(Registrieren)

BERLINER MORGENPOST: Bedrohliche Entwicklung / Leitartikel von Miguel Sanches zu Hassattacken gegen Politiker

Geschrieben am 21-10-2019

Berlin (ots) - Kurzform: Die Verfassungsschützer haben die
Entwicklung gesehen, der Hauptfokus der Behörden galt jahrelang dem
Kampf gegen den Islamismus. Wurde der Terror von rechts verharmlost?
Die Frage stellt sich - nach dem Fall Lübcke, nach der Drohung gegen
Mohring. Die Innenpolitiker haben den Hebel umgelegt, sind dabei, die
Strafen zu verschärfen, den Ermittlungsdruck in den sozialen
Netzwerken zu erhöhen, mehr Beamte im Kampf gegen rechts zu
mobilisieren. Es wird dauern, bis sich erste Erfolge zeigen. Und: Die
Gesellschaft wieder ins Lot zu bringen, ist eine politische Frage,
weniger eine polizeiliche.

Der vollständige Leitartikel: Wer töten will, ist kaum zu stoppen.
Die NSU-Terroristen taten es jahrelang ohne Drohungen, Ankündigungen
oder Bekennerschreiben. Sie passten nicht zum gängigen Muster. Die
Leute, die seit gut einem Jahr Hunderte von Morddrohungen
verschicken, gieren nach Aufmerksamkeit - eine leichte Übung im
Zeitalter des Internet. Wenn es damals schon möglich gewesen wäre,
hätten die Entführer der RAF in den 70er-Jahren ihre Anschläge wie
der Attentäter von Halle als Livestream übertragen. Der Thüringer
CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring musste die Morddrohung gegen ihn
nicht an die große Glocke hängen. Er tat es mit Bedacht,
demonstrativ, unter dem Eindruck von Halle und aus ähnlichen Motiven
wie Andreas Hollstein, der Bürgermeister von Altena, Ende 2017: Um
darauf aufmerksam zu machen, dass die Zahl der Hassnachrichten an
Amtsträger steigt, und um eine Solidarisierung mit den Opfern zu
erreichen. Aus ähnlichen Motiven hatte sich Bundespräsident
Steinmeier noch im Sommer öffentlichkeitswirksam mit Bürgermeistern
getroffen, die übel beschimpft wurden. Die Demokraten dürfen sich
nicht kleinmachen. Das Dilemma ist, dass es nur eine Wahl zwischen
schlechten Alternativen gibt. Hasskommentare lassen sich nicht
ignorieren, weil sich über das Internet und die sozialen Netzwerke
leicht eine Gegenöffentlichkeit aufbauen lässt. Organisiertes
Desinteresse ist also keine realistische Option. Wer umgekehrt die
Öffentlichkeit sucht, muss sich freilich darüber im Klaren sein, dass
er sich erwartungsgerecht verhält. Das "Staatsstreichorchester", das
Mohring geschrieben hat, wollte nicht nur ihn bedrohen, zugleich
viele andere Personen des öffentlichen Lebens einschüchtern und
möglichst politisch mundtot machen. Man soll davor zurückschrecken,
sich für Fremde, Flüchtlinge einzusetzen. Deswegen sind die
Kommunalpolitiker so schlecht dran: Sie sind diejenigen, die
Integration organisieren, und diejenigen, die den Unmut ungefiltert
abbekommen. Die Verrohung der Sprache, ja der Gesellschaft hat einen
jahrelangen Vorlauf. Es ist offensichtlich, dass es 2015 einen
Filmriss gab. "Pegida" wurde Ende 2014 ins Leben gerufen, aber die
Volksverhetzung erreichte erst im Zuge der Flüchtlingskrise ihren
Höhepunkt. Längst haben sich die Zuzugszahlen normalisiert. Nur der
Hass hat sich nicht gelegt. Das sollte uns alarmieren, zumal die
Mehrheit der Migranten im Land bleiben wird und im Zuge der aktuellen
Syrienkrise noch mehr Flüchtlinge kommen könnten. Die politische
Polarisierung und der Hass können weiter zunehmen. Im Sommer 2015
bekannte Kanzlerin Angela Merkel, "wenn wir jetzt anfangen, uns noch
entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein
freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land". Vier
Jahre später ist es offensichtlich: Ein Teil Deutschlands ist nicht
Merkels Land. Der Auftrieb einer Partei wie der AfD ist auch dadurch
zu erklären, dass Teile des Bürgertums Extremisten gewähren lassen -
sie docken an die Mitte der Gesellschaft an. Die Verfassungsschützer
haben die Entwicklung gesehen, der Hauptfokus der Behörden galt
jahrelang dem Kampf gegen den Islamismus. Wurde der Terror von rechts
verharmlost? Die Frage stellt sich - nach dem Fall Lübcke, nach der
Drohung gegen Mohring. Die Innenpolitiker haben den Hebel umgelegt,
sind dabei, die Strafen zu verschärfen, den Ermittlungsdruck in den
sozialen Netzwerken zu erhöhen, mehr Beamte im Kampf gegen rechts zu
mobilisieren. Es wird dauern, bis sich erste Erfolge zeigen. Und: Die
Gesellschaft wieder ins Lot zu bringen, ist eine politische Frage,
weniger eine polizeiliche.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

