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NOZ: Widerstand in der DDR: Stasi-Unterlagen-Beauftragter plädiert für differenzierten Blick

Geschrieben am 02-10-2019

Osnabrück (ots) - Jahn erinnert sich an Konflikte auch in eigener
Familie - "Habe viele Kompromisse gemacht aus Rücksicht auf meine
Eltern"

Osnabrück. Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die
Stasi-Unterlagen, plädiert dafür, auch 30 Jahre nach dem Mauerfall
einen differenzierten Blick auf die Menschen in der früheren DDR zu
bewahren. "Pauschalvorwürfe helfen uns nicht weiter", sagte Jahn im
Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). Auch in seiner
eigenen Familie habe es Diskussionen darum gegeben, wie viel
Widerstand gegen die DDR-Diktatur möglich sei. "Das war immer ein
Konflikt - zwischen den Generationen, aber auch ein politischer
Konflikt um die Frage: Was bringt es, Widerstand zu leisten?", sagte
Jahn. Genau an diesem Punkt habe "die Sippenverfolgung in der DDR
angesetzt", erinnerte er. "Die Staatssicherheit hat skrupellos
agiert, indem sie die gesamte Familie haftbar gemacht hat für den
Einzelnen. Das war Methode", beschrieb der heute 66-Jährige, der seit
2011 der Stasi-Unterlagenbehörde vorsteht.

Zu DDR-Zeiten hatte Jahn mit verschiedenen Aktionen gegen das
Regime gekämpft, war mehrfach verhört worden, saß monatelang in Haft
und wurde 1983 schließlich zwangsweise in den Westen ausgebürgert.
"Die gewaltsame Ausbürgerung 1983 war ohne Frage ein traumatisches
Erlebnis für mich, das bis heute nachwirkt", sagte Jahn. Man sei
"immer unter Druck gewesen", beschrieb der gebürtige Thüringer das
Leben in der Diktatur. "Ich habe viele Kompromisse gemacht aus
Rücksicht auf meine Eltern. Zu Hause war der Disput natürlich immer
präsent. Meine Eltern haben mir Vorwürfe gemacht, als ich an der Uni
protestiert hatte gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf
Biermann. Mein Vater war klar und deutlich: Warum gefährdest du wegen
eines Scheiß-Liedermachers das Glück der ganzen Familie?"

Nach der friedlichen Revolution im Herbst 1989 und der Besetzung
der Stasi-Zentrale an der Normannenstraße in Berlin am 15. Januar
1990 war Jahns Akte die erste, die geöffnet wurde. "Das geht unter
die Haut, wenn man sieht, dass sogar der Schulweg der achtjährigen
Tochter observiert wird. Das ist etwas, wo man sich fragt, was sie
alles vorhatten, und dankbar ist, dass man noch gut davongekommen
ist", sagte Jahn.

Freiheit sei für ihn auch heute noch keine Selbstverständlichkeit,
so der Bundesbeauftragte. "Gerade durch meine Arbeit weiß ich, dass
Freiheit eben nicht selbstverständlich ist. Ich habe immer von
Freiheit geträumt. Wenn man im Knast sitzt, braucht man Träume, die
einem Hoffnung geben für die Zukunft. Die Welt zu bereisen ist einer
dieser Träume von mir. Am Ende kann es sein, dass ich gar keine
wirkliche Weltreise mache. Aber ich freue mich, dass ich es könnte.
So viele konnten das nicht, jahrzehntelang", sagte Jahn im
NOZ-Interview. "Wenn Menschen in Isolation gehalten werden, dieses
Eingesperrtsein, das vergisst man nicht. Die Freiheit, die ich heute
spüre und auch bei anderen sehe, ist für mich jeden Tag ein Grund zur
Freude", fügte Jahn hinzu.

Insgesamt 111 Kilometer Akten hat der Geheimdienst der DDR in den
40 Jahren seines Bestehens gesammelt. Die Akten wurden nach der
friedlichen Revolution der Öffentlichkeit zugänglich gemacht,
insgesamt 3,2 Millionen Anfragen zur Akteneinsicht sind seither bei
der Behörde eingegangen, im vergangenen Jahr waren es 43.000
Anfragen. Das Gelände der ehemaligen Stasi-Zentrale, heute "Campus
für Demokratie", beherbergt nun unter anderem das Stasi-Museum mit
dem Original-Büro des ehemaligen Stasi-Chefs Erich Mielke, aber auch
eine Freiluft-Ausstellung zur friedlichen Revolution. Aus dem "Ort
der Repression und der Revolution" sei "ein Ort der Aufklärung
geworden", erklärt Jahn. "Die Akten, Dokumente des Unrechts, können
genutzt werden zur Aufklärung dessen, was geschehen ist. Das ist
wichtig gewesen für die vergangenen 30 Jahre und wichtig für die
Zukunft", betont er.

Roland Jahn wird noch bis zum Sommer 2021 als Bundesbeauftragter
für die Stasi-Unterlagen im Dienst sein, danach wird die Behörde
aufgelöst, das Archiv in das Bundesarchiv überführt. Akteneinsicht
wird weiterhin möglich sein.



Pressekontakt:
Neue Osnabrücker Zeitung
Redaktion

Telefon: +49(0)541/310 207

Original-Content von: Neue Osnabrücker Zeitung, übermittelt durch news aktuell


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