(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Verspätetes Treffen / Ein Jahr nach dem Anschlag von Berlin traf sich die Kanzlerin mit Hinterbliebenen. Durch Behördenversagen war der Terrorist nicht aus dem Verkehr gezoge

Geschrieben am 18-12-2017

Regensburg (ots) - Zwölf Betonstufen mit den Namen der beim
Terroranschlag vor einem Jahr auf dem Berliner Breitscheidplatz
getöteten Menschen mahnen. Es ist nicht nur die tiefe Trauer um die
Opfer und die Verletzten des furchtbaren Lkw-Anschlags, die am
Jahrestag bewegen, sondern auch Wut, Zorn und Fassungslosigkeit über
das eklatante Versagen von Sicherheitsbehörden, die den potenziellen
Attentäter im Vorfeld nicht aus dem Verkehr gezogen haben. Angela
Merkel hat sich gestern mit 80 Angehörigen von Getöteten sowie
Verletzten getroffen und ihnen damit - sehr spät - ihren Respekt
erwiesen. Für das eklatante Behördenversagen im Fall Anis Amri jedoch
gibt es keine Entschuldigung. Die Regierungschefin, die zwar nicht
direkt involviert war, trägt zumindest eine politische
Mitverantwortung dafür, dass Polizeien und Dienste nicht angemessen
kooperiert, dass sie angesichts einer ernsten Gefahr schlicht gepennt
haben. Ein solcher Fall darf sich nie wiederholen! Man kann jetzt nur
darüber spekulieren, warum sich die Kanzlerin erst zum Jahrestag des
Anschlags mit Hinterbliebenen von Todesopfern und Verletzten
getroffen hat. Wollte sie im Wahlkampf etwa kein Treffen, das auch
Erinnerungen an die unselige, unkontrollierte Grenzöffnung im
Spätsommer 2015 provozieren würde? Zur Ehrenrettung der Kanzlerin sei
gesagt, dass sie am Tag gleich nach dem Attentat zum Ort des
furchtbaren Geschehens kam. Auch sprach sie im Gedenkgottesdienst
ihre Anteilnahme aus. Zur bitteren Wahrheit gehört allerdings auch,
dass zum selben Zeitpunkt Angehörige in Berlin zwischen Polizei und
Krankenhäusern auf der Suche nach geliebten Menschen herumirrten. Die
Krone der Pietätlosigkeit lieferten Berliner Behörden, die
Angehörigen die Rechnung für die Obduktion von Toten zustellten. In
höchstem Maße unwürdig war auch die Bürokratie, mit der
Hinterbliebene und Verletzte nicht nur aus Deutschland, sondern auch
aus Israel, Italien, Tschechien, der Ukraine oder Polen bis heute zu
kämpfen haben. Den Hinterbliebenen des Terroranschlags, der der
gesamten Bundesrepublik galt, stand nur eine einmalige Härteleistung
des Deutschen Bundestages in niedriger Höhe zu. Beschämend gering
waren auch die Bestattungskosten, die im Rahmen des sogenannten
Opferentschädigungsgesetzes gezahlt wurden. Das gilt auch für die
Rentenansprüche. Weil der Anschlag mit einem Lastwagen verübt worden
war, konnten zumindest Mittel der Verkehrsopferhilfe in Anspruch
genommen werden. Doch damit können nur unmittelbare Schäden etwas
gemildert werden. Es bleibt die bittere Erkenntnis, dass der deutsche
Staat nicht für die finanzielle und die logistische Hilfe bei
Terroranschlägen gerüstet ist. Die staatlichen Hilfen sind
unzureichend. Die allgegenwärtige Bürokratie verschärft diesen
beklagenswerten Zustand nur noch. Verwirrend waren zudem die Hektik
und Kurzatmigkeit, mit der nach dem Anschlag Gesetze verschärft und
an Strukturen herumgebastelt wurde. Zwölf Menschen könnten noch leben
und siebzig wären nicht verletzt worden, wenn die Landeskriminalämter
in Nordrhein-Westfalen, in Berlin, beim Bund und im Gemeinsamen
Terror-Abwehrzentrum ordentlich gearbeitet hätten. Der Staat hat in
einer Sicherheitsfrage, in der es um Leben und Tod ging, bitterlich
versagt. Doch bis heute ist keiner der Verantwortlichen in den
Sicherheitsbehörden oder in der Politik für Fehlverhalten belangt
worden. Es reicht nicht, über immer neue Sicherheitsgesetze zu
schwadronieren, wenn die bestehenden nicht eingehalten werden.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

