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Landeszeitung Lüneburg: "Xi Jinping ist in Verlegenheit" Volker Stanzel, ehemaliger deutscher Botschafter in Peking, zur Unterdrückung der Uiguren und der Wahl in Hongkong

Geschrieben am 28-11-2019

Lüneburg (ots) - Bei einer Rekordwahlbeteiligung haben bei den Kommunalwahlen 60
Prozent der Hongkonger für die Demokratiebewegung gestimmt. Ein unzweideutiges
Signal an Peking? Dr. Volker Stanzel: Auf jeden Fall. Zwar haben die Demokraten
aufgrund geschickter Kandidatenaufstellung in den Wahlkreisen sowie durch das
Mehrheitswahlrecht mehr Sitze errungen als sie Stimmen erhalten haben. Dennoch
sind Zweidrittel der Stimmen für die Demokratiebewegung ein Signal der
Selbstbehauptung. Es war aber bei den Wahlen das interessante Phänomen einer
Spaltung zu beobachten, die mir bei meinem jüngsten Besuch in Hongkong ebenfalls
auffiel. Die ältere Generation hat sich schon lange damit abgefunden, dass
Hongkong Teil der Volksrepublik wird, haben zudem für ihre eigene
Lebensgestaltung nichts wesentliches mehr zu befürchten. Die jüngeren Hongkonger
empfinden dagegen die heranrückende Einverleibung im Jahr 2047 als Bedrohung.
Sie kennen die Bedingungen auf dem Festland und sie wollen nicht in Unfreiheit
leben. Dazu sehen sie, wie Peking Zusagen bricht, etwa die freier Wahlen, die im
Grundgesetz von 1997 verankert wurde. Das sei ein wertloses Stück Papier, hatte
das Außenministerium dieses abqualifiziert. Zudem haben die Hongkonger haben
Übergriffe erlebt wie die Entführung missliebiger Buchhändler, die dann
angeprangert wurden. Zwar ist Hongkong keine Demokratie, aber seine Bürger sind
an eine freiheitliche Kultur und eine unabhängige Justiz gewöhnt. Das wollen sie
nicht missen.

Das Aufbegehren der Jungen hat Peking überrascht. Hat es wegen seiner totalen
Kontrolle auf dem Festland das Gespür dafür verloren, wie Chinesen anderswo
"ticken"? Oder die KP-Führung hat dieses Gespür nie besessen. Immerhin besteht
ihre Diktatur schon 70 Jahre. Auf dem Festland habe ich oft völliges
Unverständnis für die Protestierer in Hongkong vernommen. Der Tenor lautete:
"Die sollen sich nicht so anstellen." China werde immer mächtiger und immer
reicher, seinen Bürgern gehe es immer besser. Der Deal der KP unter Deng
Xiaoping mit dem Volk lautete: Jeder könne nach Belieben reich werden. Dafür
müsste das Volk die Politik der Kommunistischen Partei überlassen. Dass dies für
die Hongkonger nicht attraktiv ist, wird auf dem Festland nicht akzeptiert. Es
gibt kein Gefühl dafür, wie sehr die Herausbildung einer digitalen Diktatur und
die brutale Umerziehung eines ganzen Volkes, der Uiguren, in Hongkong Alarm
auslöst.

Wissen Normalbürger auf dem Festland um das Schicksal der Uiguren in Xinjiang?
Nein. Nicht mal Hongkong ist bei Normalbürgern ein relevantes Thema. Bei
Vorträgen, die ich vor Studenten hielt, zeigte sich, dass sie nur vage um
Unruhen und Gewalt wissen. Sie denken, die Lage wäre mit der im Nahen Osten
vergleichbar. Das Thema Uiguren verknüpfen die meisten Chinesen mit dem
Stichwort Terrorismus - um den sich die Führung kümmere. Hier zeigt sich, wie
erfolgreich die staatliche Propaganda ist.

Die Formel "Ein Land, zwei Systeme" war von Anfang an verlogen. Sowohl Peking
als auch London hatten erwartet, dass die Zeit für sie arbeitet. Läuft es auf
eine brutale Einverleibung der ehemaligen Kronkolonie hinaus? Die Formel war
nicht verlogen, sondern - mit meinem Beruf im Hintergrund darf ich das sagen -
geschickte Diplomatie. London hatte keine Chance, nach Ablauf des 99-jährigen
Pachtvertrags die winzige Insel militärisch zu behaupten. Und Deng Xiaping
wollte seine Strategie, "im Verborgenen stärker zu werden", nicht durch eine
gewaltsame Eroberung Hongkongs gefährden. Und so fanden sie eine Formel, die
alle hoffen ließ: Peking, dass sie Hongkong geräuschlos eingemeinden könnten.
London, dass China sich demokratisiert. Hongkong, dass sich nichts ändern wird.
Womit wir rechnen müssen, ist, dass die KP zwar den Einsatz von Soldaten
vermeiden will. Straßenkampf in einer Stadt mit 7,5 Millionen Einwohnern ist
unwägbar. Aber bis 2047 sind noch 28 Jahre - Zeit genug, die Freiheit langsam,
aber resoluter als bisher abzuwürgen.