707039

weitere Artikel:
  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu IS-Rückkehrerinnen Bielefeld (ots) - Infolge der Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien könnten viele dort inhaftierte IS-Anhänger nach Deutschland zurückkehren, darunter Frauen und Kinder. Lange galten die Frauen des IS als Opfer der Terrormiliz. Rückkehrerinnen berichteten, unterdrückt und misshandelt worden zu sein. Medienberichte zeichneten jedoch nach und nach ein anderes Bild der IS-Frauen, die beispielsweise als Mitglieder der Religionspolizei selbst gefoltert und getötet haben sollen. Einer Europol-Studie zufolge soll der IS bei seiner mehr...

  • neues deutschland: An Landesregierungen beteiligte LINKE-Politiker fordern mehr Strukturhilfen für Klima- und Energiewende Berlin (ots) - In einem gemeinsamen Positionspapier haben Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, Bremens Wirtschafts- und Sozialsenatorin Kristina Vogt sowie der Berliner Kultursenator Klaus Lederer das "Klimaschutzprogramm 2030" der Bundesregierung aus landespolitischer Sicht kritisiert und weitere Hilfen des Bundes zur sozialen Abfederung des mit der Klima- und Energiewende verbundenen Strukturwandels gefordert. In der Stellungnahme unter dem Titel »Mit mehr Mut fürs Klima die Zukunft gestalten!«, die der in Berlin erscheinenden mehr...

  • Badische Zeitung: Rente mit beinahe 70: Unfug bleibt Unfug / Kommentar von Bernhard Walker Freiburg (ots) - Die Debatte über die "Rente mit fast 70" ist auch deshalb überflüssig, weil Schwarz-Rot die Altersgrenze für eine abschlagsfreie Rente schon auf 67 und damit deutlich angehoben hat. Die Schweden zeigen, wie es besser geht. Dort folgt die Regierung der Einsicht, dass viele Ältere nicht ganz aus dem Job raus wollen, sehr wohl aber etwas kürzertreten oder beruflich nochmal Neues wagen wollen. Diesen Freiraum hat die Regierung mit besonders flexiblen Übergangsregeln in die Rente eröffnet. Schweden erreicht so besser mehr...

  • Rheinische Post: EVP-Fraktionschef Weber droht Türkei mit Aufkündigung der Zollunion Düsseldorf (ots) - Der Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), hat der Türkei für den Fall einer fortdauernden Konfrontation mit Europa die Aufkündigung der Zollunion angedroht. "Europa muss die Botschaft aussenden: Wir lassen uns nicht erpressen. Wir sind auch zu Konsequenzen bereit, sollte sich die Türkei nicht zu einem partnerschaftlichen Ansatz zurückbewegen", sagte Weber der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Dienstag). Dabei stünden im deutsch-türkischen Verhältnis die Hermes-Bürgschaften für Unternehmen und mehr...

  • Rheinische Post: Städte wollen Geld vom Bund für Olympia 2032 an Rhein und Ruhr Düsseldorf (ots) - Oberbürgermeister aus dem Rheinland wollen Olympischen Spielen in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2032 nur zustimmen, wenn sich der Bund finanziell beteiligt. "Die Olympiabewerbung ist ein immenses Imageprojekt für ganz Deutschland. Es erfordert ein klares Bekenntnis für Olympia aus Berlin, und dazu gehören natürlich finanzielle Mittel des Bundes", sagte Uwe Richrath (SPD), Oberbürgermeister von Leverkusen, der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Dienstag). Ähnlich äußerte sich sein Mönchengladbacher Amtskollege Hans mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht