(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Markus Söder: Der Schattenboxer von Christian Kucznierz

Geschrieben am 27-04-2018

Regensburg (ots) - In diesem Land herrscht Religionsfreiheit. Wer
will, hat also das Recht, sich ein Kreuz aufzuhängen, wenn er Christ
ist. Er könnte sich, wenn er Buddhist ist, auch einen Buddha
aufstellen. Der Atheist könnte folglich an die Stelle des Kreuzes ein
Loch in die Wand bohren, der Agnostiker ein Fragezeichen aufhängen.
Der Staat allerdings, das hat das Bundesverfassungsgericht bereits
1995 entschieden, hat keine Religion. Er ist, um der Wahrung der
Gleichbehandlung der verschiedenen Glauben willen, die Teil seiner
selbst sind, zur Neutralität verpflichtet. Das bedeutet aber nicht,
dass er keine Weltanschauung hat oder seinen Bediensteten kein
Glaubensbekenntnis erlauben würde. Er soll sich, so das Urteil der
Karlsruher Richter, schlicht nicht einmischen. Markus Söder ist das
egal. Er hat eine Wahl zu gewinnen. Und wir alle helfen gerade
kräftig mit, dass er das tut. Es gibt sehr wohl Religionen in
Deutschland, die bedroht sind. Das Christentum ist es nicht. Wenn
Menschen mit Kippa auf offener Straße angegriffen werden, dann spielt
es keine Rolle, ob sie Juden sind oder nicht. Das Bekenntnis zu einer
Religion ist Grund genug, sie zum Opfer werden zu lassen, weil es
andere gibt, die ihre Religion nicht tolerieren. Womit wir bei
Muslimen sind: Auch sie sind bedroht, weil es mehr friedliche,
tolerante Muslime gibt, als intolerante, antisemitische oder
potenziell gefährliche. Und dennoch leben sie in Zeiten
islamistischen Terrors und in der Folge der Übergriffe spätestens
seit der Kölner Silvesternacht 2015/2016 unter einem Generalverdacht:
dem, dass ihr Glaube sie anfällig macht für alle Arten von Gewalt.
Das Christentum steht nicht unter einem solchen Verdacht und ist auch
nicht bedroht. Es wird kein Christ auf der Straße angegriffen und
keine Kirche angezündet. Warum also braucht es dann eine
Vergewisserung christlicher Werte, also das, was Söder mit seiner
Kreuz-Aktion nach eigenem Bekunden beabsichtigt? Weil er
Wählerstimmen braucht. Und wenn sich ein populistisches Muster in den
letzten Jahren bewährt hat, dann das: Man schafft ein
Bedrohungsszenario, gegen das man Schutz verspricht. In die Debatte,
ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht, kommt nun also das
Bekenntnis zum Kreuz. Söder ist lange genug Parteistratege, um zu
wissen, dass sein Vorstoß, öffentlichkeitswirksam im Szene gesetzt,
Kritik und Empörung auslösen wird - und Beifall erhält. Er weiß auch,
dass diejenigen, die kein Problem mit dem Kreuz haben, sich am Ende
so weit provoziert fühlen und ihren Glauben und ihre Werte bedroht
sehen, um - so die Rechnung - ihr Kreuz bei der CSU machen. Fein für
Söders Partei ist dabei auch, dass man so unschöne Dinge wie den
erzwungenen Rückzieher beim Psychiatriegesetz vergessen machen kann.
Oder die massive Kritik am Polizeiaufgabengesetz mit einer anderen,
einer Scheindebatte über das Kreuz übertünchen kann. Wer an den
Bundestagswahlkampf 2009 denkt, in dem Bayern offenbar keine anderen
Sorgen hatte, als über die Pkw-Maut zu streiten, liegt nicht ganz
falsch. Denn eines muss klar sein: Ein Kreuz, das im Eingangsbereich
einer Behörde hängt oder in einem Klassenzimmer, tut niemandem
wirklich weh. Wenn es dort nicht hängt übrigens auch nicht. Das
Fehlen hat ja bislang auch niemandem geschadet und niemanden gestört.
Bayerns wahlkämpfendem Ministerpräsidenten ist der Trick gelungen,
ein Thema quasi aus dem Nichts zu setzen. Chapeau! Die Hoheit über
die Biertische ist ihm erst einmal sicher. Ob die reicht, um im
Oktober mit absoluter Mehrheit weiterzuregieren, oder ob es noch mehr
inszenierte Debatten über die angeblich bedrohte Identität braucht,
wird sich zeigen. Wenn es reicht, um die AfD von einem weiteren
Triumph abzuhalten, sei Söder diese falsche Instrumentalisierung der
christlichen Religion gerade noch verziehen.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