Festlands-Chinesen strömen in Massen nach Hongkong, verschärfen die extreme
Wohnungsnot. Inwieweit ist das Aufbegehren ein sozialer Protest? Äußerst gering.
Es ist die Mittelklasse, die den Protest trägt, nicht etwa die Schichten, die in
echter existentieller Not sind. Das ist eine sehr stark politisch motivierte
Bewegung. Natürlich kämpfen die jungen Hongkonger auch mit der Wohnungsnot. Aber
das ist nicht der Grund, weswegen sie auf ihren Demonstrationen die chinesische
Flagge mit einem Hakenkreuz versehen.

Schon jetzt dürfte das Aufbegehren der Hongkonger in der Regenschirmbewegung
2014 und 2016 sowie die aktuelle Revolte in Peking als Schmach empfunden werden.
Kann sich Xi Jinping, der sich dafür feiern lässt, China wieder stark gemacht zu
haben, das gefallen lassen? Eigentlich nicht. Und das ist auch das stärkste
Argument dafür, dass Xi Jinping irgendwann die Geduld verlieren und zur Gewalt
greifen wird. Um seinen Ruf, ein starker Mann zu sein, mit entsprechenden Taten
zu unterfüttern. Aber durch das Wahlergebnis sind die Risiken eines gewaltsamen
Eingreifens noch vergrößert worden, so dass Xi Jinping in Verlegenheit ist.
Sollte es tatsächlich in Peking einen Machtkampf geben, wie immer wieder
kolportiert wird, dürfte sich dieser noch verschärfen. Schon allein die
Tatsache, dass die "China Cables", die Geheimdokumente zu
Menschenrechtsverstößen in Xinjiang aus dem Inneren der KP an westliche Medien
gespielt wurden, zeugt davon, dass der "große Steuermann" intern nicht
unumstritten ist.

Bilder von Protestieren, die mit dem Bogen auf Polizisten schießen, gingen um
die Welt. Haben sie der KP in Peking Argumente an die Hand gegeben für ein
hartes Durchgreifen? Selbstverständlich. Das war Wasser auf die Mühlen der
Medien auf dem Festland, die ein Durchgreifen gegen die "Kakerlaken" genannten
Demonstranten fordern. Mit denen müsse die Hongkonger Regierung - der perfekte
Sündenbock für Peking - endlich aufräumen. Dementgegen sehen die Hongkonger,
dass auch die Polizei Gewalt ausübt. Und die Weltöffentlichkeit kann dementgegen
einordnen, dass das Aufbegehren über Monate relativ friedlich war. Um wie viel
blutiger sind etwa die Straßen in Teheran, wo es in wenigen Tagen 1000 Tote gab.

Gibt Pekings Vorgehen in Hongkong einen Wink auf die Pläne mit Taiwan? In der
Tat und das in doppelter Hinsicht. So ist zum einen eine gewaltsame
Rückeroberung wahrscheinlich auszuschließen, obgleich Xi Jinping in seiner
Neujahrsrede mit dem Säbel gerasselt hat. Aber angesichts des vorsichtigen
Agierens der KP in Hongkong wäre eine riskante Invasion Taiwans ein krasser
Kurswechsel. Deshalb dürfte man auch in diesem Fall auf strategische Geduld und
ein langsames Abwürgen der Lebensbedingungen für ein freies Taiwan setzen.

Welche Stellschrauben haben Berlin und Brüssel, um extreme Erschütterungen in
Ostasien zu vermeiden? Bleibt nur der Appell für friedliche Lösungen? Europa und
China sind füreinander die wichtigsten Wirtschaftspartner. Das ist ein
bedeutendes Instrument - nicht zur Erpressung, sondern zum Führen ernster
Gespräche. Wer die chinesische Führung ernst nimmt, aber zugleich auch den
eigenen Standpunkt klar macht - wie Kanzlerin Merkel -, kann in Peking mehr
bewegen als der, der mit Sanktionen droht wie jetzt der US-Senat. Wenn Europa
den Kampf der Hongkonger um ihre Freiheit ebenso ernst nimmt wie die
Notwendigkeit von Stabilität in Ostasien, muss es darauf hinwirken, dass Peking
mit der Protestbewegung in einen Dialog eintritt.

Kann es passieren, dass Peking der nationalistischen Geister, die es in der
Bevölkerung beschwor, nicht mehr Herr wird und so zu militärischen Abenteuern
getrieben wird? Grundsätzlich besteht diese Gefahr. Aber andererseits werden die
Informationen über Hongkong von der Führung auf dem Festland so rar gehalten,
dass sie alle Möglichkeiten hat, über diverse Kanäle eine Beruhigung der Lage zu
erreichen, so dass sie in diesem Sinne nicht Gefahr läuft, zu einer Getriebenen
zu werden.

Zur Person

Volker Stanzel (71) ist Diplomat im Ruhestand und ehemaliger Politischer
Direktor des Auswärtigen Amtes sowie ehemaliger Botschafter in Peking (2004 bis
2007) und in Tokio, der nun bei der Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik
in Berlin für die Forschungsgruppe Asien arbeitet. Seit 2018 ist der Japanologe
und Sinologe Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

Weiteres Material: https://www.presseportal.de/pm/65442/4453578
OTS: Landeszeitung Lüneburg

Original-Content von: Landeszeitung Lüneburg, übermittelt durch news aktuell


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