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Landeszeitung Lüneburg: ,,Die Ölpreisbindung ist nicht mehr zeitgemäß" Interview mit der Energieexpertin Prof. Dr. Claudia Kemfert

Geschrieben am 12-06-2008

Lüneburg (ots) - Der bisher gröÞte Sprung der Ölpreise auf das
Rekordniveau von 139 US-Dollar vor wenigen Tagen schürt die Sorge um
die Weltwirtschaft. Die Energieminister der sieben führenden
Industrienationen und Russlands (G8) warnten sogar vor einer globalen
Rezession. Energie-Expertin Prof. Dr. Claudia Kemfert vom Deutschen
Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hält die Aufhebung
der Úlpreisbindung für Erdgas und mehr Wettbewerb für dringend
notwendig, um die Lage zu entzerren. Genauso wichtig seien aber auch
Investitionen in umweltfreundliche Technologien, um von fossilen
EnergietrÌgern wegzukommen.

Die Ankündigung, dass Verbrauchern im Herbst eine zusätzliche
Gaspreiserhöhung von circa 40 Prozent ins Haus steht -- nachdem erst
kürzlich ein Anstieg um 25 Prozent angekündigt worden war -- hat eine
,,Schockwelle" ausgelöst. Wird die Erhöhung tatsächlich so hoch
ausfallen?
Kemfert: Nicht zusätzlich, sondern wahrscheinlich um insgesamt 40
Prozent. Der Ölpreis hat seit Jahresbeginn um 40 Prozent zugelegt und
teilweise wurde diese Erhöhung schon im April und jetzt im Juni/Juli
eingepreist. So dass wir schon jetzt 30 Prozent Preissteigerung seit
Anfang des Jahres haben. Nochmals 40 Prozent oben drauf halte ich für
unwahrscheinlich. Dafür gibt es keinen Anlass, es sei denn, der
Ölpreis steigt noch einmal deutlich.

Das ungeschriebene Gesetz, dass der Gaspreis an den Ölpreis
gekoppelt ist, steht derzeit besonders in der Kritik. Ist die
Entkoppelung die Lösung des Problems?
Kemfert: Die Entkoppelung ist dringend notwendig. Es ist nicht mehr
zeitgemäß, den Gaspreis an den Ölpreis zu binden. Das ist eine
privatwirtschaftliche Vereinbarung zwischen russischen
Energielieferunternehmen und Abnehmern. Man hat es in den 60er-Jahren
eingeführt, um zu verhindern, dass Gas ein billiges Konkurrenzprodukt
zum Öl wird. Damals mussten noch viele Pipelines gebaut werden, so
dass die Förderer Planungssicherheit für diese Investitionen
brauchten. Die Preise waren insgesamt niedrig. Aber heute wird der
Ölpreis von ganz anderen Faktoren bestimmt. Zum Beispiel von der
Sorge um Versorgungsengpässe. Da die Ölvorräte schneller knapp
werden, fließt das heute in den Preis mit ein. Das gilt jedoch nicht
für Erdgas, so dass die Koppelung keinen Sinn mehr macht. Auf dem
Gasmarkt ist mehr Wettbewerb notwendig.
Es gibt nur drei große Gasproduzenten -- Russland, Kuwait und Iran.

Würde die Entkoppelung die Entstehung eines Erdgaskartells
begünstigen?
Kemfert: Die Entkoppelung ist keine Garantie für niedrige
Energiepreise, sondern eher eine Garantie dafür, faire
Wettbewerbspreise zu bekommen. Das Erdgaskartell gibt es übrigens
bereits -- Russland will mit anderen wichtigen Gasanbieterländern
kooperieren -- um den Markt zu kontrollieren. Beim Gas spielt
Spekulation noch eine untergeordnete Rolle. Sicher kann das
Gaskartell Preise diktieren. Deswegen muss es auch darum gehen, dass
man das Angebot diversifiziert, Flüssiggas zulässt und den Wettbewerb
insgesamt verbessert. Allerdings muss es ohnehin darum gehen, Energie
zu sparen und wegzukommen von fossiler Energie.

Ibrahim Muhanna, Chefberater des Ölministers von Saudi-Arabien,
fürchtet um die Nachfrage nach seinem Öl. Woran liegt es, wenn selbst
der größte Ölproduzent der Welt mit der Preisentwicklung nicht
einverstanden ist?
Kemfert: Verständlicherweise. Denn die Fundamentaldaten erklären
nicht, dass der Preis in dieser Weise steigt. Es gibt eine hohe
Nachfrage, die in etwa gleichauf mit dem Angebot ist. Man kann die
Schuld nicht nur auf Spekulanten schieben, aber sicherlich führen die
US-Finanzkrise und der schwache Dollar dazu, dass der Ölpreis steigt
-- denn immer mehr Anleger investieren in Rohstoffe. Die Frage ist,
inwieweit man das Ölangebot ausweiten kann. Die OPEC hat zwar
signalisiert, dass sie dazu in der Lage ist. Andere Länder wie
Russland --auch ein wichtiger Öllieferant -- sehen hingegen keine
Möglichkeit für eine Kapazitätsaufstockung. Insofern ist der Markt
tatsächlich angespannt. Auch die Internationale Energieagentur (IEA)
hat ihre Prognosen korrigiert und zugegeben, dass sie den Ausbau des
Angebots als zu optimistisch bewertet hat -- dazu würden erhebliche
Investitionen auch in politisch instabilen Ländern notwendig sein,
welche sehr schwierig umzusetzen sind. Dies hat zudem ein wichtiger
Ölmulti -- Total -- bestätigt. Solche Meldungen führen natürlich zu
Verunsicherungen, und der Preis treibt weiter in die Höhe.

Seit 2005 stagniert die Öl-Fördermenge bei 87 Millionen Barrel
täglich. Warum wird sie angesichts des wachsenden Energiehungers --
insbesondere in China und Indien -- nicht erhöht?
Kemfert: Das ist genau die zentrale Frage. Es gibt Pessimisten, die
sagen, dass sie gar nicht mehr ausgeweitet werden kann. Das glaube
ich nicht. Ich denke schon, dass das Angebot von den derzeit 87
Millionen Barrel pro Tag auf 100 Millionen Barrel ausgeweitet werden
könnte -- unter der Voraussetzung, dass massiv investiert wird.
Der steigende Energiebedarf betrifft auch die Stromversorgung. Um
Engpässe zu vermeiden, fordern Politiker und Stromkonzerne eine
Abkehr vom Atomausstieg.

Ist Deutschlands Vorreiterrolle, unabhängig von der zwar sauberen,
aber gefährlichen Stromerzeugung zu werden, gescheitert?
Kemfert: Gescheitert würde ich nicht sagen. Gerade weil wir das
Umwelt- und Klimapaket auf den Weg gebracht haben, in dem die
richtigen Ansätze drin sind, nämlich die Energieeffizienz zu
verbessern, die erneuerbaren Energien auszubauen. All das ist gerade
in Zeiten hoher Preise für fossile Energieträger enorm wichtig, weil
die Volkswirtschaft sehr stark entlastet werden kann. Der
Atomausstieg ist in der Tat zu hinterfragen, weil ja nun Folgendes
passiert: Es werden ausschließlich neue Kohlekraftwerke geplant, da
der hohe Gaspreis Gaskraftwerke unwirtschaftlich macht -- obwohl sie
weniger klimaschädlich sind als Kohlekraftwerke. Also ist mit
steigenden CO2-Emissionen zu rechnen. Man sollte die sicheren
Atomkraftwerke länger am Netz lassen und damit ein Zeitpolster
schaffen, um die Kohlekraftwerke umweltfreundlicher zu machen, die
Energieeffizienz weiter zu verbessern und erneuerbare Energien
auszubauen. Nur dann werden wir die Chance haben, in der Welt
glaubwürdig zu sein.

Atomenergie wird stets als preisgünstig angepriesen. Gibt es
Berechnungen, was Atomstrom kosten würde, wenn die Industrie auch die
Entsorgungskosten voll tragen müsste?
Kemfert: Der Preis wäre deutlich höher. Zurzeit kostet die
Kilowattstunde Strom produziert mit einem abgeschriebenen
Atomkraftwerk circa 2 Cent. Diese Größenordnung würde sich
verdoppeln, wenn nicht sogar verdreifachen, müssten die anderen
Kosten mitgerechnet werden.

