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Landeszeitung Lüneburg: Interview mit FDP-Chef Guido Westerwelle (Sperrfrist: 23 Uhr)

Geschrieben am 29-11-2007

Lüneburg (ots) - ,,Einen guten Tag für die Postboten" nennt
Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) die gestrige Einigung auf
einen Post-Mindestlohn. Scharfe Kritik übt dagegen FDP-Parteichef Dr.
Guido Westerwelle an dem Kompromiss: ,,Wenn wir die Löhne künftig vom
Staat festsetzen lassen, wie es jetzt durch die Koaltion bei der Post
geschieht, dann ist mir das zu viel DDR", betont der Liberale im
Interview mit der Landeszeitung: ,,Dann werden irgendwann auch die
Preise vom Staat festgesetzt." FÏr den OppositionsfÏhrer hat eine
solche Entscheidung nichts mehr mit sozialer Marktwirtschaft zu tun
-- ,,das ist Planwirtschaft."

Herr Dr. Westerwelle: ,,Mehr Mut, mehr Markt" lautet Ihre Devise.
Ist die FDP die letzte verbliebene Bastion der bürgerlichen Mitte?
Dr. Guido Westerwelle: Wenn die Union weiter der SPD und den Grünen
nach links hinterher rutscht, lautet die Antwort ganz klar: Ja! Wir
bleiben Anhänger der sozialen Marktwirtschaft, denn wir finden, dass
Leistungsgerechtigkeit kein bisschen weniger wichtig ist als soziale
Gerechtigkeit.
Die große Koalition verweist auf die Erfolge ihrer
Wirtschaftspolitik. Deutschland ist Exportweltmeister. Die
Arbeitslosenzahlen sind auf dem tiefsten Stand seit den
1990er-Jahren. Ist die Regierung erfolgreicher, als Sie es in der
Opposition wahrhaben wollen? Westerwelle: Erstens haben wir noch eine
boomende Weltwirtschaft, die endlich auch zu einer besseren
Konjunktur in Deutschland geführt hat. Zweitens: Gerade weil wir eine
gute Konjunktur haben, müssten wir jetzt Vorsorge treffen für die
Zeit eines möglichen Abschwungs. Denn dass längst dunkle
Gewitterwolken am Horizont der Weltkonjunktur aufziehen, weiß man
nicht erst seit der amerikanischen Immobilienkrise.
Vielleicht macht sich auch gerade deshalb bei der Mittelschicht in
Deutschland zusehends Angst breit vor Arbeitslosigkeit, dem
Abrutschen in das soziale Abseits. Wie will die FDP den Bürgern diese
Sorgen nehmen? Westerwelle: Die Probleme, die wir in Deutschland
haben, kommen doch nicht von zuviel sozialer Marktwirtschaft. Die
kommen von zuviel bürokratischer Staatswirtschaft, von zu hohen
Steuern, von einer zu großen Abgabenbelastung. Und trotzdem macht
diese Regierung munter weiter Schulden. Das wollen wir ändern.
Deshalb werden wir als FDP, wenn wir die Verantwortung übernehmen,
ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersys"tem
durchsetzen. Das hilft dem Mittelstand und damit gerade denen, die
den Karren in Deutschland ziehen.
Kritik bekommt die FDP von den Gewerkschaften und vielen älteren
Arbeitslosen, weil Sie die Verlängerung des Arbeitslosengeldes für
falsch hältu? Westerwelle: Weil sie falsch ist! Richtig ist es, das
Geld im Sinne der Menschen in neue Arbeitsplätze zu investieren --
und nicht in die Verlängerung von Arbeitslosigkeit.
Und dazu braucht es aber erst einmal genügend neue Arbeitsplätze?
Westerwelle: Durch strukturelle Veränderungen im Bereich der älteren
Beschäftigten ist dort die Arbeitslosigkeit um 20 Prozent
zurückgegangen. Wa"rum soll man das, was jetzt endlich wirkt, wieder
zurückdrehen? Nochmals: Wir müssen die Mittel, die wir haben, in die
Verkürzung der Arbeitslosigkeit stecken und nicht in die längere
Begleitung der Arbeitslosigkeit.
Unzufrieden sind viele Menschen auch, weil sie trotz guter
Konjunkturdaten immer weniger Geld im Portemonnaie haben. Ein Grund
ist dabei auch die dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung. Hätte es
die auch mit der FDP in Regierungsverantwortung gegeben? Westerwelle:
Nein! Denn die Mehrwertsteuererhöhung hat die Bürger nicht alleine
getroffen. Dazu kommen die höhere Versicherungssteuer, die Kürzung
von Pendlerpauschale und Sparerfreibetrag, die Streichung der
Eigenheimzulage, die Erhöhung der Kosten bei Gesundheit, Rente und
Pflege u All das hat dazu geführt, dass nach der größten Steuer- und
Abgabenerhöhung in der Geschichte der Republik zu Beginn dieses
Jahres eine durchschnittliche Familie 1600 Euro weniger im
Portemonnaie zur Verfügung hat als noch im Jahr zuvor. Kein Wunder
also, dass die Mehrheit der Deutschen sagt: Der Aufschwung kommt bei
uns nicht an! Genau diese vergessene Mitte muss nun endlich
entlas"tet werden -- das hat Vorrang.
Ablehnend äußert sich die FDP zu Forderungen der Gewerkschaften nach
der Einführung von Mindestlöhnen. Gönnen Sie den Arbeitnehmern kein
angemessenes Geld für angemessene Arbeit? Westerwelle: Was nutzt denn
dem Arbeitnehmer ein staatlich festgesetzter Brutto-Mindestlohn auf
dem Papier, wenn die Regierung gleichzeitig dafür sorgt, dass immer
weniger Netto in der Tasche der Arbeitnehmer übrig bleibt? Die
Netto-Frage ist deshalb die eigentliche Gerechtigkeitsfrage. Wenn wir
die Löhne künftig vom Staat festsetzen lassen, wie es jetzt durch die
Koalition bei der Post geschieht, dann ist mir das zu viel DDR. Dann
werden irgendwann auch die Preise vom Staat festgesetzt. Das ist
nicht mehr soziale Marktwirtschaft, das ist Planwirtschaft. Mehr
Netto vom Brutto -- das wäre sozial.
Laut DIHK-Umfrage droht Deutschland aufgrund der sinkenden
Geburtenrate bald ein Fachkräftemangel. Wie kann die Politik dem
begegnen? Mit verstärkten Ausbildungsbemühungen, oder vielleicht mit
der Einführung der "Bluecard?" Westerwelle: Bildung ist die
entscheidende Zukunftsfrage. Wir haben doch keinen anderen Rohstoff.
Wer Geld ausgibt für Schulen, Hochschulen, Wissenschaft und
Forschung, der investiert in unseren Wohlstand von morgen. Deshalb
müssen wir alle Chancen nutzen -- genau deshalb sagen wir Liberale
entschieden ja zu neuen Technologien, von der Gen- und Biotechnologie
über die erneuerbaren Energieträger bis hin zur Kerntechnologie. Und
weil wir eine weltoffene und tolerante Gesellschaft wollen, gehört
dazu, dass wir ausländische Studenten, die bei uns etwas gelernt
haben, nicht mehr nach dem Examen hinausdrängen.
Was muss denn die Regierungskoalition jetzt unternehmen, um
wirtschaftliche und soziale Rückschläge zu verhindern? Westerwelle:
Ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem ist das
dringliche Gebot der Stunde. Unsere Nachbarn sind diesen Schritt
bereits gegangen oder sind zurzeit dabei. Ein modernes Steuersystem
ist deshalb so entscheidend, weil die Bürger, die hart arbeiten, dann
auch die Früchte ihres Fleißes ernten können. Wer mehr Geld zur
Verfügung hat, konsumiert und investiert auch wieder mehr. Und wo
gekauft wird, da entstehen auch neue Arbeitsplätze und gesündere
Staatsfinanzen. Wir wissen, dass Wirtschaft nicht alles ist. Aber wir
wissen auch, dass ohne Wirtschaft alles nichts ist: ohne Wohlstand
keine Kultur, keine Bildungschancen, keine sichere Rente.
Stichwort große Koalition: Was glauben Sie, wie lange wird das
Bündnis noch halten? Westerwelle: Es ist sehr gut möglich, dass
dieses Bündnis den regulären Wahltermin im Herbst 2009 nicht
erreichen wird. Deshalb kann ich nur sagen: Da ist Schwarz-Gelb in
Hannover ein wohltuendes Kontrastprogramm.
Um in Regierungsverantwortung zu kommen, müssen sie aber erst einmal
Wahlen gewinnen. Doch laut Umfragen steht die FDP bei nur etwa acht
Prozent. Viele jüngere Wähler sagen sogar: "FDP findet bei uns nicht
statt!" Machen Sie da nicht etwas falsch? Westerwelle: Wir haben bei
der Bundestagswahl fast zehn Prozent geholt -- das ist eines der
besten Ergebnisse in der Geschichte der FDP. Wir haben bei 40 Wahlen
in den vergangenen Jahren 35 Mal zugelegt. Natürlich freuen wir uns,
wenn wir noch stärker werden, aber: Das ist doch schon eine solide
Erfolgsgeschichte, die wir vorweisen können. Überhaupt: Der
Politikwechsel ist bei der Wahl 2005 ja nicht an der FDP, sondern an
einer abstürzenden Union gescheitert.
Können Sie sich dann trotzdem wieder ein Bündnis mit der Union
vorstellen? Westerwelle: Dass mir die Union trotz ihres Linkstrends
immer noch lieber ist als die Grünen und die Sozialdemokraten, die
mit Siebenmeilen-Stiefeln hinter der Links-Partei hinterher rennen,
muss ich nicht verschweigen.
Welche arbeitsmarktpolitische Maßnahme wird die erste sein, die die
FDP im Falle einer Regierungsbeteiligung anstreben wird? Westerwelle:
Die Einführung eines niedrigeren, einfacheren und gerechteren
Steuersystems -- die Mutter aller Reformen.

Das Gespräch führte Klaus Reschke

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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