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ROG: Türkei schiebt Schutz suchende Journalisten zurück nach Syrien ab

Geschrieben am 21-08-2019

Berlin (ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) ist äußerst beunruhigt
darüber, dass die Türkei begonnen hat, aus Syrien geflüchtete
Journalistinnen und Journalisten in ihre Heimat abzuschieben. Seit
Juni haben die türkischen Behörden mehrere syrische Medienschaffende
gegen ihren Willen über die Grenze geschickt, wo ihnen Verfolgung
durch das Assad-Regime oder durch bewaffnete Gruppen droht. Einer von
ihnen wurde gezwungen, einen Antrag auf "freiwillige Rückkehr" zu
unterschreiben, ohne dessen Inhalt zu kennen. Zugleich weigern sich
die türkischen Behörden offenbar immer öfter, Geflüchteten aus Syrien
Flüchtlingsausweise und damit einen offiziellen Aufenthaltsstatus zu
gewähren oder zu verlängern.

"Geflüchtete Journalistinnen und Journalisten zur Rückkehr in
Gebiete zu zwingen, in denen ihnen Verfolgung droht, verstößt gegen
den völkerrechtlichen Grundsatz der Nichtzurückweisung", sagte
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Die Türkei hat in den
vergangenen Jahren Großes bei der Aufnahme von Geflüchteten aus
Syrien geleistet. Damit hat sie aber auch Verantwortung für den
Schutz dieser Menschen vor Verfolgung übernommen. Dies gilt nicht
zuletzt für die vielen aus Syrien in die Türkei geflüchteten
Journalistinnen und Journalisten, für die eine Rückkehr in ihre
Heimat in vielen Fällen die sichere Aussicht auf lange Haft, Folter
und in vielen Fällen den Tod bedeuten würde."

Der völkerrechtliche Grundsatz der Nichtzurückweisung
(Non-Refoulement) ergibt sich unter anderem aus der Genfer
Flüchtlingskonvention. Sie enthält in Artikel 33 das Verbot,
Geflüchtete in Gebiete auszuweisen oder zurückzuweisen, in denen ihr
Leben oder ihre Freiheit beispielsweise wegen ihrer politischen
Überzeugung bedroht wäre.

VERHAFTET BEIM VERSUCH, EINEN FLÜCHTLINGSAUSWEIS ZU BEKOMMEN

Seit Beginn des Aufstands gegen das Assad-Regime 2011 sind
Hunderte Medienschaffende aus Syrien in die Türkei geflüchtet und
hofften, dort einen sicheren Zufluchtsort gefunden zu haben. Doch in
den vergangenen Wochen haben die türkischen Behörden mindestens drei
Journalisten nach Syrien abgeschoben, wo ihnen Verhaftung oder
Verschleppung, Folter und Tod durch das Assad-Regime oder durch
bewaffnete Gruppen drohen. In einem Brief an den türkischen
Innenminister hat ROG die Türkei deshalb aufgefordert, geflüchtete
syrische Medienschaffende weder zur Rückkehr zu zwingen noch durch
Drohungen oder bürokratische Schikanen in eine Lage zu bringen, in
der ihnen faktisch kein anderer Ausweg bleibt als die Ausreise nach
Syrien. (PDF: https://ogy.de/tx3a)

Der syrische Journalist Hussein al-Tawil zum Beispiel, der für den
Fernsehsender Al-Dschisr TV arbeitete, wurde nach Syrien abgeschoben,
nachdem er im Juni in Reyhanli nahe der Grenze zu Syrien verhaftet
wurde. Dort hatte er versucht, in eine Provinz zu gelangen, in der er
sich für einen Flüchtlingsausweis bewerben könnte.

Jakub al-Dalie, der für das Online-Portal The Levant News
arbeitete, stand kurz davor, ein solches Dokument zu bekommen, als
man ihn am 9. Juli verhaftete und nach Syrien abschob. Als er einen
Monat darauf versuchte, erneut in die Türkei einzureisen, verhafteten
ihn türkische Soldaten an der Grenze und schickten ihn wiederum nach
Syrien zurück. Sofort nach seiner erzwungenen Rückkehr nach Syrien
erhielt der Journalist dort Drohungen und musste in eine andere Stadt
fliehen, um Repressalien zu entgehen.

