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Libyen: Ärzte ohne Grenzen fordert Stopp der willkürlichen Inhaftierung von auf dem Mittelmeer abgefangenen Flüchtlingen - EU für das Leid der Menschen mitverantwortlich

Geschrieben am 25-07-2018

Tripolis/Berlin (ots) - Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen
protestiert gegen die willkürliche Inhaftierung von Bootsflüchtlingen
in Libyen. Die Menschen werden zu Tausenden von der EU-finanzierten
libyschen Küstenwache auf dem Mittelmeer abgefangen und nach Libyen
zurückgezwungen. Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat die
libysche Küstenwache in diesem Jahr mindestens 11.800 Menschen auf
seeuntüchtigen Booten aufgegriffen und zurückgebracht - so viele wie
noch nie. Beinahe täglich stoppt die libysche Küstenwache Boote in
internationalen Gewässern zwischen Libyen, Italien und Malta. An Land
werden die Menschen in ungeregelten Internierungslagern entlang der
Küste eingesperrt. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen in Tripolis,
Khoms und Misrata beobachten eine stark steigende Zahl von
Flüchtlingen und Migranten in den schon jetzt überfüllten Haftlagern.

"Diese Menschen haben gerade ein traumatisches Erlebnis auf dem
Meer hinter sich, bei dem es um Leben und Tod ging. Sie dürfen nicht
in ein System willkürlicher Inhaftierung gezwungen werden, das sie
schädigt und ausbeutet", sagt Karline Kleijer, Leiterin der
humanitären Hilfe von Ärzte ohne Grenzen in Libyen und auf dem
Mittelmeer. "Viele haben in Libyen ein schockierendes Ausmaß an
Gewalt erlitten und sind systematisch ausgebeutet worden. Sie sind
Opfer von sexueller Gewalt, von Menschenhandel, Folter und
Misshandlung geworden. Besonders schutzbedürftig sind Kinder, die
manchmal auch ohne Eltern oder andere Begleiter unterwegs sind, sowie
Schwangere, stillende Mütter, ältere Menschen, Menschen mit
psychischen Behinderungen oder mit schwerwiegenden medizinischen
Problemen."

"Die menschlichen Kosten der europäischen Abschottungspolitik
zeigen sich an kaum einem Ort so deutlich wie in Libyen", sagt
Philipp Frisch von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland.
"Schutzbedürftige Menschen werden auf Geheiß der EU von der so
genannten libyschen Küstenwache in ein Land zurückgebracht, in dem
sie ausgebeutet, erpresst, misshandelt und eingesperrt werden. Diese
europäische Politik, die von der Bundesregierung mitverantwortet
wird, ist nicht nur zynisch und grausam, sie stellt auch
grundsätzlich jene Werte der Menschlichkeit in Frage, die die EU für
sich in Anspruch nimmt. Wir erwarten von den Mitgliedsstaaten der EU,
dass sie sich endlich dem Schutz von notleidenden Menschen widmen -
nicht deren Bekämpfung."

Ein Team von Ärzte ohne Grenzen hat in einem der
Internierungslager in Tripolis an einem einzigen Tag 319 Menschen
behandelt, die auf dem Mittelmeer aufgegriffen worden waren, nachdem
sie monatelang von Schleppern gefangen gehalten worden waren. In der
Region von Misrata und Khoms behandeln die Mitarbeiter Gefangene mit
Verätzungen zweiten Grades, Krätze, Atemwegsinfektionen und
Austrocknung. Einmal wurden Menschen, die auf dem Meer alles verloren
hatten, ohne Kleider am Leib in ein Internierungslager gesperrt.

"In Khoms leben mehr als 300 Menschen in einem überfüllten
Internierungslager, unter ihnen auch sehr kleine Kinder. Die Hitze
ist drückend, es gibt keine Lüftung und nur sehr wenig Zugang zu
Trinkwasser. Es gibt nur verschmutztes Salzwasser", sagt Anne Bury,
stellvertretende medizinische Koordinatorin in Libyen. "Die Situation
in den Haftanstalten ist untragbar. Die Menschen sind Missbrauch
aller Art ausgesetzt. Sie sind verzweifelt. Wir sehen Gefangene mit
Wunden und Knochenbrüchen. Es gibt Fluchtversuche, einige Menschen
sind im Hungerstreik."

Die Situation in den Internierungslagern ist eine Folge der
Politik der europäischen Regierungen, Schutzsuchende um jeden Preis
von Europa fernzuhalten. Ein entscheidender Teil dieser Strategie ist
es, die libysche Küstenwache auszurüsten und zu unterstützen, um sie
in die Lage zu versetzen, Menschen auf dem Mittelmeer aufzuhalten.
Menschen nach Libyen zurückzubringen, ist allen europäischen Schiffen
nach internationalem Recht verboten, da Libyen kein sicherer Ort ist.

Es gibt in den Internierungslagern keine Registrierung oder
funktionierende Dokumentation der Gefangenen. Es gibt keine
Möglichkeit nachzuverfolgen, was mit den Eingesperrten geschieht. Sie
haben keine Chance, die Rechtmäßigkeit ihrer Haft und ihre Behandlung
in den Lagern überprüfen zu lassen. Programme der
UN-Migrationsorganisation IOM und des UNHCR, die Gefangenen einen Weg
aus der willkürlichen Inhaftierung bieten sollen, wurden zwar Ende
vergangenen Jahres ausgeweitet, helfen aber nur einem kleinen Teil
der Flüchtlinge und Migranten in Libyen. Die Hauptmaßnahme sind so
genannte freiwillige Rückkehrprogramme der IOM, durch die seit
November etwa 15.000 Menschen in ihre Herkunftsländer zurückgebracht
wurden. Für jene, die nach Hause zurückkehren wollen, ist es positiv,
dass sie so der Haft in Libyen entkommen können. Aber die
Freiwilligkeit dieses Programms ist außerordentlich fragwürdig, da es
für diese Menschen die einzige Möglichkeit ist, aus den Lagern zu
entkommen. Zusätzlich hat das UNHCR etwas mehr als 1.000 der
verletzlichsten gefangenen Flüchtlinge aus dem Land gebracht, meist
nach Niger, von wo aus sie in andere Länder umgesiedelt werden
sollen.

Ärzte ohne Grenzen leistet seit rund zwei Jahren medizinische
Hilfe für Geflüchtete und Migranten in Internierungslagern in
Tripolis, Khoms und Misrata, die offiziell unter Kontrolle des
Innenministeriums der international anerkannten Einheitsregierung und
ihrer Agentur zur Bekämpfung Illegaler Migration (DCIM) stehen. Für
die Gefangenen ist der Zugang zu medizinischer Versorgung nicht
sichergestellt - diese wird nur durch wenige im Land präsente
humanitäre Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder UN-Agenturen
erbracht, die auch nur einen sehr eingeschränkten Zugang zu den
Menschen haben.



Pressekontakt:
Weitere Informationen zu den Bedingungen in den offiziellen libyschen
Internierungslagern finden Sie hier:
www.msf.de/t1
https://msf.exposure.co/human-suffering

Pressestelle: Stefan Dold, Tel.: 030-700130-238;
stefan.dold@berlin.msf.org; http://www.aerzte-ohne-grenzen.de

Original-Content von: Ärzte ohne Grenzen, übermittelt durch news aktuell


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