(Registrieren)

BERLINER MORGENPOST: Unser Mutmachtag / Leitartikel von Christine Richter zum Frauentag

Geschrieben am 06-03-2019

Berlin (ots) - Es ist eine Premiere: Heute begehen wir in Berlin
zum ersten Mal den Frauentag als Feiertag. Als einziges Bundesland.
Nach einer sehr kurzen, intensiven Diskussion in der Berliner
Landespolitik, in die sich die Kirchen in Berlin und die Bürger
dieser Stadt per Leserbrief oder über die sozialen Medien wie
Facebook eingemischt haben. Beteiligt wurden wir alle nicht, die
Entscheidung für den 8. März als Feiertag haben die
rot-rot-grünen Politiker unter sich ausgemacht. Und gezeigt, wie
schnell Politik sogar in Berlin sein kann: Nun also feiern wir ihn,
den Internationalen Frauentag.

Ich persönlich war eigentlich für einen anderen Feiertag, wenn es
denn schon ein zusätzlicher in Berlin sein sollte. Aber ich kann
mich, nach meinen Gesprächen mit anderen Frauen, inzwischen mit
unserem neuen Feiertag anfreunden. Warum? Weil es eben doch noch
viele Ungerechtigkeiten auch in unserer so modernen Welt gibt, weil
es sich lohnt, über die Situation von Jungen und Mädchen, von Männern
und Frauen nachzudenken - und vor allen Dingen die Probleme dann auch
anzugehen.

Beispiel Kindertagesstätte und Schule: Auch heute, im 21.
Jahrhundert, verfangen doch offensichtlich noch die alten
Rollenklischees. Die Mädchen werden in ihren sozialen Kompetenzen
gefördert, die Jungen in ihren handwerklichen und technischen
Fähigkeiten. Das fängt beim Spielzeug und den Kinderbüchern an und
setzt sich später bei den Empfehlungen für Schülerpraktika fort.
Sicherlich geben sich viele Erzieherinnen und Erzieher (so es sie
gibt) jede Mühe, alle Kinder gleich zu fördern und zu fordern. Ich
bin mir auch sicher, dass sich viele Lehrerinnen und Lehrer bemühen
und den Jugendlichen die Gleichberechtigung vorleben. Aber ich
glaube, dass an diesen Bildungsstätten, wo wir alle doch so stark für
unser Leben geprägt werden, häufig die alten Muster vorherrschen.

Vorbilder, da bin ich überzeugt, sind für Mädchen - und Jungen -
von immenser Bedeutung. Auch aus ganz persönlichem Erleben: Meine
Mutter ist und war eine starke Frau, die keine höhere Schule besuchen
oder gar studieren durfte, sondern schon mit 15 Jahren im elterlichen
Betrieb mithalf und nach dem Schulabschluss anfing, dort zu arbeiten.
Fortgebildet hat sie sich dann später, als es möglich war. Sie hat
uns immer Mut gemacht, uns unterstützt und angetrieben - und Fehler
waren nicht schlimm, solange man daraus lernte.

Meine Schwester und ich besuchten ab der fünften Klasse eine
katholische Mädchenschule - obwohl wir Protestanten waren. Es war die
beste Schule am Ort und tat uns, bei allen Auseinandersetzungen, gut.
Unsere Lehrerinnen und Lehrer haben uns sehr gefordert - und
gefördert. Auch im Mathematik- oder Physik-Leistungskurs, auch bei
handwerklichen Aufgaben. Jungs, die sich hätten vordrängeln können,
gab es keine. Wie oft haben die Lehrkräfte mit uns über Ausbildung
und Studium gesprochen, was haben sie uns Mut gemacht für die
schwierigeren Fächer und Berufe.

So erschrecke ich manchmal, wenn ich mir die Bilanzen eines
Ausbildungsjahres ansehe: Immer noch sind die Berufe Bürokauffrau,
medizinisch-technische Assistentin oder Friseurin die beliebtesten
bei den jungen Frauen, die junge Männer entscheiden sich klassisch
für den Kfz-Mechatroniker, Industriemechaniker oder Elektroniker. Wer
sind da die Vorbilder? Oder wurde ihnen kein Mut gemacht für andere
Berufe? Ist es einfacher, die Rolle, die vermeintlich von einem
erwartet wird, zu erfüllen?

Und ich erschrecke immer noch, wie starr die Strukturen sind. Wie
schwer es ist, Beruf und Familie zu vereinbaren und als Frau dennoch
Karriere zu machen. Das gilt übrigens auch für den Journalismus. Die
Zahl der Frauen in Führungspositionen in den Medien - ob bei
Printmedien oder im öffentlich-rechtlichen Fernsehen - ist,
vorsichtig formuliert, begrenzt. Ähnliches gilt leider auch in der
Politik: In den Parlamenten beträgt der Frauenanteil derzeit meist um
die 30 Prozent - obwohl die Frauen doch die Hälfte der Bevölkerung
stellen. Das liegt, wir wissen es alle, nicht daran, dass Frauen zu
wenig Interesse an Politik haben, sondern das liegt an den
familienunfreundlichen Strukturen, an den vorherrschenden Ritualen.
Wer eine Karriere in der Politik anstrebt, der braucht schon viel
Standing, ein dickes Fell und immer noch viel Zeit am Abend und am
Wochenende - Zeit, die viele Frauen eben lieber mit Mann und Kindern
verbringen.

Der Frauentag, er bietet die Chance, über die Lage in Deutschland,
über das Leben von Frauen und Männern nachzudenken und zu reden. Ich
würde mich freuen, wenn der Tag nicht nur zum Ausschlafen oder für
einen Ausflug ins Umland genutzt wird, sondern als ein Tag zum
Mutmachen. Gern begleitet von einer roten Nelke oder roten Rose - und
dann müssen sich Frauen und Männer verständigen, was alles noch
anders werden muss. In Berlin, in Deutschland.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

677270

weitere Artikel:
  • Westfalen-Blatt: Kommentar zum Gesetz zur Staatsbürgerschaft Bielefeld (ots) - Manchen wird sie in die Wiege gelegt, andere müssen Jahre warten und erst einen Einbürgerungstest bestehen, wieder andere würden sie gerne haben, erhalten sie aber nie: die deutsche Staatsbürgerschaft. Mit kaum einem anderen Pass kann man so viele Länder visafrei bereisen wie mit dem deutschen. Vor Ort hat der Unternehmer, Journalist, Pilger oder Tourist bei Problemen Anspruch auf Hilfe durch die eigene Botschaft. Das gilt selbstverständlich auch für die, die im Ausland etwas tun, was weltweit oder nur im Gastland mehr...

  • Badische Zeitung: Flüchtlinge und Jobs: Kein schlechtes Ergebnis / Kommentar von Hannes Koch Freiburg (ots) - Die meisten Zuwanderer wollen nicht in der Hängematte liegen, sondern tätig sein. Glücklicherweise treffen sie derzeit auf kleine und große Firmen, Handwerker und Konzerne, die dringend Beschäftigte suchen und ihnen eine Chance geben. Natürlich steckt in solchen Sätzen auch Zweckoptimismus. Berichte über Gewalttaten, kriminelle Clans, erfolglose Abschiebungen oder Sozialbetrug drängen sich häufig in den Vordergrund. Dass Integration auch gelingt, kommt dabei oft zu kurz. http://mehr.bz/khs56s Pressekontakt: mehr...

  • Mittelbayerische Zeitung: Europa fest im Visier / Ziemlich schaumgebremst verliefen die Auftritte der Parteien zum Aschermittwoch. Regensburg (ots) - Auch der gestrige Aschermittwoch in Niederbayern hat gezeigt, dass sich die politische Landschaft, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, ziemlich klar teilt: einerseits in die EU-Verfechter und andererseits die EU-Zerstörer. Die Sorge um das Schicksal dieser Union in einer ziemlich unberechenbaren Welt bürdet allen Beteiligten einen großen Rucksack an Verantwortung auf. Pressekontakt: Mittelbayerische Zeitung Redaktion Telefon: +49 941 / 207 6023 nachrichten@mittelbayerische.de Original-Content mehr...

  • Rheinische Post: Altmaier lehnt Nachunternehmerhaftung in der Paketbranche als "bürokratisch" und "falsch" ab Düsseldorf (ots) - Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat den Vorstoß von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für eine Nachunternehmerhaftung in der Paketbranche als "bürokratisch" und "falsch" abgelehnt. "Für mich ist wichtig, dass die Interessen der Zusteller, Lagerarbeiter und Logistiker gewahrt und geschützt werden. Wir brauchen menschenwürdige Zustände und der Mindestlohn muss eingehalten werden", sagte Altmaier der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Donnerstag). Die jetzt erhobenen Forderungen des Arbeitsministers mehr...

  • Kölner Stadt-Anzeiger: NRW gibt mehr Ausländern ein Bleiberecht Nach fünf Jahren Duldung sollen gut integrierte Ausländer künftig einen unbefristeten Status erlangen Köln (ots) - Die Landesregierung von NRW will ausreisepflichtigen Ausländern ermöglichen, nach fünf Jahren einen unbefristeten Aufenthaltsstatus zu erhalten. "Menschen, die sehr gut integriert sind, weiter im Schwebezustand zu halten oder abzuschieben, ist menschlich nicht in Ordnung und volkswirtschaftlich falsch", sagte NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp dem "Kölner Stadt-Anzeiger". In NRW leben 71133 ausreisepflichtige Ausländer, davon 55746 mit einer Duldung. Mehr als 10000 Geduldete leben länger als acht Jahre in NRW. mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht