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BERLINER MORGENPOST: Koalition auf der Couch / Leitartikel von Tim Braune zu SPD und Union

Geschrieben am 10-02-2019

Berlin (ots) - Kurzform: Irgendwann gibt es einen Punkt, an dem
die Schatten der Vergangenheit übermächtig werden, unbehandelte
Wunden das Handeln lähmen, der Blick in den Spiegel grausam ist. Was
hilft dann? Eine Therapie. Auf die Couch haben sich jetzt die
leidenden Volksparteien CDU und SPD gelegt. Ihre Beziehung zu vielen
Wählern ist gestört. Ihr über Jahrzehnte gewachsener natürlicher
Machtanspruch steht infrage. Beide Parteien wissen, dass sie handeln
müssen, um zumindest in die Nähe früherer Stärke zu kommen. Dass
diese Selbsterkenntnis zu Beginn eines Superwahljahres mit der
Europawahl und vier Landtagswahlen Raum greift, ist nicht
verwunderlich.

Der vollständige Leitartikel: Irgendwann gibt es einen Punkt, an
dem die Schatten der Vergangenheit übermächtig werden, unbehandelte
Wunden das Handeln lähmen, der Blick in den Spiegel grausam ist. Was
hilft dann? Eine Therapie. Auf die Couch haben sich jetzt die
leidenden Volksparteien CDU und SPD gelegt. Ihre Beziehung zu vielen
Wählern ist gestört. Ihr über Jahrzehnte gewachsener natürlicher
Machtanspruch steht infrage. Beide Parteien wissen, dass sie handeln
müssen, um zumindest in die Nähe früherer Stärke zu kommen. Dass
diese Selbsterkenntnis zu Beginn eines Superwahljahres mit der
Europawahl und vier Landtagswahlen Raum greift, ist nicht
verwunderlich. Die CDU mit der neuen Vorsitzenden Annegret
Kramp-Karrenbauer will jene Identitätskrise aufarbeiten, die sie seit
dem Flüchtlingsjahr 2015 mit voller Wucht erfasst hat. Angela Merkels
"Wir schaffen das" war gut gemeint, aber von der Kanzlerin zu
schlecht erklärt. Die gewaltigen Probleme und Herausforderungen bei
der Integration Hunderttausender muslimischer Menschen trafen viele
Bürger unvorbereitet und lösten vielfältige Ängste aus. In diesem
Vakuum konnte die AfD vortrefflich gedeihen und im Osten die Linke
als Protestpartei ablösen. Wenn es Kramp-Karrenbauer im
Schulterschluss mit dem neuen CSU-Vorsitzenden Markus Söder gelingt,
die Union wieder zur ersten Adresse bei "law and order" zu machen,
Chancen und Risiken von Zuwanderung in Zeiten einer knallharten
Globalisierung den Bürgern ehrlich zu erklären, dann könnte der eine
prägende Satz, der vom Schall-und-Rauch-Comeback eines Friedrich Merz
übrig geblieben ist, die AfD nämlich halbieren zu wollen, in einigen
Jahren durchaus in Erfüllung gehen. Beim Patienten SPD fällt die
Anamnese noch leichter. Hartz IV heißt das unbewältigte Trauma, das
die Genossen seit 15 Jahren mit sich herumschleppen. Was Andrea
Nahles, Olaf Scholz, Hubertus Heil, Manuela Schwesig und Kevin
Kühnert gemeinsam an Reformideen für einen neuen Sozialstaat
zusammengetragen haben, kann sich sehen lassen. Nicht alles, was die
SPD bei Grundrente, Bürgergeld statt Hartz IV, Kindergrundsicherung
und Recht auf Homeoffice verspricht, ist bezahlbar und gerecht. Die
Vorschläge aber haben das Potenzial, dass die SPD sich zumindest mit
einem Teil ihrer Kernklientel versöhnen kann, die nach Schröders
Hartz-Reformen verstört das Weite gesucht hatte. Die harschen
Reaktionen von CDU und CSU, die vor einem Untergang der
Marktwirtschaft warnen, zeigen übrigens, dass die schwarz-roten
Koalitionsspitzen dazugelernt haben. Seit 2005 waren Union und SPD
kaum noch unterscheidbar. Die fehlende Polarisierung der
Volksparteien stärkte die politischen Ränder. Angela Merkel hatte
kein Problem damit, als sozialdemokratische Kanzlerin wahrgenommen zu
werden. Wäre sie heute noch CDU-Chefin, würde sie die SPD-Vorschläge
erst einmal geflissentlich ignorieren, sich dann das Beste
herauspicken und den Bürgern weismachen, sie sei schon immer dafür
gewesen. Mit dieser Methode schläferte Merkel zum eigenen Machterhalt
über Jahre die ganze Nation ein. Die Risiken und Nebenwirkungen in
Gestalt der AfD kann sie jede Woche in den Umfragen ablesen. Dass die
Union nun Zeter und Mordio schreit, hilft sowohl der Nahles-SPD als
auch der Kramp-Karrenbauer-CDU und der Söder-CSU, wieder sichtbarer
zu werden. Eine linkere SPD und eine rechtere Union sind nicht das
Schlechteste, was Deutschland gerade passieren kann.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell


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