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Landeszeitung Lüneburg: "Macrons Dynamik tut der EU gut" CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter fordert nach G7-Gipfel Zusammenrücken der Europäer, um Trump einzuhegen

Geschrieben am 30-08-2019

Lüneburg (ots) - Von Joachim Zießler

Bisher war die Linie der Europäer, das Atomabkommen mit dem Iran
retten zu wollen. Jetzt sind sie auf die US-Linie eingeschwenkt,
einen neuen Deal aushandeln zu wollen. War der G7-Gipfel ein Triumph
für Trump? Roderich Kiesewetter: Ich glaube, es war eher ein Erfolg
für europäische Außenpolitik. Und der liegt in der Art und Weise, wie
Macron den iranischen Außenminister eingebunden hat, so dass es in
dem festgefahrenen Konflikt wieder Gespräche gab. Und da haben die
Europäer gezeigt, dass sie, wenn sie selbstbewusst handeln, auch
erfolgreich sein können. Zudem hat sich der G7-Gipfel eigentlich vor
allem auf zwei Ziele geeinigt: Erstens, dafür Sorge zu tragen, dass
der Iran sich nie Atomwaffen verschaffen kann. Zweitens, und das ist
natürlich etwas allgemein formuliert, den Frieden und die Stabilität
in der Region zu fördern. Langfristig muss das Abkommen durch weitere
Regelwerke in anderen Themenbereichen ergänzt werden, weil der Iran
das Existenzrecht Israels nicht anerkennt, weil Teheran über
ballistische Trägersysteme verfügt, die mit Nuklearköpfen bestückt
werden können, und weil Teheran im schiitischen Bogen vom Libanon
über Syrien und den Irak bis hin zum Jemen Einfluss nimmt. Aber wir
wissen, wie schwer das zu bewerkstelligen ist. Entscheidend ist, eine
gemeinsame europäische Linie mit den USA zu finden, die sich nicht in
der Strategie des maximalen Drucks erschöpft.

Hat Macron Trump und die Europäer überrumpelt, indem er Washington
zumindest wieder auf Tuchfühlung mit Teheran brachte? Soweit ich
weiß, sind die europäischen Partner erst sehr kurzfristig vorher über
den bevorstehenden Besuch des iranischen Außenministers informiert
worden. Allerdings hat sich Macron vorab mit Trump ins Benehmen
gesetzt, damit der Biarritz-Gipfel nicht in einem Eklat endet.

Trump feierte sich nach Biarritz für diverse Deals am Rande. War
das Ganze eher eine bilaterale Verkaufsmesse als ein multilateraler
Gipfel? Was in jedem Fall positiv hervorsticht, ist, dass es ein
gemeinsames Kommuniqué gab. Deutlich wurde aber auch, dass die USA
unter der Regierung Trump Schwierigkeiten haben mit der
regelbasierten internationalen Ordnung. Umso drängender ist es, dass
sich insbesondere die Europäer enger zusammenschließen. Denn die G7
sind ja 1975 als Wertegemeinschaft gegründet worden. Diese
Wertegemeinschaft wird auf der anderen Seite des Atlantiks in Frage
gestellt. Deshalb besteht hier aus meiner Sicht schon
Handlungsbedarf.

Emmanuel Macron hat mit einer unorthodoxen Gipfelführung für
Bewegung gesorgt, die Kanzlerin geriet eher in den Hintergrund. Haben
wir eine Machtverschiebung innerhalb Europas erlebt? Nun, wir erleben
seit einiger Zeit, dass die Dynamik für die Europäische Union
zunehmend von Frankreich ausgeht. Länder wie Italien, Polen und
selbstverständlich auch Brexit-Großbritannien sind diesbezüglich ein
Ausfall. Und die Bundesrepublik befindet sich in einer
Übergangsphase. Die Kanzlerin befindet sich in der Endphase ihrer
Amtszeit. Aber Europa braucht gerade jetzt eine neue Dynamik.
Deswegen ist es gut, dass Macron hier Vorreiter ist. Der Vertrag von
Aachen ist die Chance, konsequente, gemeinsame Schritte zur
Durchsetzung europäischer Interessen anzugehen.

Macron hat im Alleingang eine Digitalsteuer verabschiedet, weil
die Europäer nicht mitzogen, und hat sich nun bilateral mit Trump
geeinigt. Prescht Paris vor, weil Berlin ihn allzu lange zappeln
ließ? Zunächst einmal ist es richtig, sich gegenüber Digitalkonzernen
zu positionieren, die ihre Gewinne ins Ausland leiten. Ich halte
unsere deutsche Position, auf eine internationale Lösung zu setzen,
um US-Druck auf unsere Exporte zu vermeiden, für zu zurückhaltend.
Aber in anderen Bereichen arbeiten Deutschland und Frankreich sehr
eng zusammen - etwa beim Handel mit Südamerika, mit Blick auf
Hongkong oder die Ukraine. So wollen Paris und Berlin das
Normandie-Format neu beleben, um Bewegung in den festgefahrenen
Konflikt in der Ost-Ukraine zu bringen. Hier funktioniert der
deutsch-französische Motor Europas. In anderen Regionen müssen wir
jedoch energischer an einer gemeinsamen, kohärenten Strategie
arbeiten, wie z.B. zu Libyen.

Hat Macron den G7-Gipfel wiederbelebt, weil er zumindest
Diskussionen in den Bereichen Iran und Handelskonflikt USA-China
ermöglichte? Dass am Ende doch noch eine gute Gipfelerklärung ohne
eine Ausnahmeerklärung der USA stand, bestätigt die Herangehensweise
des französischen Präsidenten. Damit das Format auf Dauer
handlungsfähig bleibt, muss allerdings dringend nachgebessert werden.
So gilt es, die Gipfel stärker auf konkrete Ergebnisse auszurichten
und eine Art Agenda zu entwickeln. Anderenfalls würde der G7-Gipfel
zu einer Show herabsinken, deren einziger Zweck die
Selbstvergewisserung ist. Und das können wir uns nicht leisten in
einer Welt, in der Stabilität in Krisenregionen wie Afrika und den
Nahen Osten exportiert werden muss, in der nur global anzugehende
Probleme wie der Klimawandel bewältigt werden müssen und in der der
richtige Umgang mit Ländern gefunden werden muss, wie etwa Russland,
das mit der Annexion der Krim die Grenzen in Europa kriegerisch
verschoben hat. So kann die Rückkehr zur G8 unter Einschluss
Russlands nicht vollzogen werden, ohne eine Beilegung des
Ukraine-Konflikts.

In Biarritz gab Macron die Richtung der Politik gegenüber dem
rechtspopulistischen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro vor. Kein
Mercosur-Handelsabkommen, wenn dieser den Regenwald weiter brennen
lasse. Hat Macron Merkel vor den Kopf gestoßen? Ich denke, dass
dieser Vorstoß nicht ohne vorherige Abstimmung erfolgt ist. Ein Stopp
des Mercosur-Abkommens würde unserem langfristigen Interesse
widersprechen, gestaltend mit einer aufstrebenden Region
zusammenzuarbeiten. Zudem gilt es hier in der Diskussion über den
Fleischkonsum in Europa und den Waldbränden im Amazonas die
Relationen im Blick zu behalten. Die 99 000 Tonnen des aus den
Mercosur-Staaten importierten Rindfleisches stellen gerade einmal 1,2
Prozent des europäischen Konsums dar, bei einer Gesamtproduktion von
ca. 11 Millionen Tonnen alleine in Brasilien. Mercosur steht also
nicht mit der Abrodung des Regenwalds in Verbindung, zumal die
Zollerleichterungen nach Inkrafttreten 2021 erst nach fünf Jahren
voll greifen. Mit Mercosur ist zudem die Umsetzung des Pariser
Klimaschutzabkommens verbunden. Wesentlich wichtiger sind zudem die
verabredeten Zollsenkungen auf Textilien, Maschinenteile und
Schokoladenerzeugnisse. Fleischprodukte machen beim Handel Europas
mit Südamerika einen viel geringeren Anteil aus.

Welchen Sinn machte es, dass die G7 über globale Ungerechtigkeit
debattieren, obwohl China nicht mit am Tisch sitzt? Wäre das kein
Thema für G20, damit auch die G2-Giganten vertreten sind? Da haben
Sie völlig recht. Die G7 umfasst zwar rund 47 Prozent des weltweiten
Bruttoinlandsprodukts, also fast die Hälfte, aber nur elf Prozent der
Weltbevölkerung. Tatsächlich dienten G7-Gipfel deshalb auch immer der
Abstimmung für spätere G20-Treffen. Und deshalb ist es so wichtig,
dass die westlichen Staaten hoffentlich irgendwann auch mal wieder
mit Russland auf einen Nenner kommen. Kleinreden brauchen wir die G7
aber auch nicht, denn es sind diese Staaten, die in der Welt die die
Masse der Entwicklungsausgaben und der Sozialausgaben leisten.
Insofern können G7-Gipfel schon globale Wegmarken setzen.

Nach dem Desaster von Kanada vor einem Jahr war für Biarritz nicht
mal eine Gipfelerklärung vorgesehen. Endet die Ära globaler
Vereinbarungen, beginnt die der Koalitionen der Willigen? Ich
befürchte das. Deswegen kommt es so stark darauf an, die USA stärker
in die regelbasierte internationale Ordnung einzubinden. Dieses Thema
wird im US-Wahlkampf eine große Rolle spielen. Aber falls Trump
wiedergewählt wird - und das ist absehbar - wird es noch schwieriger
werden, weil er dann in seine letzte Amtszeit geht und überhaupt
keine Rücksicht mehr nehmen muss. Deshalb ist es ja auch so wichtig,
dass Europa ein Freihandelsabkommen mit Japan abgeschlossen hat und
dass wir nach 20 Jahren eines mit den Mercosur-Staaten ausverhandelt
haben. Die Kräfte, die eine internationale Ordnung anstreben, die auf
Regeln gründet, müssen sich jetzt enger zusammenschließen.

Hat Deutschland sein Strategiedefizit aufgearbeitet, um in einer
zunehmend regelloseren Welt zu definieren, was es mit welchen Mitteln
eigentlich erreichen will? Der Aufbau strategischer
Handlungsfähigkeit ist nach dem neuen Weissbuch zur
Sicherheitspolitik 2016 nicht konsequent fortgesetzt worden. Das
größte Manko der deutschen Außen-, Sicherheits- und
Entwicklungspolitik ist, dass sie nicht auf einer nationalen
Strategie gründet, sondern dass die zuständigen Ministerien lediglich
ihre eigenen, begrenzten Programme mehr oder minder abgestimmt
verfolgen. Zudem findet immer noch keine breite gesellschaftliche
Debatte darüber statt, weder im Bundestag noch in entsprechenden
Gremien. Wo und wie wir unsere knappen Ressourcen einsetzen wollen,
sollte für uns aber ein ganz zentrales Thema sein. Wir können etwa
bei europäischen Missionen nicht länger Zaungast bleiben. Deutschland
hat sich aus verständlichen historischen Gründen lange gescheut,
nationale Interessen zu definieren. Aber eine Kultur der
Zurückhaltung und das Paradigma "nie wieder Auschwitz" reichen heute
nicht mehr. Unsere Partner wollen wissen, was wir gemeinsam machen
können, um unsere Sicherheit und den Frieden zu bewahren. Dafür
brauchen wir einen nach vorn gerichteten, aktiv gestaltenden Ansatz
deutscher Außenpolitik, der nicht nur den kleinsten gemeinsamen
Nenner der Ministerialbürokratie widerspiegelt.

Zur Person

Roderich Kiesewetter (55) ist einer der führenden Außenpolitiker
der CDU. Der frühere Generalstabsoffizier (Oberst) ist im
prestigeträchtigen Auswärtigen Ausschuss der Obmann der Union. Zudem
ist Kiesewetter Leiter der deutschen Delegation bei der
Parlamentarischen Versammlung der EU- und Mittelmeerstaaten. Er war
von 2011 bis 2016 Präsident des Reservistenverbandes.



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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