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LVZ: Leipziger Volkszeitung zu Inzest-Fall in Österreich

Geschrieben am 28-04-2008

Leipzig (ots) - Österreich gehört zu den glücklichen Ländern, in
denen eine Frau nachts allein durch den Park gehen kann, ohne sich
fürchten zu müssen. Gefährlich wird es erst, wenn sie nach Hause
kommt. Der bittere Schluss drängt sich auch nach dem unfassbaren Fall
von Amstetten wieder auf, wo ein Vater seine Tochter ein
Vierteljahrhundert im Keller gehalten hat.
Es ist keine zwei Jahre her, da diskutierte ganz Österreich über ein
Jahrhundertverbrechen. Nach der geglückten Flucht der Natascha
Kampusch aus ihrem Kellerverlies war das Entsetzen groß. Bald überwog
aber in der Öffentlichkeit die zufriedene Selbstgewissheit, ein
solcher Fall sei ein Novum, ein monströses Einzelverbrechen, das sich
so schnell nicht wiederholen werde. Seit dem letzten Wochenende
wissen wir es besser: In einer Art Schockstarre verfolgt die
Alpenrepublik das Martyrium von Amstetten.
Auch diesmal heißt es, dieser Fall sei einzigartig - doch das Grauen
hinter den Fensterscheiben von Privatwohnungen ist es offenkundig
leider nicht. Neben der Aufklärungsarbeit drängt es viele zum
Aktionismus. Aber kann man wirklich so schnell etwas tun? Der
Beziehungskriminalität, der schlimmsten in dem friedlichen Lande,
kommt man weder mit Überwachungskameras noch mit geschlossenen
Grenzen bei.
Auch wer mehr Koordination zwischen den Behörden fordert, könnte bald
auf einen Holzweg geraten. Was nottut, um Schreckensfälle wie den von
Amstetten zu vermeiden, ist Aufmerksamkeit, Interesse, Mitgefühl -
das also, was irreführend oft als soziale Kontrolle vorurteilsschwer
verschmäht wird. Gemeint sind aber nicht missgünstige Rentner, die
sich Autokennzeichen von Parksündern aufschreiben, sondern Lehrer,
Nachbarn oder Sozialarbeiter, die auch einmal eine Frage stellen. Das
traut sich nur, wer beim Fragen ein gutes Gewissen haben darf - weil
er nicht als Voyeur oder als Ankläger auftritt. Kurz gesagt: Nötig
ist eine Kultur des zwischenmenschlichen Respekts. Sie macht Fragen
erst möglich.
Das vernachlässigte Kleinstädtchen Amstetten hat es bis zum Sonntag
nie in eine Fernseh-Reportage geschafft. Wenn Felix Austria, das
glückliche Österreich, um Touristen wirbt, versteckt man Amstetten
gern hinter dem Vorhang. Vieles spricht dafür, dass auch die lokalen
Behörden ihren Anteil an der allgemeinen Gleichgültigkeit haben. Aber
das Problem liegt weit tiefer. Um ihm beizukommen, muss man nicht
gleich in die Abgründe der menschlichen Natur entfleuchen oder die
Anonymität der modernen Gesellschaft beklagen. In Amstetten mit
seinen 23000 Einwohnern ist weniges anonym. Doch die
Eisenbahnarbeiter, die den Ort geprägt haben, stehen schon lange im
toten Winkel der Geschichte. Weil sich niemand für einen
interessiert, interessiert man sich auch nicht für einander. Alle
sind ein Stück weit mit schuldig - bis hin zu uns Konsumenten von
idyllischen rot-weiß-roten Österreich-Reportagen.

Originaltext: Leipziger Volkszeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/6351
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Pressekontakt:
Leipziger Volkszeitung
Redaktion

Telefon: 0341/218 11558


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