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Westdeutsche Zeitung: Die offenen Rechnungen unserer Geschichte = Von Eberhard Fehre

Geschrieben am 06-06-2008

Düsseldorf (ots) - Wieder einmal holt uns die Geschichte ein, und
wieder einmal finden wir uns gefangen in einem Dickicht legitimer
politischer Interessen, guter juristischer Argumente und einer
moralischen Verantwortung, der wir letztlich auch nicht mit Verweis
auf eine weitgehend anerkannte völkerrechtliche Norm entfliehen
können. Wir glaubten, durch eine Reihe zwischenstaatlicher
Vereinbarungen die Folgen der deutschen Verbrechen "geregelt" zu
haben. Und es gab und gibt sehr gute Argumente, die Entschädigung der
Opfer nicht zum Gegenstand individueller Aufrechnung zu machen,
sondern mit Staaten und Verbänden sozusagen kollektiv zu lösen.
Doch nicht allen Opfern wurde damit Gerechtigkeit zuteil. Und der
Eindruck, vor allem bei Griechen, Italienern oder Russen, es gebe in
deutschen Augen Nazi-Opfer unterschiedlichen Gewichts, findet in der
Realität ja durchaus genügend Anhaltspunkte. Viele Jahre führte die
Bundesregierung gegen die Überlebenden des SS-Massakers im
griechischen Dorf Distomo einen kühl kalkulierten Rechtsstreit,
gestützt auf Paragraphen und Völkerrecht. Als sie ihn in Griechenland
verlor, konnte politischer Druck auf die Regierung in Athen die
Vollstreckung des Urteils verhindern. Was - nebenbei bemerkt - kein
gutes Licht darauf wirft, wie ernst Deutschland die Unabhängigkeit
einer Justiz nimmt, wenn deren Entscheidungen unangenehm sind.
Die jetzige Entscheidung in Rom, wonach die griechischen SS-Opfer
ihre Entschädigungsansprüche auch in Italien durchsetzen können, mag
unter Juristen durchaus strittig sein. Aber allein die Vorstellung,
ein deutsches Kulturinstitut könne vor aller Augen zwangsversteigert
werden, um die Ansprüche der Opfer zu begleichen, fügt der schweren
moralischen Schuld noch die Peinlichkeit demonstrativer öffentlicher
Demütigung hinzu. Dazu sollten und können wir es nicht kommen lassen.
Es ist ein wohl unlösbares Dilemma: Die Überlebenden präsentieren uns
die offenen Rechnungen der Geschichte - und wir antworten mit
Begriffen wie "Staatenimmunität" und "internationaler Vertrag". Wir
sehen uns im Recht - und setzen uns damit zugleich ins Unrecht. Nur
zur Erinnerung: Die Überlebenden von Distomo fordern 28 Millionen
Euro. Seit vielen Jahren.

Originaltext: Westdeutsche Zeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/62556
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_62556.rss2

Pressekontakt:
Westdeutsche Zeitung
Nachrichtenredaktion
Telefon: 0211/ 8382-2358
redaktion.nachrichten@westdeutsche-zeitung.de


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