619251

weitere Artikel:
  • Stuttgarter Nachrichten: Tolus Freilassung Stuttgart (ots) - Die gute Nachricht: Die Neu-Ulmer Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu darf das Gefängnis in Istanbul verlassen. Die schlechte Nachricht: Tolu muss in der Türkei bleiben; wenn ihr Verfahren wegen angeblicher Unterstützung einer terroristischen Vereinigung Ende April fortgesetzt werden soll, dann wird ein Jahr vergangen sein, seit die Deutsche festgenommen worden ist. Erst einmal besteht Grund, hoffnungsfroh auf die gute Nachricht zu schauen. Die lautet über die Tatsache der Freilassung hinaus: Es bestehen mehr...

  • Rheinische Post: SPD-Landeschefs kritisieren Thüringer Parteitagsbeschluss Düsseldorf (ots) - Mehrere SPD-Landesvorsitzende haben den Thüringer Parteitagsbeschluss gegen eine Fortsetzung der großen Koalition im Bund kritisiert und pochen auf ergebnisoffene Gespräche mit der Union. "Wir haben gerade Gespräche mit der Union aufgenommen, jetzt geht es erst einmal um Inhalte", sagte etwa Burkard Lischka, Vorsitzender der SPD Sachsen-Anhalt, der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Dienstagausgabe). Je größer die Schnittmengen bei diesen Gesprächen seien, desto stabiler könne auch eine spätere Regierung mehr...

  • Schweriner Volkszeitung: Stasi-Vorwürfe im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Die Überprüfungskommission des Parlaments legt Bericht vor. Hinweise auf Zusammenarbeit bei einem Abgeordneten der Linken Schwerin (ots) - Die Stasi-Überprüfungskommission für den Schweriner Landtag hat fünf Monate nach ihrer Konstituierung einen Abschlussbericht vorgelegt. Das Papier soll in dieser Woche als offizielle Drucksache vom Landtag veröffentlicht werden, bestätigte die Vorsitzende der Kommission und Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Anne Drescher, der Schweriner Volkszeitung. Nach Informationen der Schweriner Volkszeitung soll es im Landtag Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang mit dem ehemaligen Staatssicherheitsdienst mehr...

  • Schweriner Volkszeitung: Ungewissheit bei den Staatsdienern in Mecklenburg-Vorpommern. Anteil der Zeitverträge in den Ministerien verdoppelt. Schwerin (ots) - Die in der Wirtschaft auf bessere Arbeitsbedingungen drängende SPD-geführte Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern beugt sich in den eigenen Reihen dem Negativtrend in den Unternehmen und vergibt neue Jobs in den neun Ressorts immer häufiger nur noch befristet, das berichtet die Schweriner Volkszeitung in ihrer heutigen Ausgabe. Ob Staatskanzlei oder Sozialministerium: In den vergangenen sechs Jahren hat sich der Anteil der befristet Beschäftigten in den Landesministerien mehr als verdoppelt, das geht aus der mehr...

  • Kölner Stadt-Anzeiger: Nach Tolu-Freilassung: Kölner Wissenschaftler hofft auf Ausreise aus der Türkei Köln (ots) - Nach der Freilassung der deutschen Journalistin Mesale Tolu (33) aus der Untersuchungshaft in der Türkei rechnet der Kölner Soziologe Sharo Garip (51) damit, dass die türkischen Behörden am heutigen Dienstag sein Ausreiseverbot aufheben werden. Seit Januar 2016 darf der deutsche Staatsbürger die Türkei nicht verlassen, weil er als einer von fast 2000 Wissenschaftlern damals eine Online-Petition der "Akademiker für den Frieden" unterzeichnet hatte. Sie beinhaltet einen Appell an den türkischen Staat, die Friedensverhandlungen mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht