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Merkel muss in Aserbaidschan Freilassung von Journalisten fordern

Geschrieben am 22-08-2018

Berlin (ots) - Reporter ohne Grenzen fordert Bundeskanzlerin
Angela Merkel auf, bei ihrem Treffen mit Präsident Ilham Alijew in
Baku am 25. August die Missachtung der Pressefreiheit anzusprechen
und die Freilassung von Journalisten zu fordern. Aserbaidschan gehört
zu den Ländern mit den meisten inhaftierten Medienschaffenden
weltweit, acht Journalisten und zwei Blogger sitzen dort zurzeit
wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Auch im Nachbarland Georgien, das
Merkel ebenfalls besucht, stehen aserbaidschanische Exil-Journalisten
unter Druck. 2017 wurde dort ein Journalist entführt und sitzt
seither in Baku im Gefängnis. Selbst im Exil in Deutschland werden
Kritiker von Präsident Alijew bedroht.

"Die deutsche Regierung trägt eine besondere Verantwortung für
Journalisten in Aserbaidschan, weil sie mit Ilham Alijew nicht nur
enge politische Kontakte pflegt, sondern dessen Regime auch
finanziell unterstützt", sagt ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.
"Angela Merkel muss in Baku unmissverständlich deutlich machen, dass
die Einhaltung fundamentaler Menschenrechte wie der Presse- und
Meinungsfreiheit eine unverzichtbare Bedingung für solche
Kooperationen ist."

Reporter ohne Grenzen ist irritiert darüber, dass in den Mitte
Juli unterzeichneten "Prioritäten für die Partnerschaft" zwischen der
EU und Aserbaidschan Menschenrechte keine zentrale Rolle spielen
(http://ogy.de/ukd0) - obwohl das Europäische Parlament wenige Tage
zuvor mit großer Mehrheit verlangt hatte, die EU als wichtigster
Handelspartner Aserbaidschans müsse engere Zusammenarbeit von der
Einhaltung grundlegender Menschenrechte abhängig machen.
(http://ogy.de/dfkp) Deutschland unterstützt das Pipelineprojekt
Südlicher Gaskorridor derzeit mit einer Bundesgarantie in Höhe von
1,5 Milliarden US-Dollar (http://ogy.de/phg7).

EINFLUSSREICHE PRESSEFREIHEITS-NGO IM VISIER DER BEHÖRDEN

Mit welcher Härte das Regime in Aserbaidschan gegen seine Kritiker
vorgeht, zeigt beispielhaft der Fall von Emin und Mehman Husejnow.
Emin Husejnow, Reporter der unabhängigen Nachrichtenagentur Turan,
hatte 2006 das Institut für die Freiheit und Sicherheit von
Journalisten (IRFS) gegründet. Es berichtet über Verletzungen der
Pressefreiheit, setzt sich für verfolgte Reporter ein und informiert
Journalisten in Schulungen über ihre Rechte. Als das
aserbaidschanische Regime im Sommer 2014 massiv gegen Kritiker
vorging, schlossen die Behörden die Büros des IRFS in Baku, sperrten
dessen Konten und beschlagnahmten sämtliche Technik.

Emin Husejnow entging seiner Verhaftung nur knapp und flüchtete in
die Schweizer Botschaft in Baku. Dort musste er zehn Monate
ausharren, bevor er in die Schweiz ausreisen konnte, wo er heute als
politischer Flüchtling lebt. Husejnows Nachfolger als Direktor des
IRFS, der Journalist Rasim Alijew, wurde ein Jahr später, am 9.
August 2015, ermordet. Die Tat ist ebenso wenig aufgeklärt wie die
Morde an den Journalisten Elmar Husejnow, Rafik Tagi, Nowrusali
Mammadow und Alim Kasimli, die während Alijews Amtszeit getötet
wurden.

PROMINENTER BLOGGER NACH KRITIK AN ALIJEW IM GEFÄNGNIS

Husejnows jüngerer Bruder Mehman Husejnow, einer der bekanntesten
Blogger des Landes, erreichte mit seinem Satiremagazin Sancaq rund
ein Drittel der Facebook-Nutzer in Aserbaidschan. In seinen Beiträgen
gab er denen eine Stimme, die in den staatlich gelenkten Medien nicht
zu Wort kamen. Er thematisierte die Prunksucht der Herrschenden und
die Ausbeutung einfacher Arbeiter ebenso wie Korruption bei Beamten
und Missstände in Krankenhäusern. Seit 2012 durfte er deshalb das
Land nicht verlassen.

Im Januar 2017 wurde Mehman Husejnow im Zentrum von Baku von
Polizisten entführt und gefoltert (http://ogy.de/okrx). In einer
Sendung hatte er sich zuvor darüber lustig gemacht, dass
Staatspräsident Ilham Alijew seine Ehefrau zur Vizepräsidentin des
Landes ernannt und dafür eigens ein neues Amt geschaffen hatte.
Nachdem Mehman Husejnow öffentlich über die Folter durch Polizisten
berichtete, wurde er im März 2017 wegen Verleumdung von Beamten zu
zwei Jahren Haft verurteilt und sitzt seither im Gefängnis.
(http://ogy.de/9nd3) Trotz intensiver Bemühungen erlaubten ihm die
Behörden im Sommer 2018 nicht, seine Mutter im Krankenhaus zu
besuchen. Sie starb am 6. August, ohne ihre beiden Söhne noch einmal
gesehen zu haben.

REGIMEKRITIKER AUCH IN GEORGIEN VERFOLGT

Dass aserbaidschanische Journalisten inzwischen auch im
Nachbarland Georgien nicht mehr sicher sind, zeigt der Fall des im
Mai 2017 entführten Afghan Muchtarli. Zahlreiche Regimekritiker aus
Aserbaidschan hatten dort in den vergangenen Jahren Zuflucht gesucht,
nachdem Alijew immer härter gegen seine Kritiker vorging. Afghan
Muchtarli und seine Ehefrau, die Journalistin Lejla Mustafajewa,
flohen 2015 nach Georgien, weil sie in ihrer Heimat wegen Recherchen
über Korruption in Regierungskreisen bedroht wurden. In Georgien
arbeiteten beide für das Organized Crime and Corruption Reporting
Project (OCCRP) und den aserbaidschanischen Exilsender Meydan TV.

Im Herbst 2016 wandte sich Muchtarli an Reporter ohne Grenzen und
bat um Hilfe für seine Familie. Die georgischen Behörden hatten
seiner Frau Lejla Mustafajewa eine Aufenthaltsgenehmigung verweigert
- mit der Begründung, dies gefährde die Sicherheit Georgiens. Ein
Stipendium des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit
(ECPMF) in Leipzig konnte Mustafajewa nicht antreten, weil die
deutsche Botschaft in Tiflis ihr kein Visum erteilte.
(http://ogy.de/zc7b)

ERSCHRECKENDER PRÄZEDENZFALL: JOURNALIST IM EXIL ENTFÜHRT

Ende Mai 2017 wurde Afghan Muchtarli in der Nähe seiner Wohnung in
Tiflis von Unbekannten in ein Auto gezwungen und gefesselt. Sie
platzierten mehrere tausend Euro in seiner Tasche, bevor er sich in
den Händen des aserbaidschanischen Grenzschutzes wiederfand. Zum
Zeitpunkt seiner Entführung hatte Muchtarli zu den
Geschäftsverbindungen der Alijew-Familie nach Georgien recherchiert.

Ob georgische und aserbaidschanische Behörden bei Muchtarlis
Entführung zusammenarbeiteten, ist bis heute nicht geklärt. Lejla
Mustafajewa erklärte gegenüber ROG, die Männer, die Muchtarli in ihr
Auto zwangen, hätten Uniformen der georgischen Kriminalpolizei
getragen. Zudem seien die Überwachungskameras an der
georgisch-aserbaidschanischen Grenze angeblich zum fraglichen
Zeitpunkt ausgefallen.

Afghan Muchtarli wurde im Januar 2018 in Aserbaidschan wegen
Schmuggel und illegalen Grenzübertritts zu sechs Jahren Haft
verurteilt und sitzt seither dort im Gefängnis. (http://ogy.de/yrec)
Lejla Mustafajewa verließ Georgien zusammen mit ihrer vierjährigen
Tochter im Herbst 2017, nachdem sie von Unbekannten bedroht worden
war. Sie hat in Deutschland politisches Asyl beantragt und wird dabei
von Reporter ohne Grenzen unterstützt.

