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"Report Mainz": Fragwürdige Versetzung von Staatssekretären in den einstweiligen Ruhestand in mehreren Bundesländern

Geschrieben am 30-01-2018

Mainz (ots) - Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins "Report
Mainz" werden in den Bundesländern immer wieder Staatssekretäre in
den einstweiligen Ruhestand versetzt, obwohl dies nach Einschätzung
von Staatsrechtlern rechtswidrig ist. Das Magazin berichtet (heute,
30.1.2018, 21.45 Uhr im Ersten) über Fälle aus mehreren
Bundesländern.

So wurde zum Beispiel im März 2017 der Berliner Staatssekretär
Engelbert Lütke Daldrup (SPD), neuer Chef des Flughafens BER. Lütke
Daltrup gilt als enger Vertrauter des Regierenden Bürgermeisters
Michael Müller (SPD). Nach seiner Ernennung zum Flughafenchef
versetzte der Senat den Staatssekretär in den einstweiligen
Ruhestand. Deshalb bekommt der ehemalige Staatssekretär nach
Berechnungen der Senatsverwaltung für Finanzen Berlin derzeit ein
monatliches Ruhegeld von 1.321,48 Euro. Dieses Geld bekommt er jeden
Monat zusätzlich zu seinem BER-Gehalt von monatlich rund 33.000 Euro.
Der Staatsrechtler Prof. Hans Herbert von Arnim sagt dazu: "Wenn
jemand zu Unrecht in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden ist
und dann zu einem sehr üppigen Gehalt auch noch öffentliche Mittel
bekommt, das ist dann wirklich ein Skandal."

Nach Einschätzung mehrerer Staatsrechtler ist eine Versetzung in
den einstweiligen Ruhestand nur dann rechtmäßig, wenn das Vertrauen
zwischen dem Staatssekretär und seinem Dienstherren gestört ist.
Erfolgt die Versetzung nach Absprache, auf Wunsch oder allein zum
Vorteil des Staatssekretärs, dann ist sie rechtswidrig und der
Dienstherr macht sich der Untreue schuldig.

Zu dem Fall von Lütke Daldrup erklärt der Staatsrechtler Prof.
Hans Herbert von Arnim: "Dass ein Verlust des Vertrauens in den
Staatssekretär vorgelegen hätte, das ist ja offenbar nicht der Fall,
denn beide konnten sehr gut miteinander. Hier liegt, meines
Erachtens, Rechtswidrigkeit vor. Auch hier hätte der Staatssekretär
nicht in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können."

Die Senatskanzlei Berlin erklärt in einer schriftlichen
Stellungnahme, "die Maßnahme war rechtmäßig". Als Geschäftsführer des
Flughafens müsse Lütke Daldrup andere Interessen vertreten als in der
Regierung. Dieser "potentielle Interessenkonflikt sei Grund für die
Entscheidung des Senats." Lütke Daldrup erklärt schriftlich:
"Aufgrund dieser bestehenden und drohenden Interessenkollisionen war
und ist die Rechtmäßigkeit der Versetzung in den einstweiligen
Ruhestand zweifelfrei gegeben. Zugleich musste meine langfristige
beamtenrechtliche Versorgung aus einem 30-jährigen Tätigkeit im
öffentlichen Dienst gesichert werden." Der Staatssekretär hätte auch
seine Entlassung beantragen können, doch dann wäre seine
Beamtenpension weggefallen.

Ein weiterer von "Report Mainz" recherchierter Fall betrifft die
hessische Staatssekretärin Bernadette Weyland (CDU). Sie wurde im
August 2017 auf eigenen Wunsch in den einstweiligen Ruhestand
versetzt, weil sie sich als Kandidatin auf den
Oberbürgermeisterwahlkampf in Frankfurt konzentrieren wollte. Sie
erhält derzeit ein sogenanntes Ruhegeld von ca. 7.400 Euro pro Monat
auf Kosten der Steuerzahler. Prof. Hans-Herbert von Arnim erklärt
dazu gegenüber "Report Mainz": "Eine Versetzung in den einstweiligen
Ruhestand, um sich auf einen Wahlkampf auf den Oberbürgermeister in
Frankfurt zu bewerben, ist klar rechtswidrig."

Auf die Frage, warum Bernadette Weyland in den einstweiligen
Ruhestand versetzt wurde, erklärt die Staatskanzlei in einer
schriftlichen Stellungnahme: "Frau Dr. Weyland hatte um Versetzung in
den einstweiligen Ruhestand aus dem Amt der Staatssekretärin gebeten,
da sie nicht aus dem Amt der Staatssekretärin heraus den Wahlkampf um
das Oberbürgermeisteramt in Frankfurt am Main bestreiten wollte.
Dieser Bitte wurde durch die Versetzung in den einstweiligen
Ruhestand Rechnung getragen." Dazu sagt der Staatsrechtler Prof.
Ulrich Battis im Interview mit "Report Mainz": "Unglaublich. So viel
Dummheit halte ich gar nicht für möglich. Das traue ich einer
Staatskanzlei nicht zu, dass sie so offen das Recht bricht."

Die ehemalige Ministerpräsidentin von Thüringen Christine
Lieberknecht, CDU, sieht die gängige Praxis mittlerweile kritisch.
Sie hatte als Ministerpräsidentin 2013 ihren Regierungssprecher mit
37 in den einstweiligen Ruhestand versetzt und damit einen
politischen Skandal ausgelöst. Daraufhin hatte sie den Vorgang
rückgängig gemacht. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung hält sie den
Beamtenstatus von Staatssekretären nicht mehr für "zeitgemäß". Sie
fordert im Interview mit "Report Mainz" Zeitverträge für
Staatssekretäre:"Sie haben Diskussionen über Rente mit 67 und wenn
dann die Politik selber jemanden mit 37 in den Einstweiligen
Ruhestand, bei ja lebenslanger Alimentierung schickt, dann ist das
den Leuten nicht zu erklären. Bei politisch abhängigen Beamten würde
ich das Instrumentarium eines Zeitvertrages heute wirklich
bevorzugen."

Das ARD-Politikmagazin "Report Mainz" hat bundesweit
Staatskanzleien kontaktiert und festgestellt, dass in den vergangenen
zehn Jahren mehr als 200 Staatssekretäre in den einstweiligen
Ruhestand versetzt wurden. Darunter waren Fälle, die von den
Staatsrechtlern Prof. Ulrich Battis und Prof. Hans Herbert von Arnim
klar als "rechtswidrig" bewertet wurden. Die Fälle erwecken den
Eindruck, dass der einstweilige Ruhestand missbraucht wird, um bei
Staatssekretären finanzielle Einbußen abzufedern. Etwa wenn sie den
Beruf wechseln, krank werden, Angehörige pflegen müssen oder früher
in den Altersruhestand wollen.

"Report Mainz" hat das Rechercheergebnis dem Bund der Steuerzahler
vorgelegt. Dessen Sprecher René Quante: "Das Ergebnis hat uns
schockiert. Wir reden hier von einem systematischen Missbrauch. Das
kann und darf nicht sein. Hier benötigt es Reformen, um die
Steuerzahler vor unnötigen Ausgaben zu schützen."

Zitate gegen Quellenangabe frei.

Bei Fragen wenden Sie sich bitte an "Report Mainz", Tel. 06131 929
33351 oder -33352.

Original-Content von: SWR - Das Erste, übermittelt durch news aktuell


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