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Mittelbayerische Zeitung: Schluss mit dem Erfolgszwang / Kommentar der Mittelbayerischen Zeitung, Regensburg

Geschrieben am 01-06-2018

Regensburg (ots) - Die Causa "Bremer Bamf" verweist auf ein
grundlegendes Problem der überforderten Behörde, auf die die Politik
ihre Verantwortung abwälzt. Diese Praxis muss der Aufklärer Seehofer
beenden.

Die Causa "Bremer Bamf" birgt besorgniserregendes Potenzial: Wenn
von dieser Affäre bei vielen Menschen der Eindruck haften bleibt,
Asylbescheide kommen nicht auf rechtsstaatlichem Weg zustande, wäre
das fatal. Es würde Deutschland in der Frage der Flüchtlingspolitik
weiter spalten. Auf dem Spiel steht, dass sich das politische
Spektrum weiter nach rechts verschiebt und das ohnehin beschränkte
Asylrecht weiter verwässert wird. Nun ist es gut, dass Horst Seehofer
ankündigt, die schwerwiegenden Vorwürfe gegen das Bundesamt für
Migration rückhaltlos aufzuklären. Doch wenn er es ernst meint, muss
er die Bundesbehörde vom Erfolgszwang befreien, den die Politik ihr
aufzwingt. An der "Causa Bremen" ist momentan vieles unklar. Wer
tönt, dort sei Asylsuchenden "zu Unrecht" Schutz gewährt worden,
sollte sich zurückhalten, solange die Staatsanwaltschaft prüft, ob an
den Vorwürfen etwas dran ist. Es geht um rund 1200 Asylanträge, die
zwischen 2013 und 2016 angeblich ohne rechtliche Grundlage bewilligt
wurden. Bei den Betroffenen handelt es sich um Jesiden, vor allem aus
dem Irak, denen dort ein Genozid drohte. Der damalige Innenminister
de Maizière hatte das Bamf 2014 angewiesen, Verfahren für diese
Gruppe zu verkürzen. Auslöser der Affäre war die gescheiterte
Abschiebung einer jesidischen Familie 2016 nach Bulgarien gemäß
Dublin-Verordnung. Das Bremer Bamf hob die Entscheidung mit dem
Argument auf, den Betroffenen drohe dort menschenrechtswidrige
Behandlung. In einem vergleichbaren Fall folgte ein Gericht dieser
Sichtweise der Bremer Behördenchefin. Das Bamf hat ein grundlegendes
Problem, nicht nur wegen der 1200 positiven Bescheide in Bremen,
sondern auch, weil es fälschlich Zehntausende negative Asylbescheide
ausgestellt hat. In knapp 50 Prozent der Fälle kassieren Gerichte die
Ablehnungen des Bamf. Das geschieht auch häufig in Bayern und
Sachsen, wo die Anerkennungsquoten für Geflüchtete im Ländervergleich
niedrig sind. Dies zeigt die Überforderung des von der Politik allein
gelassenen Bamf. In der Behörde zählt Quantität, nicht Qualität. Es
ist dem hektischen Agieren geschuldet, mit dem die Regierungen seit
2015 auf die steigende Zahl der Asylanträge reagierten: Unzulänglich
geschultes Personal und massiver Druck, die Verfahren zu
beschleunigen. Mitglieder des Bamf-Personalrates konstatierten, die
Behördenleitung nehme beim Abarbeiten der Asylanträge "bewusst"
Einschränkungen der Rechtsstaatlichkeit in Kauf. Dass die allgemeine
Empörung über die Vorgänge beim Bamf erst jetzt kommt, da es um
positive Asylbescheide geht, ist besorgniserregend. Dies sollte auch
Seehofer zu denken geben. Die CSU hat ihren Anteil daran, dass sich
die Stimmung gegen die Geflüchteten gedreht hat. Doch sie hilft damit
nur der AfD. Für Seehofer sind die Zeiten vorbei, als er von Bayern
aus törichte Phrasen von der angeblichen "Herrschaft des Unrechts"
dreschen konnte. Als Minister muss ihn nun der Erfolg der
Bundesregierung interessieren. Dieser hängt maßgeblich davon ab, ob
die Groko es schafft, die Bevölkerung in der Frage der Einwanderung
besser mitzunehmen als in der Vergangenheit. Dazu gehört, nicht
länger die Verantwortung der Politik auf das Bamf abzuwälzen und das
Vertrauen in dessen Entscheidungen wiederherzustellen. Die Verfahren
müssen transparent und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen bearbeitet
werden. Und Seehofer sollte sich ehrlich machen: Der aktuelle Fall
gewinnt Brisanz auch dadurch, dass Europa in der Asylpolitik zutiefst
gespalten ist. Schutzbedürftige können in der Praxis oftmals nicht in
alle anderen Staaten der EU abgeschoben werden, weil die
Menschenrechtssituation in Ländern wie Bulgarien oder Ungarn mit dem
deutschen Grundgesetz nicht kompatibel ist. Statt Druck auf Behörden
und Gerichte aufzubauen, sollte Seehofer lieber ein Wort mit seinem
alten Bekannten Viktor Orbán reden.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell


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