FAMILIENANGEHÖRIGE VON EXILJOURNALISTEN BEDROHT

Doch selbst in EU-Ländern wie Deutschland oder Frankreich sind
Kritiker des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew nicht vor
Verfolgung sicher. Kurz nach seiner Gründung wurde der in Berlin
ansässige Exil-Sender Meydan TV 2014 Ziel eines Anschlags
(http://ogy.de/2jsd). Veranstaltungen mit dem Gründer von Meydan TV
und Menschenrechtsaktivisten Emin Milli konnten nur unter
Polizeischutz stattfinden. In den folgenden Jahren machte Milli
mehrmals Morddrohungen gegen ihn öffentlich (http://ogy.de/07wz). Im
November 2017 berichtete der prominente Exil-Journalist Ganimat Zahid
in Frankreich von Drohungen gegen sich selbst, Emin Milli sowie den
in Berlin lebenden Blogger und Mitgründer von Meydan TV, Habib
Muntezir (http://ogy.de/5bxt).

Vor allem aber setzt das aserbaidschanische Regime Kritiker unter
Druck, indem es ihre Verwandten in der Heimat massiv verfolgt,
verhaftet und bedroht. Besonders hart traf dies Ganimat Zahid, der
als als Herausgeber der Oppositionszeitung Azadliq zweieinhalb Jahre
in Aserbaidschan im Gefängnis saß, bevor er 2011 nach Frankreich
floh. Die aserbaidschanischen Behörden ließen das Wohnhaus seiner
Mutter beobachten, nahmen mehrere seiner Verwandten fest und
verurteilten zwei von ihnen zu jeweils sechs Jahren Gefängnis
(http://ogy.de/w1z3, http://ogy.de/7toy). Die Verwandten von
Meydan-TV-Chef Emin Milli in Baku wurden gezwungen, Milli in einem
Brief an Präsident Alijew formell aus der Familie auszuschließen
(http://ogy.de/t3r3). Im Februar 2017 kamen der Bruder und ein Neffe
des in den Niederlanden lebenden Bloggers Orduchan Tejmurchan
vorrübergehend in Haft (http://ogy.de/bwl7).

KAUM NOCH UNABHÄNGIGE MEDIEN

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Aserbaidschan auf Platz
163 von 180 Staaten. In den vergangenen Jahren ist das Regime von
Präsident Alijew rigoros gegen unabhängige Medien vorgegangen. 2014
musste die russisch-sprachige Tageszeitung Zerkalo ihr Erscheinen
einstellen (http://ogy.de/p2cl). Im selben Jahr wurde das Bakuer Büro
von Radio Free Europe/Radio Liberty wurde geschlossen
(http://ogy.de/9jo4). Die oppositionelle Zeitung Azadliq gibt seit
September 2016 nach erheblichem finanziellen Druck keine
Print-Ausgabe mehr heraus, seit Frühjahr 2017 ist auch ihre
Internetseite azadliq.info gesperrt - genau wie die Webseiten
mehrerer anderer Medien (http://ogy.de/jlez).

Das einzige landesweite Medium, das bis heute - wenn auch unter
großen Schwierigkeiten - unabhängig arbeitet, ist die
Nachrichtenagentur Turan. Sie entging im vergangenen Herbst nur knapp
der Schließung. Im August war Direktor Mehman Alijew festgenommen und
der Steuerhinterziehung bezichtigt worden (http://ogy.de/gbkh). Erst
auf massiven Druck internationaler NGOs, der Europäischen Union und
der USA kam er frei und die Agentur konnte ihre Arbeit Anfang
November wieder aufnehmen (http://ogy.de/3dia).

WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN

Für Interviewanfragen mit Emin Husejnow und Lejla Mustafajewa (in
englischer Sprache) wenden Sie sich bitte an
presse@reporter-ohne-grenzen.de

Einen Mitschnitt des ROG-Pressegesprächs zum Thema Aserbaidschan
am 15. August 2018 finden Sie unter: http://ogy.de/v58v

Weitere Informationen zur Lage von Journalisten in Aserbaidschan
finden Sie unter: www.reporter-ohne-grenzen.de/aserbaidschan



Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer
presse@reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29

Original-Content von: Reporter ohne Grenzen e.V., übermittelt durch news aktuell


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