(Registrieren)

Aachener Nachrichten: Die Notgemeinschaft - Die SPD-Basis stimmt einer Neuen GroKo zu; ein Kommentar von Joachim Zinsen

Geschrieben am 04-03-2018

Aachen (ots) - Andrea Nahles atmet auf, Angela Merkel atmet auf,
Horst Seehofer atmet auf, der größere Teil des Berliner Politbetriebs
atmet auf. CDU, CSU und SPD werden in den kommenden Tagen wieder eine
große Koalition bilden. Deutschland hat bald eine neue Regierung.
Also alles in bester Ordnung? Gemach! Von der sozialdemokratischen
Basis abgesegnet wurde gestern eine politische Notgemeinschaft. Sie
wird fragiler sein als alle deutschen Regierungsbündnisse der
Nachkriegszeit. Denn sowohl die SPD als auch die Union stehen weiter
unter Profilierungszwang. Bei der CDU als zunehmend inhaltsleerem
Kanzlerinnen-Wahlverein mag das nicht ganz so offensichtlich sein. In
den vergangenen Jahren gaben sich die Christdemokraten damit
zufrieden, die Regierungschefin zu stellen und Reformbemühungen der
SPD abzublocken oder aufzuweichen. Doch angesichts des Drucks von
rechts wird das auf Dauer kaum reichen. Die herben Stimmenverluste
für die Union im vergangenen September waren ein deutliches Zeichen,
dass es mit einem beherzten "Weiter so" nicht getan sein dürfte.

Gleiches gilt in besonderem Maße natürlich für die Programmpartei
SPD. Obwohl die Zustimmung ihrer Basis zum Koalitionsvertrag weit
deutlicher ausfiel als von der Parteispitze befürchtet, ist das
Ergebnis ein lauter Warnschuss.Weite Teile der Groko-Befürworter
haben ihre Stimmen nur mit zwei geballten Fäusten in der Tasche
abgegeben. Sie votierten für das in ihren Augen kleinere Übel,
wollten damit lediglich verhindern, dass die Sozialdemokraten wieder
einmal als verantwortungslose Gesellen an den öffentlichen Pranger
gestellt werden. Daraus den Schluss zu ziehen, es gebe in der Partei
keinen erheblichen (auch programmatischen) Veränderungsbedarf, wäre
ein katastrophaler Fehler. Die SPD steht deshalb vor einem Ritt auf
der Rasierklinge. Einerseits sind ihre Spitzenleute den konservativen
Koalitionspartnern gegenüber zu einer gewissen Loyalität
verpflichtet. Andererseits muss sich die Partei dringend
resozialdemokratisieren, wieder linke Ecken und Kanten zeigen und
deutlicher für all jene streiten, die nicht mit einem goldenen Löffel
im Mund geboren wurden. In der Opposition wäre ihr das sicherlich
leichter gefallen als nun an der Seite von Merkel und Seehofer. Bei
ihrem Erneuerungsprozess darf sich die SPD nicht auf Nahles
verlassen. Sicher: Die designierte Parteichefin steht als
Fraktionsvorsitzende außerhalb der Kabinettsdisziplin. Sie kann
deshalb andere Akzente setzen als ihre Parteifreunde aus der
Ministerriege. Ob Nahles diesen strategischen Vorteil nutzt, bleibt
abzuwarten.

Entscheidender für die SPD aber wird sein: Kann die Basis mit den
vielen neuen Mitgliedern den Druck auf ihre Führung aufrecht
erhalten? Wird sie ihr zurückgewonnenes Selbstbewusstsein weiter
ausspielen? Ist auf der anderen Seite die Parteiführung dazu bereit,
die Basis weit stärker als in der Vergangheit an politischen
Weichenstellungen zu beteiligen - ähnlich, wie sie es in den
vergangenen Wochen mit dem für eine innerparteiliche Demokratie
beispielhaften Mitgliederentscheid getan hat? Eines sollte der
SPD-Spitze jedenfalls klar sein: Versanden ihre
Erneuerungsversprechen ähnlich schnell wie in den vergangenen Jahren,
schaufeln die Sozialdemokraten weiter am eigenen Grab. In Berlin
wächst nun erneut zusammen, was eigentlich nicht zusammen gehört -
mit einem fatalen Kollateralschaden. Die AfD ist künftig die
zahlenmäßig stärkste Oppositionspartei im Bundestag. Obwohl sie
während ihrer ersten Wochen im Parlament vornehmlich durch
anachronistische Irrungen, rassistische Pöbeleien und Nonsens-Anträge
aufgefallen ist, wird ihr künftig noch mehr mediale Aufmerksamkeit
zufallen. Das kann verheerende Folgen für die politische Kultur
haben. Österreich ist ein abschreckendes Beispiel. Geht Deutschland
einen ähnlichen Weg? Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen. Gut
möglich, dass deshalb der großen Erleichterung in mancher Berliner
Parteizentrale bald die große Katerstimmung folgen wird.



Pressekontakt:
Aachener Nachrichten
Redaktion Aachener Nachrichten
Telefon: 0241 5101-388
an-blattmacher@zeitungsverlag-aachen.de

Original-Content von: Aachener Nachrichten, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

628360

weitere Artikel:
  • Heilbronner Stimme: Politologe Jürgen Falter über das Ja der SPD-Basis zur GroKo: Ein guter Tag für Deutschland und die SPD Heilbronn (ots) - Der Politologe Jürgen Falter lobt die Pro-GroKo-Entscheidung der SPD-Basis. Falter sagte der "Heilbronner Stimme" (Montag): "Dies ist ein guter Tag für die Bundesrepublik, weil wir eine stabile Regierung bekommen. Es ist auch ein guter Tag für die SPD, weil sie sich zusammengerauft hat." Falter betonte: "Die Entscheidung ist gut für die SPD. Sie kann nun regieren und auch auf ihre Erfolge in den Koalitionsverhandlungen verweisen. Wenn man sich den Vertrag genau anschaut und ihn aus den Augen der SPD betrachtet, mehr...

  • Der Tagesspiegel: Joschka Fischer: Russland kann Rüstungswettlauf gegen USA nicht gewinnen / Trump riskiert Handelskrieg Berlin (ots) - Der ehemalige Bundesaußenminister Joschka Fischer (69), der in seiner Jungend eine der prägenden Figuren der Frankfurter Sponti-Szene war, würde heute, wäre er nochmal jung, nicht mehr rebellieren: "Die Zeiten waren damals ganz anders", sagte er dem "Tagesspiegel" (Sonntagausgabe). "Heute können Sie als junger Mensch viel wirksamer intervenieren. Das System ist sehr viel offener als früher. Anstatt zu protestieren, kann man einfach machen." Die Ankündigung vom russischen Präsidenten Wladimir Putin vom Donnerstag, mehr...

  • Rheinische Post: Hofreiter: Union und SPD werden Modernisierung verschlafen Düsseldorf (ots) - Der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hat mit Kritik auf das Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids für eine große Koalition aus Union und SPD reagiert. "Es ist gut, dass die Hängepartie endlich ein Ende hat. Klar ist aber auch: Mit dieser Großen Koalition wird es keinen Aufbruch geben", sagte Hofreiter der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Montagausgabe). Die träge schwarz-rote Schlummerpolitik gehe in die nächste Runde. "Die Herausforderungen unserer Zeit werden nicht angegangen: mit der Großen mehr...

  • Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zur GroKo Regensburg (ots) - Bitte nur für den Übergang von Bernhard Fleischmann Hurra, wir leben noch. Was war das für Staatskrise! Puh, nun ist es gerade noch mal gut gegangen. Die Zeit des Bangens, der Ungewissheit ist vorbei. Deutschland kann wieder regiert werden. Von nun an geht es voran. Oder? Nun ja, irgendwie schon. Aber so sehr sich auch viele Bürger endlich stabile Verhältnisse gewünscht haben - sie werden vorübergehend sein. Die Neuauflage der Koalition ist der Beginn einer Übergangsregierung. Sie sollte nicht vier Jahre mehr...

  • Stuttgarter Zeitung: Kommentar zur gescheiterten Abschaffungsinitiative des öffentlich-rechtlichen Systems in der Schweiz Stuttgart (ots) - Die Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Schweiz haben eine krachende Niederlage erlitten. Bei der Volksabstimmung über ihre "No Billag"-Initiative hat nicht einmal ein Drittel der Stimmberechtigten den radikalen Vorschlag gebilligt, dem System den Geldhahn zuzudrehen. Demütigend darf man das nennen, brachten doch erste Umfragen zu Beginn der Abschaffungsbewegung zutage, dass mehr als die Hälfte der Schweizer mit ihr sympathisierten. Ein "Weiter wie bisher" für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aber mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht