben, das die
Installation von 20 Gigawatt in der Region bis 2020 vorsieht.

Aber die Europäer sind sich auch nicht einig: Während Berlin einen
Masterplan favorisiert, setzt Paris auf werbewirksame Pilotprojekte.
Sind sich die Europäer wenigstens über das strategische Ziel einig,
ihre Abhängigkeit von Nahost-Öl und russischem Gas zu verringern?
Dr. Westphal: Ich bezweifle, dass dies das strategische Ziel ist, das
dahinter steht. Vorrangiges Ziel muss es sein, den Umbau unseres
Energiesystems, das auf fossilen Brennstoffen, also Öl, Kohle und Gas
basiert, voranzutreiben und erneuerbare Energien in großem Stil zu
nutzen. Das ist notwendig, um die Klimaerwärmung -- wie nun als
globales Ziel vereinbart -- auf zwei Grad zu begrenzen. Eine dazu
notwendige Reduktion der CO2-Emissionen um mindestens 50 Prozent und
in den Industrieländern um 80 Prozent 2050 ist mit konventionellen
Energien nicht zu erreichen. Da ist es sinnvoller, die größte
Energiequelle überhaupt anzuzapfen, die Sonne. Sie verspricht auch,
die zweite große Herausforderung anzugehen: Die Energiearmut, die in
vielen Regionen herrscht, wo die Mehrheit der Bevölkerung keinen
Zugang zu Strom hat. Solarenergie kann übrigens auch zur Entsalzung
genutzt werden und damit das Wasserproblem eindämmen.

Verwundert es Sie nicht, dass dem Wüstenprojekt angesichts dieser
Tragweite keine Priorität eingeräumt wird wie einst dem
Apollo-Programm?
Dr. Westphal: In der Tat. Nicht zufällig hat E.ON-Chef Wulf Bernotat
das Desertec-Projekt mit der Mondlandung verglichen. Zwar gibt es
nicht diese staatliche Förderung wie damals beim Apollo-Programm,
aber die ersten Schritte wurden gemacht. Das Solarprojekt der EU
bereitet politisch den Boden, Desertec bündelt nun die Interessen der
Industrie. Bevor allerdings Nationen erste Inves"titionen tätigen
können, muss Europa Hindernisse aus dem Weg räumen. So müssen die
Markteintrittsbarrieren für die neuen Kraftwerkstechnologien und den
Solarstrom abgebaut werden, damit dieser nach Europa importiert
werden kann. Dazu muss sicher erstmal Geld in die Hand genommen
werden in Form von günstigen Kredi"ten, Steuererleichterungen,
Einspeisetarifen und Subventionen.

Wären die Übertragungsleitungen ähnlich empfindliche Energieadern
wie Gas-Pipe"lines?
Dr. Westphal: Das ist eine wichtige Frage. Aber: Strom ist mit Öl
oder Gas nicht zu vergleichen. Strom ist eine End"energie, die direkt
in den täglichen Bedarf fließt. Öl und Gas sind dagegen sogenannte
Primärenergieträger, die auch, wenngleich nicht immer leicht,
substituierbar, also zu ersetzen sind. Fällt der Strom aus, merken es
die Nutzer sofort. Insofern ist die Gesellschaft in diesem Punkt
sogar noch verwundbarer als bei russischem Gas. Aber das Gleiche gilt
auch für die Stromproduzenten, weil sich Strom nur sehr unzureichend
speichern lässt. Es liegt also in deren ureigenem Inte"resse, den
Strom zu verkaufen. Zwar ist die Energie-Infrastruktur unserer
Gesellschaft in Gänze sehr empfindlich. Doch im Falle des
Wüstenstroms reden wir nicht von einer Leitung und einem
Großkraftwerk, sondern von vielen in mehr als zehn Ländern. Damit
haben wir eine größere Diversifizierung als beim Gas, wo es nur drei
bis vier Hauptlieferanten für den europäischen Markt gibt.

Muss Europas Energie-Sys"tem für eine Wende hin zu regenerativen
Energien komplett umgebaut werden?
Dr. Westphal: Nein, aber je mehr wir auf Wind, Wasser und Sonne
setzen, desto stärker müssen wir unser Stromnetz modernisieren und
ausbauen. Insbesondere bedarf es der Installation von
Hochspannungsgleichstromleitungen und dem Aufbau eines sogenannten
"super smart grid", das Strombedarf und --erzeugung über intelligente
Informationstechnologien besser managt. Diese Notwendigkeiten
bestehen ohnehin. Damit bestehen aber auch positive Synergieeffekte,
wenn man auf konzentrierte Solarkraft setzt.

Wäre ein Solar-Großprojekt in der Wüste der Todeskuss für eine
dezentrale Energieversorgung, etwa über Solarmodule auf Dächern?
Dr. Westphal: Nein, beides ist kompatibel. Wollen wir dem
Klimawandel wirksam begegnen, brauchen wir die dezentrale
Photovoltaik und die konzentrierte Solar-Power. Das ist gerade auf
globaler Ebene wichtig. Denken Sie an Schwellen- und
Entwicklungsländer mit Megastädten, die versorgt werden müssen, aber
auch Dörfer, die nicht am Stromnetz hängen. Da brauchen wir die
Photovoltaik fürs Land und die Solarthermie für die urbanen Zentren.
Beides ist verknüpfbar, auch in Deutschland. Deutschland muss
allerdings überlegen, ob es weiterhin der Photovoltaik im eigenen
Land Vorfahrt geben soll, etwa über günstige Einspeisetarife, oder ob
hier ein Umschwenken auf mehr importierten Strom aus Solarthermie
sinnvoller ist.

Was kann die EU tun, um die Solarthermie konkurrenzfähig zu
machen?
Dr. Westphal: Kraftwerke hinstellen. Punkt. Die Technologie ist
erprobt, sie läuft. Jetzt muss das Ganze marktfähig und in einen
großindustriellen Maßstab gebracht werden. Die Kos"tensenkung ist
umso stärker, je mehr Kraftwerke man baut. Das muss natürlich in
gegenseitigem Vertrauen und in Kooperation mit den Partnerländern vor
Ort gemacht werden. Konzentrierte Solarkraftwerke sind nur zwischen
dem 35. nördlichen und dem 35. südlichen Breitengrad im Sonnengürtel
der Erde effektiv.

Kann die Industrie die 400 Milliarden Euro Investitions"kos"ten
für Desertec aufbringen, oder müssen die Staaten einspringen?
Dr. Westphal: Die Regierungen sollten schon überlegen, wie sie diesem
Projekt den Weg ebnen können. Sei es durch günstige Kredite oder
Einspeisetarife, sei es durch die Schaffung von Handelsplätzen für
Solarstrom. Letztlich werden die heutigen Kohle- und Atomkraftwerke
ja auch subventioniert, weil viele Folgekosten von der Gemeinschaft
getragen werden. Eine noch ungelöste Frage ist aber der Ausbau von
Netzen. Auf Europas Energiemarkt regiert eine Kultur des Wettbewerbs
-- geringe Kosten und Zugang für alle zu den Netzen. Jetzt sind wir
aber an einem Punkt angekommen, an dem erhebliche Investitionen in
die Netze vorgenommen werden müssen. Das werden die Konzerne nicht
alleine stemmen können oder wollen. Hier wäre ein Paradigmenwechsel
in der EU sinnvoll: Weg vom Wettbewerb, hin zu mehr
Versorgungssicherheit auch durch moderne Netze. Infrastruktur hat
letztlich den Charakter eines öffentlichen Guts. Hier öffnet die
Finanzkrise ein Fenster, das genutzt werden sollte, denn Mittel aus
Konjunkturprogrammen sollen in die Erneuerung der Netze fließen.

Hätte eine Solarpartnerschaft mit Nordafrika das Potenzial, die
Region zu stabilisieren?
Dr. Westphal: Ja, Zusammenarbeit im Energiebereich wirkt
vertrauensfördernd. Entsprechendes erlebte Deutschland im Kalten
Krieg beim Erdgas-Röhren-Deal mit der Sowjet"union. Zudem ist es eine
Grundlinie der EU gegenüber den Mittelmeeranrainern, Stabilität über
wirtschaftliche Zusammenarbeit zu exportieren.

Müssten die Nordafrikaner letztlich "ihren" Solarstrom bei
europäischen Firmen kaufen?
Dr. Westphal: Das ist die große Frage. Das Geschäft mit den
nordafrikanischen Staaten muss in Augenhöhe abgeschlossen werden.
Letztlich darf es nicht darauf hinauslaufen, dass sie teuren
Solarstrom von den Europäern kaufen.

Kann so verhindert werden, dass das Projekt als Neo-Kolonialismus
empfunden wird?
Dr. Westphal: Ja. Die Länder müssen profitieren, mit Arbeitsplätzen,
mit Technologietransfer. Letztlich wird auch weniger Gas und Öl im
Inland verbraucht, das mit mehr Gewinn ins Ausland exportiert werden
kann. Und nicht zuletzt öffnet sich den energiearmen Ländern eine
Perspektive als Energieproduzenten und den energiereichen eine
Perspektive auch nach dem Ölboom strategisch wichtig zu bleiben.
Dennoch bestehen Hürden: Die noch ausstehenden Vorleistungen, etwa
bei der Liberalisierung des Energiesektors, sind politisch schwer
durchzusetzen. Für den Westen gibt es einen zusätzlichen
sicherheitspolitischen Nutzen. Einige nordafrikanische Länder erwägen
den Einstieg in die Atomtechnologie. Kann ihnen Solarstrom
schmackhaft gemacht werden, gewinnen wir global mehr Sicherheit --
sowohl beim Erzeugen der Energie als auch beim Vermeiden der Gefahr,
dass Technologie zum Kernwaffenbau weiterverbreitet wird.

Das Interview führte Joachim Zießler

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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