Laut Meseberger Programm soll der Anteil der erneuerbaren Energien
bis 2020 auf 20 Prozent erhöht werden. Reicht das aus, um neben
Klimaschutz auch die Versorgungssicherheit der Bürger zu garantieren?
Kemfert: Ja. Heute sind wir schon bei 14 Prozent. Ich denke sogar,
dass wir mehr als 20 Prozent bis 2020 schaffen. Wir müssen natürlich
beim Ausbau der erneuerbaren Energie weitermachen und mehr tun, um
Energie einzusparen. Das ist die Linie, auf der wir uns weiter
fortbewegen müssen. Dann wird auch die Versorgungssicherheit
gewährleistet sein. Wir müssen aber auch sehen, wo der Rest des
Stroms herkommt, wenn wir keine Atom- und keine Gaskraftwerke mehr
haben.
Die EU hat die Energiekonzerne aufgefordert, sich von ihren
Leitungsnetzen zu trennen. RWE ist mit gutem Beispiel voran gegangen
und hat sein Gasnetz zum Verkauf angeboten. Jetzt rudert Brüssel
zurück: Die Konzerne dürfen die Kontrolle über die Netze behalten.
Wie kam es zu dieser Kehrtwende? Kemfert: Das sind zwei verschiedene
Angelegenheiten. Zum einen geht es um die Trennung von Netz und
Betrieb, um den Wettbewerb anzukurbeln. Deutschland vertrat den
sogenannten dritten Weg mit einem Sys"temnetzbetreiber, der
unabhängig von den Konzernen agiert. Das war der Vorschlag, dem auch
Brüssel jetzt zugestimmt hat, weil es letztendlich nicht darauf
ankommt, wem die Netze gehören, sondern darauf, dass sie zuverlässig
sind und der Zugang reguliert und überwacht wird. Das andere ist,
dass die Konzerne -- natürlich unfreiwillig -- ihre Netze verkaufen
müssen, um hohe Bußgeldverfahren zu vermeiden. Die
EU-Wettbewerbskommission befürchtet, dass E.ON und RWE
marktbeherrschende Positionen innehaben. Der Verkauf ist somit
letztendlich ein Kompromiss in einem schon länger andauernden
EU-Kartellverfahren.

Die Energieminister der G-8-Staaten warnen vor einer globalen
Rezession, wenn die Ölpreise weiter steigen. Soll die Politik
marktregulierend eingreifen?
Kemfert: Die Politik muss eingreifen. Denn diese Entwicklung ist
absolut besorgniserregend, wenn auch nicht völlig unvorhersehbar.
Denn wir wissen, dass Öl immer knapper wird. Aber wir müssen
natürlich sehen, dass wir nicht in eine weltweite Rezession
schliddern, ausgelöst durch explodierende Energiepreise. Letztendlich
kann es nur darum gehen, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, um
von fossiler Energie wegzukommen. Nicht nur aus Klimaschutzgründen,
sondern gerade auch, um die Weltwirtschaft zu schützen und um
Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Deutschlands Wirtschaft steckt im Zangengriff des Euro- und
Ölpreisanstiegs, wie Thomas Meyer, Europa-Chefvolkswirt der Deutschen
Bank, formulierte. Sind Sozialtarife für Energie, ein neue
Pendlerpauschale und die Abschaffung der Ökosteuer geeignete Mittel,
um die Kaufkraft der Bürger und damit die Konjunktur zu stützen?
Kemfert: Nein, sie lösen das Problem in keinster Weise, sie
verschieben es nur auf der Zeitachse. Was wir brauchen, sind
alternative Kraftstoffe und nachhaltige Mobilitätskonzepte. Man muss
somit mehr Geld in der Erforschung innovativer Techniken investieren.
Wenig zielführend und nachhaltig ist, dass man weiter die
Zersiedelung fördert oder die Pendlerpauschale wieder einführt. Die
Ökosteuer fließt in die Rentenfinanzierung, so dass man bei einem
Wegfall den Verbraucher an anderer Stelle belasten müsste. Beim
Benzinpreis würde eine Senkung der Mineralölsteuer vermutlich dem
Verbraucher wenig nutzen, da die Anbieter wahrscheinlich ihre Margen
erhöhen würden. Somit wird der Verbraucher nicht entlastet, das Geld
landet nicht in der Staatskasse, sondern in den Kassen der
Mineralölkonzerne. Um den Strompreis zu senken, sollte der Wettbewerb
weiter gefördert und die Versorgungssicherheit gestärkt werden.
Das Gespräch führte Dietlinde Terjung

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
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Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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