Gewebe nicht mit Arzneimitteln gleichstellen - Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen warnen vor hohen Kosten, überbordender Bürokratie und Gefahren für die Transplantationsmedizin
Geschrieben am 27-06-2006 |
Berlin (ots) - Hohe zusätzliche Kosten, Überregulierung und eine Gefährdung der Versorgung mit Gewebetransplantaten - diese Folgen befürchten Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen, wenn die Pläne der Bundesregierung zur Umsetzung der EU-Geweberichtlinie Wirklichkeit werden sollten. Noch vor Abschluss des parlamentarischen Verfahrens für das Gewebegesetz und möglichst noch vor Beginn der Sommerpause will das Bundesgesundheitsministerium (BMG) durch eine Novellierung der Pharmabetriebsverordnung Fakten schaffen: Nahezu alle menschlichen Zellen und Gewebe sollen dem Arzneimittelgesetz (AMG) unterstellt werden. Dagegen haben heute gemeinsam die Bundesärztekammer, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen protestiert.
Beide Rechtsetzungsvorhaben - der Entwurf des Gewebegesetzes und die Pharmabetriebsverordnung - seien pauschal arzneimittelrechtlich ausgerichtet, führten zu einer gravierenden Kostenbelastung und seien zugleich mit einem nicht vertretbaren bürokratischen Aufwand verbunden. Kliniken, die Gewebe zu Transplantationszwecken - wie beispielsweise Herzklappen, Knochenmarkzellen oder Augenhornhäute - entnehmen, konservieren und zur Transplantation abgeben, würden zu pharmazeutischen Unternehmen oder externen Betriebsstätten von diesen gemacht, kritisierten die Verbände. Deshalb müsse der Gesetzgeber Nachbesserungen vornehmen und insbesondere für die Gewebeentnahme eigene Regelungen losgelöst vom Arzneimittelrecht schaffen.
"Die pauschale Anwendung der Vorschriften des AMG auf alle Gewebe und alle Prozessschritte der Spende, Beschaffung und Testung führt zu einer Überregulierung, die weder von der EU-Geweberichtlinie gefordert, noch vom Stand der medizinischen Wissenschaft her geboten ist, dafür aber immense zusätzliche Kosten für die Krankenhäuser und Gewebebanken nach sich zieht", kritisierte Dr. Werner Gerdelmann, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) und des Arbeiter-Ersatzkassen-Verbandes (AEV), für die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen. Es sei davon auszugehen, dass diese Kosten über die Fallpauschalen - sprich DRG - zu einer Steigerung der Leistungsausgaben bei den Krankenkassen führten - "und das in einer Größenordnung, die beitragssatzrelevant sein kann", so Gerdelmann.
Dr. Martin Walger, Geschäftsführer Personalwesen und Krankenhausorganisation der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), zeigte sich erstaunt über den Gesetzentwurf. Er wies darauf hin, dass die heutige Entnahme-Praxis weder Qualitätsmängel aufweise noch Sicherheitsdefizite aufgetreten seien. Walger machte deutlich, dass die Kliniken nach dem aktuellen Gesetzentwurf mit massiven Verschärfungen der baulichen und organisatorischen Anforderungen rechnen müssten. "Die dadurch entstehenden Mehrkosten summieren sich auf einen einstelligen Millionenbereich." Dies sei für die Krankenhäuser nicht zu schultern. In der Folge müssten die Krankenhäuser als Betreiber von Gewebeeinrichtungen ausscheiden.
Die Regelungskonzeption des BMG trifft auch deshalb auf Ablehnung der Verbände, weil die undifferenzierte Unterstellung aller menschlichen Gewebe und Zellen unter das Arzneimittelgesetz nicht von der EU-Geweberichtlinie verlangt wird. Allein die Vielzahl arzneimittelrechtlicher Vorgaben bedingen einen immensen bürokratischen Aufwand mit zum Teil jahrelangen Bearbeitungszeiten durch die zuständigen Behörden. "Besonderer Ausdruck dieser bürokratischen Orientierung ist die Vorwegnahme vieler Detailregelungen des herstellerbezogenen Arzneimittelrechts in der Novelle der Pharmabetriebsverordnung. Geschieht dies, so werden die fehlorientierten arzneimittelrechtlichen Inhalte in einer Weise vorbestimmt, die dem Gesetzgeber kaum noch Spielraum für die Gestaltung des Gewebegesetzes lässt", sagte Prof. Dr. jur. Hans Lilie, Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer.