635900

weitere Artikel:
  • Rheinische Post: Kommentar / Ungeschickte Planung = Von Thomas Reisener Düsseldorf (ots) - Der Bereitschaft des Landes, dem türkischen Außenminister Cavusoglu die Teilnahme am Gedenken zum 25. Jahrestag des Brandanschlages von Solingen zu ermöglichen, ist grundsätzlich richtig. Zwar repräsentiert Cavusoglu einen Staat, der sich mit seinen fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen immer weiter vom westlichen Demokratieverständnis entfernt. Aber es war der ausdrückliche Wunsch der Angehörigen der Opfer, dass auch die türkische Regierung an dem Gedenken beteiligt wird. NRW ist es den Opfern und ihren Angehörigen mehr...

  • Rheinische Post: Kommentar / Hoffnung auf Frieden = Von Martin Kessler Düsseldorf (ots) - Es ist ein historisches Treffen der beiden Repräsentanten des geteilten Korea. Man muss allerdings bedenken, dass der demokratisch gewählte Präsident des Südens den Diktator des Nordens trifft. Das macht Abmachungen schwierig. Denn ein totalitäres Regime wie Nordkorea hält sich in der Regel nur dann an Verträge, wenn es passt. Trotzdem sind die bisherigen Vereinbarungen wichtig. Sie bringen Bewegung in die festgefahrenen Fronten, und sie ermöglichen es dem nordkoreanischen Diktator, ohne Gesichtsverlust aus seiner mehr...

  • Rheinische Post: Kommentar / Angela Merkel, der deutsche Anti-Trump = Von Kristina Dunz Düsseldorf (ots) - US-Präsident Donald Trump ist vieles. Milliardär, Golfspieler, Schauspieler. Aber er ist kein Politiker. Er spielt Spielchen mit erfahrenen Regierungschefs, Hoffnungsträgern und Diplomaten. Zum Frühstück auf Twitter eine Raketendrohung gegen Russland, zum Mittag ein paar Zeilen zur möglichen Vernichtung Nordkoreas, am Abend wieder alles anders. Alte, bewährte Strukturen für Verhandlungen und Absprachen sind ihm ein Gräuel. Die UN, die WTO, die EU. Er macht sein eigenes Ding. Unberechenbar. Der Stärkere gewinnt. mehr...

  • Badische Zeitung: Merkel bei Trump: Klare Worte, hohle Gesten / Kommentar von Dietmar Ostermannn Freiburg (ots) - Der Unberechenbare im Weißen Haus zeigte sich gut gelaunt, lobte, küsste die Kanzlerin, gab brav die Hand. Solche Nettigkeiten aber sind schon bei weniger exzentrischen Politikern meist hohle Gesten. Tatsächlich sind die deutsch-amerikanischen Beziehungen nicht so schlecht, wie Pessimisten glauben - aber auch nicht so gut, als dass sich Konflikte weglächeln ließen. In Europa hat man gelernt, dass es gut ist, Trump mit Respekt zu begegnen, aber auch, dass man ihm gegenüber die eigene Haltung am besten klar vertritt. mehr...

  • BERLINER MORGENPOST: Trump-Strategie gesucht / Leitartikel von Kerstin Münstermann Berlin (ots) - Der schwierige Kurzbesuch von Angela Merkel bei US-Präsident Donald Trump hat sich für die Kanzlerin gelohnt. Sie und damit auch Deutschland ist nach quälenden Monaten der Regierungsbildung zurück auf der Weltbühne. Die Atmosphäre zwischen den beiden Regierungschefs hat sich beruhigt, der Ton ist konziliant. Sie konnte ihre Punkte machen. Immerhin. Doch Trump hat damit begonnen, seine Versprechen aus dem Wahlkampf für ein stärkeres Amerika umzusetzen. Es braucht eine europäische Strategie für die Beziehungen zu den mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht