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ROG: Vorwürfe gegen Journalistin Mesale Tolu endlich fallenlassen

Geschrieben am 24-04-2018

Berlin (ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die türkische
Justiz auf, das Ausreiseverbot gegen Mesale Tolu aufzuheben und die
konstruierten Vorwürfe gegen die Journalistin endlich fallenzulassen.
Der Prozess gegen Tolu geht am Donnerstag (26.04.) in Istanbul
weiter. Die Staatsanwaltschaft wirft der deutschen Journalistin laut
Anklageschrift Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation
und Terror-Propaganda vor. Ihr drohen bis zu 20 Jahre Haft. Tolu
wurde Mitte Dezember nach mehr als sieben Monaten in
Untersuchungshaft unter Auflagen freigelassen (http://t1p.de/ktm4).
Sie darf die Türkei nicht verlassen und muss sich jeden Montag bei
der Polizei melden.

"Trotz der Freilassung bleibt Mesale Tolu in den Augen der
türkischen Staatsanwaltschaft eine Kriminelle, die wie viele andere
Journalisten im Land einfach nur ihren Job gemacht hat. Solange Tolu
das Land nicht verlassen darf, bleibt sie eine politische Geisel der
türkischen Regierung", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.
"Auch angesichts der Wahlen in zwei Monaten muss die
Weltöffentlichkeit weiterhin in die Türkei schauen und die
beispiellose Verfolgung kritischer Journalisten benennen. Durch die
Freilassung von Deniz Yücel hat sich die Lage für Journalisten in der
Türkei nicht verbessert."

Der Prozess gegen Tolu begann am 11. Oktober 2017. Die deutsche
Journalistin, die im Jahr 2007 die türkische Staatsbürgerschaft
abgelegt hatte, war am 30. April 2017 in Istanbul festgenommen worden
und saß ab dem 5. Mai im Frauengefängnis Bakirköy in Haft.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihr unter Berufung auf einen anonymen
Informanten vor, sie sei ein Mitglied der in der Türkei verbotenen
marxistisch-leninistischen Partei MLKP und habe regelmäßig an
Veranstaltungen des "Sozialistischen Frauenparlaments" teilgenommen,
des Frauenflügels der Partei. Allerdings räumte der anonyme Informant
in seiner Aussage ein, Tolu nicht namentlich zu kennen.

Als Beleg für den Vorwurf der Propaganda für eine terroristische
Organisation verweist die Anklageschrift auf Tolus Tätigkeit für die
linke türkische Nachrichtenagentur Etha, die das Gedankengut der MLKP
verbreitet habe. Die Etha-Website ist in der Türkei seit 2015 per
Gerichtsbeschluss gesperrt, die Agentur arbeitet aber weiter.

Außerdem erwähnt die Anklageschrift Tolus Anwesenheit bei
Veranstaltungen, zu denen die legale Gruppierung "Sozialistische
Partei der Unterdrückten" (ESP) aufgerufen hatte. Bei mindestens
einer dieser Veranstaltungen - der Beerdigung zweier bei einem
Polizeieinsatz getöteter mutmaßlicher MLKP-Aktivistinnen im Dezember
2015 - fungierte Tolu als Dolmetscherin für einen Journalisten und
übte damit eine journalistische Tätigkeit aus.

Vergangene Woche wurde Haftbefehl gegen einen weiteren deutschen
Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Etha erlassen. Die türkische
Justiz wirft Adil Demirci offenbar Terrorpropaganda vor
(http://t1p.de/2ri6).

URTEIL GEGEN CUMHURIYET-MITARBEITER ERWARTET

Reporter ohne Grenzen fordert die türkische Justiz zudem auf, die
18 angeklagten Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung
Cumhuriyet freizusprechen. Am Dienstag (24.04.) geht in Istanbul der
Prozess gegen sie weiter. Cumhuriyet ist eine der ältesten Zeitungen
in der Türkei und eines der wenigen noch verbliebenen unabhängigen
Medien im Land, das nach dem Putschversuch im Juli 2016 nicht
geschlossen wurde. Ein Urteil wird gegen Ende dieser Woche erwartet.
Bei der letzten Verhandlung Mitte März forderte die
Staatsanwaltschaft, 13 Mitarbeiter wegen "Unterstützung einer
terroristischen Organisation" zu verurteilen (http://t1p.de/gaxw).
Darauf stehen bis zu 15 Jahre Haft. Unter ihnen sind der bekannte
Investigativjournalist Ahmet Sik, der Kolumnist Kadri Gürsel,
Chefredakteur Murat Sabuncu und der Geschäftsführer Akin Atalay.

Atalay ist der einzige Angeklagte, der bis zu einem Urteil nicht
vorläufig entlassen wurde. Er sitzt bereits seit über 500 Tagen in
Untersuchungshaft. In den Augen der Justiz besteht Fluchtgefahr,
obwohl Atalay freiwillig in die Türkei zurückgekehrt war, als seine
Kollegen im Oktober 2016 verhaftet wurden (http://t1p.de/14y9).

Die Staatsanwaltschaft forderte Mitte März zudem, den
Cumhuriyet-Buchhalter Emre Iper auf Basis seiner Tweets wegen
"Terrorpropaganda" zu verurteilen, die Angeklagten Turhan Günay,
Günseli Özaltay und Bülent Yener freizusprechen, die
Amtsmissbrauch-Vorwürfe gegen einige Mitarbeiter fallenzulassen und
die Verfahren gegen Can Dündar und Ilhan Tanir, die mittlerweile im
Ausland leben, separat zu verhandeln.

Die türkische Justiz wirft den Mitarbeitern der Zeitung eine
"radikale Veränderung der redaktionellen Ausrichtung" vor, um die
Ziele der in der Türkei als terroristische Organisationen
eingestuften religiösen Gülen-Bewegung, der militanten kurdischen
Untergrundbewegung PKK und der linksextremen Splittergruppe DHKP/C zu
unterstützen. An den drei ideologisch völlig konträren Gruppierungen
hat Cumhuriyet stets deutliche Kritik geübt (http://t1p.de/zilt). Die
Anklageschrift ist von sachlichen Fehlern durchzogen und stützt sich
vor allem auf falsche Interpretationen von Zeitungsartikeln sowie auf
Kontakte zwischen Journalisten und ihren Informanten.

Reporter ohne Grenzen hat dem Gericht in Istanbul heute ein
Rechtsgutachten (Amicus-Brief) vorgelegt. Darin kritisiert die
Organisation, dass das Recht der Angeklagten auf einen fairen Prozess
und auf freie Meinungsäußerung verletzt wurde.

WAHLEN IM AUSNAHMEZUSTAND

Vergangene Woche kündigte der türkische Präsident Recep Tayyip
Erdogan vorgezogene Neuwahlen an. Statt im November 2019 wählt die
Türkei Parlament und Präsident nun schon am 24. Juni
(http://t1p.de/u8io). Damit werden die Wahlen im Ausnahmezustand
abgehalten, der Mitte April zum siebten Mal verlängert wurde
(http://t1p.de/msif). Nach der Verkündung des Ausnahmezustands im
Sommer 2016 wurden weit über 100 Journalisten verhaftet und rund 150
Medien geschlossen. Statt rechtsstaatlicher Verfahren fällt die
Justiz Willkürentscheidungen und hält Journalisten mit Hilfe von
Untersuchungshaft systematisch über längere Zeiträume fest, obwohl
diese Maßnahme nur in Ausnahmefällen verhängt werden sollte. Im März
wurde bekannt, dass die Dogan-Mediengruppe, zu der unter anderem die
auflagenstarke Zeitung Hürriyet und der Fernsehkanal CNN Türk
gehören, an einen regierungsfreundlichen Konzern verkauft wird
(http://t1p.de/euyu).

Welche Auswirkungen diese massive Einschränkung der Medienfreiheit
im Wahlkampf haben kann, zeigte sich vor rund einem Jahr beim
Referendum über eine Verfassungsreform in der Türkei. Der Wahlkampf
hat inmitten einer Repressionswelle beispiellosen Ausmaßes gegen
unabhängige Medien stattgefunden. Deshalb konnte die von der
Regierung vorgeschlagene und für die politische Zukunft des Landes
entscheidende Reform nur völlig unzureichend öffentlich diskutiert
werden (http://t1p.de/hrhv).

Weitere Informationen über die Lage der Journalisten vor Ort
finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/türkei.



Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer / Anne Renzenbrink
presse@reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29

Original-Content von: Reporter ohne Grenzen e.V., übermittelt durch news aktuell


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