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Südwest Presse: Kommentar zur Wirtschaftskrise

Geschrieben am 02-04-2009

Ulm (ots) - Die weltweite Wut über die Finanzkrise wächst.
Erstaunlich lange zähmte ein kollektives Gefühl von Ohnmacht,
Unkenntnis und Irritation den Volkszorn über den Zusammenbruch eines
Systems, das auf einen Teufelskreis aus Schulden, Krediten und
Spekulation baute, ehe es am Übermaß von Habgier und
Verantwortungslosigkeit zerbrach. Nun aber, da die Folgen der
geplatzten Geldblase nicht nur in den geplünderten Depots braver
Bankkunden oder an den dezimierten Altersrücklagen fleißiger
Arbeitnehmer sichtbar werden, sondern ganze Unternehmen und viele
Jobs gefährden, ja sogar die Zahlungsfähigkeit souveräner Staaten,
rumort es allerorten, nicht bloß in London.
Es erhebt sich der Protest gegen eine bizarre Form von Sozialismus,
nämlich gegen die Vergesellschaftung von Risiken und Nebenwirkungen
eines Finanzsektors, von dessen undurchsichtigen Mechanismen nur eine
Minderheit profitierte, während die durch den Kollaps verursachten
Kosten und Schulden jetzt in Volkseigentum übergehen. Und es gehört
zu den unerträglichen Ironien der staatlichen Rettungsaktionen zu
Gunsten der Banken, dass ein Teil der steuerfinanzierten Nothilfe als
Bonus oder Abfindung in die Taschen von Managern fließt, die
jedenfalls nicht völlig unschuldig am aktuellen Desaster der
Kreditbranche sind. Wolfgang Schäuble nennt sie "Totengräber der
sozialen Marktwirtschaft".
Dass Transparenz, Kontrolle und Haftung als Prinzipien des
schwunghaften Handels mit immer trickreicheren Finanzprodukten
suspendiert waren, fällt freilich in die Verantwortung der Politik,
die es im Lichte wachsender Wohlstandserträge durch den globalen
Kapitalfluss an Regeln und Schranken für das internationale
Bankenwesen mangeln ließ. Daher richtet sich die anschwellende
Bürgerbewegung auf den Straßen und vor den Werkstoren nicht einseitig
gegen skrupellose Kapitalvernichter auf dem Börsenparkett oder
überforderte Führungskräfte in den Konzernen, sondern nimmt
Regierungen und Parlamente ebenso in die Pflicht für die Rückkehr zu
einer Wirtschaftsordnung mit Maß und Moral.
Eine Politik, die drohende Übel erst erkennt, wenn sie sich deutlich
zeigen, verletzt ihre Grundaufgabe, sagt der Tübinger Philosoph
Otfried Höffe. Prägnanter kann man das Versagen der Politik im
Vorfeld der Finanzkrise nicht beschreiben. Selbst wer anerkennt, dass
demokratische Institutionen in offenen Gesellschaften keineswegs eine
umfassende Verfügungsmacht über alle Lebensbereiche haben (und auch
nicht haben sollen), muss Verständnis dafür aufbringen, dass die
Menschen von der Politik in der gegenwärtigen Lage ein
durchgreifendes Krisenmanagement erwarten und vor allem ein
zukunftsfähiges Vorsorgekonzept für neue Turbulenzen auf den
Finanzmärkten.
Viele Bürger, die bislang nur die Faust in der Tasche geballt haben,
werden es nicht bei dieser eher stillen Form des Unmuts belassen -
wie der Blick nach Griechenland und Frankreich zeigt. Die politische
Klasse und die ökonomische Elite wären deshalb gut beraten, die
Anliegen friedlicher Demonstranten ernst zu nehmen, um Eskalationen
oder Gewalt zu vermeiden. Der freie Markt und ein ungezügelter
Wettbewerb haben die größte Enteignung aller Zeiten verursacht. Das
nehmen die Betroffenen zu Recht nicht klaglos hin.
Es hängt nun alles von der Entschiedenheit der Politik und der
Einsicht der Wirtschaftssubjekte ab, ob der soziale Sprengstoff, den
die Krise ohne Zweifel birgt, explodiert oder durch den Willen zu
Kooperation, Fairness und Nachhaltigkeit entschärft wird. Das aber
erweist sich nicht auf dem einen oder anderen Gipfel, sondern bleibt
eine dauerhafte Aufgabe in der Demokratie.

Originaltext: Südwest Presse
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/59110
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_59110.rss2

Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218


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