Im Ergebnis wird aufgrund der jetzt vorliegenden Umsetzungskonzeption die Existenz vieler Gewebebanken gefährdet, da sie nicht mehr wirtschaftlich zu führen sind. "Mit einer solchen undifferenzierten Regelungssystematik, die nur noch Rücksicht auf sich selbst nimmt, gerät die Patientenversorgung mit großenteils lebensnotwendigen Gewebetransplantaten ohne jede Not in Gefahr", warnte Prof. Dr. Gerhard Ehninger, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer.
Gemeinsame Pressemitteilung der Bundesärztekammer, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen
Originaltext: Bundesärztekammer Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=9062 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_9062.rss2
Pressekontakt: Pressestelle der deutschen Ärzteschaft, Tel. (030) 4004 56-700
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
18877
weitere Artikel:
- dbb tarifunion zu Ärzte-Tarifverhandlungen: Spaltung in den Krankenhäusern verhindern Berlin (ots) - Eine "enorme Beeinträchtigung des betrieblichen Klimas in den Krankenhäusern" befürchtet die dbb tarifunion als Folge der Tarifverhandlungen, die die Ärztegewerkschaft Marburger Bund und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) über eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen für die Mediziner an kommunalen Krankenhäusern aufgenommen haben. In einem Schreiben an VKA-Präsident Thomas Böhle stellte der 1. Vorsitzende der dbb tarifunion Frank Stöhr fest: "Zum 1. Oktober 2005 ist nach langen Verhandlungen mehr...
- Der Tagesspiegel: Antje Vollmer enttäuscht über Entscheidung der deutschen Botschaften in Nigeria und Ghana, die Visa für Straßenfußballteams nach Deutschland abzulehnen Berlin (ots) - "Da kann man nur den Kopf schütteln" Die frühere grüne Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer kann über die Entscheidungen der beiden deutschen Botschaften in Nigeria und Ghana "nur den Kopf schütteln". Sie hat vor bald sechs Jahren das Straßenfußballprojekt ins Rollen gebracht und ist schwer enttäuscht. "Die Ablehnung der Visa für die beidenStraßenfußballteams aus Lagos und Accra ist genau die falsche Botschaft", sagte sie dem Tagesspiegel. Wie berichtet, sind dem nigerianischen Team "Search and Groom" und dem ghanaische mehr...
- Mitteldeutsche Zeitung: Afghanistan / Minister Farhang fordert robustes Mandat für ISAF-Truppen Halle (ots) - Der afghanische Wirtschaftsminister Amin Farhang hat nach dem jüngsten Attentat gegen Bundeswehr-Soldaten in Kundus ein robusteres Mandat für die Bundeswehr gefordert. "Die Taliban werden jetzt auch im Norden aktiv", sagte er der in Halle erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung" (Mittwoch-Ausgabe). "Die Bundeswehr braucht ein robusteres Mandat. Was bringt es, wenn die Soldaten in den Lagern sind und Patrouillen machen? Die westlichen Schutztruppen sollten dort, wo es nötig ist, auch eingreifen. Man muss insgesamt härter durchgreifen mehr...
- Klöckner: Keine Ausweitung der Datensammlung zu Lasten des Verbraucherschutzes Berlin (ots) - Zur geplanten Änderung des Kreditwesengesetzes und der Scoring-Praxis erklärt die Verbraucherschutzbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Julia Klöckner MdB: Die neu gefasste Banken- und Kapitaladäquanzrichtlinie, die in dieser Woche debattiert wird, bedarf einer Konkretisierung und Klarstellung zum Schutz des Verbrauchers. Die Neuordnung des Kreditwesengesetzes, könnte nämlich den Kreditinstituten Tür und Tor öffnen, persönliche Daten ihrer Kunden abzufragen und für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit zu nutzen mehr...
- LVZ: Orosz zu Nichtraucherschutz: Freiwilligkeit vor Gesetzeszwang Leipzig (ots) - Sachsens Sozialministerin fordert klare zeitliche Befristungen von zwei bis drei Jahren Leipzig. Sachsens Sozialministerin Helma Orosz (CDU) hat sich in der Debatte um einen verbesserten Nichtraucherschutz für freiwillige Vereinbarungen ausgesprochen. Diese sollten allerdings zeitlich eng befristet sein. "Klar ist, wir müssen die Nichtraucher besser schützen. Wenn das freiwillig geht, ist dies der bessere Weg. Wenn dies scheitert, dann brauchen wir gesetzliche Regelungen", sagte Orosz der "Leipziger Volkszeitung" (Mittwoch-Ausgabe). mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|