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Mittelbayerische Zeitung: Verrutschte Prioritäten / Seit zwei Jahren regiert diese Koalition und die größte Hürde steht noch bevor: der Klimaschutz. Leitartikel von Jana Wolf

Geschrieben am 24-09-2019

Regensburg (ots) - Halbzeit im politischen Berlin, aber die Arbeit
der großen Koalition ist nicht halb getan. Sie fängt gerade erst
richtig an. Mit aller Wucht drängt sich der Klimaschutz auf der
Prioritätenliste der Regierung immer weiter nach oben. Nicht nur,
weil der Ruf nach sofortigem Handeln und die Proteste der Jugend
immer weiter anschwellen. Vor allem, weil die Klimakrise faktisch
immer größeren Schaden hinterlässt. Kanzlerin Merkel nannte den
Klimaschutz kürzlich in ihrer Regierungserklärung eine
"Menschheitsaufgabe", CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer sprach von "einer
der großen Zukunftsfragen", SPD-Vizekanzler Scholz kündigte den
"großen Wurf" an und CSU-Chef Söder einen "Marshallplan". Damit haben
die Koalitionäre pünktlich zur Zwischenbilanz selbst den
Handlungsbedarf vermessen: Nach zwei Jahren gemeinsamen Regierens
liegt offen auf dem Tisch, was noch nicht getan und was nun dringend
zu tun ist. Die Messlatte hängt hoch. Die Aufgabe Klimaschutz ist
deswegen so groß, weil sie - neben all den konkreten und komplexen
Maßnahmen - eine ganz grundsätzliche Frage ins Blickfeld rückt: Wie
können wir in Zukunft Wachstum mit Ökologie verbinden? Die Ökologie
muss Vorrang haben, doch bisher sind die Prioritäten anders gelagert.
Politisches Handeln orientiert sich zuvorderst am Wachstum und
stellt, wenn überhaupt, höchstens die Frage, ,ob' Ökologie mit
Wachstum zusammengeht. Diese Schieflage lässt sich etwa am Klimapaket
2030 ablesen. Die "wirtschaftliche Betrachtung" findet sich ganz oben
im ersten Absatz, noch vor jeder politischen. Das am Freitag
vorgestellte Paket ist der vorläufige Höhepunkt einer irregeleiteten
Entwicklung, in der das Streben nach immer mehr und immer größerem
Wachstum den Takt vorgibt. Bei der lebensentscheidenden Klima-Frage
wird das besonders deutlich. Damit sollen nicht alle Projekte der
Regierung schlecht geredet werden - das sei der Fairness halber
gesagt. Eine Studie von Bertelsmann-Stiftung und Wissenschaftszentrum
Berlin hat der Groko bescheinigt, zwei Drittel der
Koalitionsversprechen bereits eingelöst zu haben. Darunter findet
sich Sinnvolles wie Gesetze zu Fachkräftezuwanderung oder
Kita-Ausbau, Verbesserungen in der Pflege und der aus ökologischer
Sicht wichtige Ausbau der Schienen. Doch mit all diesen Schritten ist
das tieferliegende Problem, dass nämlich zu viele Bereiche unserer
öffentlichen Daseinsvorsorge dem bunten Treiben des Marktes
überlassen wurden, längst nicht gelöst. Und dieses Problem reicht
weit über die Frage der Vereinbarkeit von Wachstum und Ökologie
hinaus. Man saß lange dem Irrglauben auf, der Markt werde die Funk-
und Breitbandlöcher im Land selbst in den Griff bekommen; private
Pflegeeinrichtungen werden die Arbeitsbedingungen ihres Personals
selbst ordentlich regeln; Krankenhausbetreiber werden sich so
geschickt verteilen, dass keine Versorgungslücken entstehen;
Investoren werden auf den aus der öffentlichen Hand veräußerten
Flächen schon genug bezahlbaren Wohnraum schaffen. Weit gefehlt! Es
ist eben kein Automatismus, dass der Markt diese gesellschaftlich
relevanten Bereiche regelt - er hat das Wachstum im Blick. Die
Daseinsvorsorge gerecht und flächendeckend zu regeln, ist Aufgabe der
Politik. Sie wurde viel zu lange vernachlässigt. Dies ist kein
Plädoyer, die Sicherung von Wohlstand über Bord zu werfen. Eine
stabile Wirtschaft braucht das Land. Doch im Angesicht existenzieller
Herausforderungen und einer Regierung unter Druck, ist es an der
Zeit, die politischen und wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse neu zu
bewerten. Pünktlich zur Halbzeit steht auch die Frage der Zukunft
dieser GroKo im Raum, zumal die Zukunft der SPD noch immer offen ist.
Bei der Vorstellung des Klimapakets sprach CSU-Chef Söder von einem
"eindrucksvollen Zurückmelden der großen Koalition". Bislang ist das
ein leerer Kraftausdruck ohne Inhalt. Damit er an Substanz gewinnt,
müssen erst noch kraftvolle Taten folgen.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell


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