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BERLINER MORGENPOST: Und die Politik schweigt / Leitartikel von Jörg Quoos zum Diesel-Urteil

Geschrieben am 28-02-2018

Berlin (ots) - Kurzform: Statt über konkrete Lösungen zu sprechen,
wie den betroffenen Autofahrern geholfen werden kann, wird jetzt nach
dem Urteil leidenschaftlich um die Frage gestritten: "Blaue Plakette
- ja oder nein?" Wir erleben einmal mehr einen Nebenkriegsschauplatz
als Politikersatz. Als ob die Luft an den Hauptverkehrsstraßen in
unseren Städten durch Plaketten irgendwie besser würde.
Selbstverständlich muss bei Fahrverboten für die Behörden das
schmutzige vom sauberen Auto zu unterscheiden sein. Aber diese Frage
stellt sich jetzt noch nicht. Aktuell und brennend ist die Frage: Wie
kann Schaden vom Bürger abgewendet werden? Und: Wie kann er wieder
Vertrauen in Staat und Automobilhersteller zurückgewinnen? Die
Antworten darauf stehen noch aus. Das ist mehr als frustrierend und
schürt einmal mehr die Politikverdrossenheit.

Der vollständige Leitartikel: Tag eins nach dem Urteil des
Leipziger Bundesverwaltungsgerichts, das Deutschlands Autofahrer de
facto in zwei Lager geteilt hat. Nämlich in die Guten, die mit den
richtigen Motoren auch die schärfsten Grenzwerte beim Stickoxid
einhalten können - und die Schlechten, man könnte auch sagen die
"Dummen", die mit ihrem Diesel demnächst vor der Stadt halten müssen.
Und deren Auto schon jetzt dramatisch an Wert verliert. Selten hat es
eine höchstrichterliche Entscheidung gegeben, die so massiv und
unmittelbar privates Eigentum entwertet und in die Freiheit des
Bürgers eingreift wie die Entscheidung des Leipziger Gerichts. Wer
letzte Woche noch für einen schlappen Jahreslohn ein legales
Dieselauto gekauft hat, weiß nicht, ob er es künftig noch überall
benutzen darf. Brutaler kann man Bürgern das Urvertrauen in die
Marktwirtschaft nicht rauben. Es geht um nicht weniger als 13
Millionen Betroffene, die jetzt wissen wollen, wie es weitergeht. Und
sie hören: nichts. Außer hilflosen Allgemeinplätzen, für die sich
niemand etwas kaufen kann. Die Politik steht ohne Antwort vor einem
furchtbaren Scherbenhaufen. Es ist ein Desaster, das sie selbst durch
hartnäckiges Nichtstun und durch völlig falsche Rücksichtnahme auf
kriminelle Ingenieure mit angerichtet hat. Warum hat man nicht
rechtzeitig die neuralgischen Verkehrspunkte entlastet? Warum hat man
das Abgasgeschummel von Teilen der Automobilindustrie so entspannt
hingenommen? Warum waren gesetzlich vorgeschriebene Nachrüstung oder
auch Abwrackprämien nicht ernsthaft Thema? Oder entschlossene
Verbesserungen im Nahverkehr? Offenbar glaubten alle Beteiligten,
dieses Problem löst sich irgendwann auf wie eine Abgaswolke nach dem
Kaltstart. Hat es aber nicht. Und jetzt - das wird gerade den
Millionen Betroffenen klar - müssen die Bürger allein dafür
geradestehen. Und damit keine Zweifel aufkommen und der Schwarze
Peter nur bei den Umweltschützern liegt: Selbstverständlich muss der
Staat Schadstoff-Grenzwerte, die er aufstellt, auch einhalten. Aber
der Staat hat genauso die Pflicht, rechtzeitig und mit dem nötigen
Druck auf allen Ebenen dafür zu sorgen, dass dies am Ende auch
gelingt. Und genau hier liegt das schlimme Versagen beim Thema
Diesel-Fahrverbote. Und die peinliche Sprachlosigkeit der
Verantwortlichen, die in anderen Fällen mit der größten Leidenschaft
für kleinste Randgruppen ins Feld ziehen, macht es noch schlimmer.
Statt über konkrete Lösungen zu sprechen, wie den betroffenen
Autofahrern geholfen werden kann, wird jetzt nach dem Urteil
leidenschaftlich um die Frage gestritten: "Blaue Plakette - ja oder
nein?" Wir erleben einmal mehr einen Nebenkriegsschauplatz als
Politikersatz. Als ob die Luft an den Hauptverkehrsstraßen in unseren
Städten durch Plaketten irgendwie besser würde. Selbstverständlich
muss bei Fahrverboten für die Behörden das schmutzige vom sauberen
Auto zu unterscheiden sein. Aber diese Frage stellt sich jetzt noch
nicht. Aktuell und brennend ist die Frage: Wie kann Schaden vom
Bürger abgewendet werden? Und: Wie kann er wieder Vertrauen in Staat
und Automobilhersteller zurückgewinnen? Die Antworten darauf stehen
noch aus. Das ist mehr als frustrierend und schürt einmal mehr die
Politikverdrossenheit. "Wer jetzt eine Dieselpartei gründet, hat
sofort 40 Prozent", schrieb am Mittwoch ein wütender Autobesitzer auf
Twitter. Gut möglich, dass er damit recht hat.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell


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