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Mittelbayerische Zeitung: Wie Salvini Italiens Krise ausnutzt Der Innenminister spielt mit den Ängsten der Italiener. Sie fühlen sich von der EU im Stich gelassen. Von Julius Müller-Meininigen

Geschrieben am 09-07-2019

Regensburg (ots) - Viele Jahrzehnte lang war Italien das Land von
Don Camillo und Peppone. Der freundliche Antagonismus des
katholischen Pfarrers, also des sozial ausgerichteten Verfechters der
Christdemokratie, mit dem kommunistischen Bürgermeister ist längst
Geschichte. Er prägt aber unbewusst immer noch das Italienbild
außerhalb des Landes. Italien, nicht nur wunderschön und lecker,
sondern irgendwie nett und ein bisschen schrullig, dieses Bild hat
sich in den Stammhirnen festgesetzt. Der italienische Innenminister
Matteo Salvini hat Europa inzwischen endgültig aus diesem
Dolce-Vita-Schlummer erweckt. Der vierfache Ex-Premier Silvio
Berlusconi war dafür nur ein populistischer Vorbote. Berlusconi
sabotierte ganz offen den von ihm vertretenen Staat, das kam bei den
staatsskeptischen Italienern über Jahre hinweg gut an. Salvini hat
die Gangart verschärft. Er spielt virtuos mit den Ängsten der
Italiener, die in den vergangenen Jahren immer größer geworden sind.
Man kann den Kopf schütteln über den 45 Jahre alten Lega-Chef.
Salvinis Erfolg ist allerdings nur möglich, weil seine Landsleute
einen so desillusionierten Blick auf sich selbst haben. Dass ist der
Stoff für Salvinis Politik. Die meisten Italiener haben einen
katastrophalen Eindruck von der Lage ihrer Nation. Gewiss hat die
Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 tatsächlich einer ganzen Generation
den Boden unter den Füßen entzogen. Den teilweise berechtigten Frust
über die eigene Politiker-Kaste nutzte seit 2013 vor allem die
Fünf-Sterne-Bewegung um Beppe Grillo aus. Salvini hat die frühere
Lega Nord von einer sezessionistischen Kleinpartei in die derzeit
stärkste politische Kraft in Italien verwandelt. Laut Umfragen kann
die Lega derzeit Rekordwerte um 36 Prozent der Stimmen verbuchen.
Meinungsforscher stellen fest, dass knapp 60 Prozent aller Italiener
die Hafenblockaden für private Rettungsschiffe mit Migranten
unterstützen. Salvini besetzt inzwischen auch das Vakuum, das der
Zusammenbruch der Christdemokratie Anfang der 1990er Jahre und das
schleichende Ende Berlusconis im konservativen Spektrum hinterlassen
haben. Sein Rezept: Hemdsärmeligkeit, drastische Wortwahl, eine Prise
Mussolini-Rehabilitierung und vor allem klare Feindbilder. Die
Sündenböcke in Salvinis Italien sind mal EU-Politiker, mal
EU-Bürokraten, aber vor allem Migranten und ihre Helfer. Es ist ein
gängiger menschlicher Mechanismus, die Ursache von Krisen stets bei
anderen, aber nicht bei sich selbst zu suchen. Italien ist in dieser
Hinsicht ein Paradebeispiel. Sogar für frühere Anhänger der linken
Mitte ist es in Italien heute durchaus denkbar, der Lega ihre Stimme
zu geben. Die Diktion, Italien sei von den EU-Partnern im Stich
gelassen worden, verfängt auch deshalb, weil sie in Teilen zutrifft.
Als Mittelmeer-Land stand Italien den Flüchtlingsbewegungen lange
alleine gegenüber. So kommt es, dass die Lega ausgerechnet in den
einstigen Hochburgen der Toleranz Erfolg hat. Wo will Salvini hin?
Ganz gewiss zielt der Vize-Regierungschef auf das höchste Amt in der
Regierung, den Job des Ministerpräsidenten. Sein politisches Kapital
lässt sich auf die Wahlkampf-Formel "Zuerst die Italiener"
reduzieren. Von der Verteidigung der Grenzen, der Verteidigung
nationaler Interessen versprechen sich die Italiener Sicherheit. Dass
dabei die Wirklichkeit nur eine bedingte Rolle spielt, zeigt etwa die
sinkende Kriminalitätsrate in Italien. Viele Italiener sind dennoch
verunsichert. Trotz seiner Regierungsverantwortung gelingt es dem
Lega-Chef, sich als Anti-System-Kraft darzustellen. Salvini wird
Italien und Europa noch eine Weile beschäftigen. Irgendwann aber
kommen seine Parolen an ihre Grenzen, auch er wird zum Establishment.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

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