In Antakya wurde am 26. Juli ein weiterer syrischer Journalist
verhaftet, Obaida al-Omar, der für Horrya.net arbeitete. Er wurde
gezwungen, ein Dokument in türkischer Sprache zu unterschreiben, das
er nicht verstand und das sich als Antrag auf eine "freiwillige
Rückkehr" nach Syrien herausstellte. (https://ogy.de/sc1w)

PAPIERE WERDEN NICHT VERLÄNGERT, FLÜCHTLINGE UNTER DRUCK GESETZT

Die türkischen Behörden bestreiten, dass syrische Flüchtlinge
gegen ihren Willen in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Ihre
offizielle Darstellung lautet, nur wer den Wunsch nach einer Rückkehr
äußere, bekomme Hilfe dabei, "sichere Regionen" zu erreichen. Die von
Reporter ohne Grenzen gesammelten Informationen ergeben jedoch ein
ganz anderes Bild: In den vergangenen Wochen war es vielen syrischen
Medienschaffenden nicht möglich, ihre türkischen Flüchtlingsausweise
zu verlängern. Damit verloren sie zugleich ihren legalen
Aufenthaltsstatus in der Türkei.

Zugleich werden Flüchtlinge bei Ausweiskontrollen immer öfter mit
einer Festnahme bedroht oder auf andere Weise unter Druck gesetzt,
bis sie einen Antrag auf "freiwillige Rückkehr" unterschreiben - oft,
ohne zu verstehen, was er bedeutet. (https://ogy.de/u4uw) Auf dieser
Grundlage können sie in syrische Regionen wie Idlib nahe der
türkischen Grenze geschickt werden, wo derzeit heftige Kämpfe
zwischen dem Assad-Regime und Rebellengruppen stattfinden.

PROVINZ ISTANBUL MACHT DRUCK AUF UNREGISTRIERTE GEFLÜCHTETE

Zusätzlich verschärft wird die Situation durch eine neue Direktive
des Gouverneurs der Provinz Istanbul. Darin kündigte er an, von heute
(21.8.) an alle Syrerinnen und Syrer aus dem Großraum Istanbul in
andere Provinzen zu verweisen, die nicht in Istanbul für einen
vorübergehenden Schutzstatus registriert seien. (https://ogy.de/b04r;
https://ogy.de/l3lf) Der unabhängige Syrische Journalistenverband
schätzt, dass diese Regelung mehr als dreihundert Journalistinnen und
Journalisten betrifft.

Viele syrische Medienschaffende arbeiten zwar für Redaktionen in
Istanbul und haben dort auch ihre Familien, müssten aber offiziell in
anderen Teilen der Türkei leben. Angesichts der jüngsten Fälle
fürchten viele, statt in andere Provinzen werde man sie letztlich
nach Syrien verweisen.

Daneben fürchten sie um ihre Arbeit, da die meisten syrischen
Exilmedien in der Türkei von Istanbul aus arbeiten. Anfang August
drohten Watan FM, Orient TV, Aram News und Bisan FM ihren
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit der Entlassung, falls sie ihren
Aufenthalt in der Türkei nicht legalisieren.

Solche syrischen Exilmedien stehen in der Türkei selbst unter
massivem Druck. Laut dem Gründer des Syrischen Journalistenverbandes,
Firas Diba, dürfen solche Medien gemäß den türkischen Gesetzen nur
eine ausländische Staatsangehörige oder einen ausländischen
Staatsangehörigen auf jeweils fünf türkische Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern beschäftigen. Da diese Bestimmung für arabischsprachige
Medien praktisch unmöglich umzusetzen ist, arbeiten viele davon
notgedrungen illegal.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz
157 von 180 Ländern; Syrien nimmt Platz 174 ein. Mehr zur Lage der
Journalistinnen und Journalisten in den beiden Ländern finden Sie
unter www.reporter-ohne-grenzen.de/türkei und
www.reporter-ohne-grenzen.de/syrien.

WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN:

- ROG-Themenbericht zur Lage aus Syrien geflüchteter
Journalistinnen und Journalisten in den Nachbarländern (2016):
https://ogy.de/9pwp (PDF)



Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Pressereferat
presse@reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55

Original-Content von: Reporter ohne Grenzen e.V., übermittelt durch news aktuell


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