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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Asylpaket II: Festung mit menschlichem Antlitz von Heinz Gläser

Geschrieben am 24-02-2017

Regensburg (ots) - Wer hätte das noch Ende vergangenen Jahres
prognostiziert? Der Trend ist nicht mehr der Freund der AfD. Aus dem
scheinbar unaufhaltsamen Höhen- ist ein sanfter Sinkflug geworden.
Die aktuelle Meinungsforschung wirft nicht mehr sagenhafte 15 oder
mehr Prozent für die Rechtspopulisten aus, sondern nur mehr zehn bis
elf Punkte. Der demoskopische Aderlass ist gewiss primär dem
erbitterten Richtungsstreit in der Partei geschuldet, der sich in der
Frage des Umgangs mit dem deutschnationalen Thüringer Einpeitscher
Björn Höcke manifestiert. Doch gleichsam schleichend und ohne eigenes
Zutun droht Frauke Petry & Co. die Raison d'Être der AfD
abhandenzukommen. Die sogenannte Flüchtlingskrise büßt in der
öffentlichen Wahrnehmung jene Wucht ein, die sie im Sommer 2015
entfaltete. Ihre Implikationen und Folgerungen mögen weiterhin den
politischen Diskurs hierzulande dominieren, allein, die teils ins
Irrationale lappende Komponente schleift sich ab. Dies hat, wie
gesagt, nur indirekt mit der AfD zu tun. An deren Daseinsberechtigung
nagt vor allem die Tatsache, dass die Bundesrepublik peu à peu die
anfangs lauthals propagierte Willkommenskultur zu Grabe getragen hat.
Ein Meilenstein auf diesem Weg war das am 25. Februar 2016 vom
Bundestag verabschiedete Asylpaket II. Bundeskanzlerin Angela Merkel
hat ja ihren legendären Satz "Wir schaffen das" selbst längst
relativiert und ihr mutiges Diktum des Spätsommers 2015 verbal wieder
eingefangen. De facto hat die deutsche Politik seither mit einer Flut
von Maßnahmen Merkels Satz durch ein entschiedenes "..., aber"
ergänzt. Die Akzente haben sich verschoben. Die aktuelle
Willkommenskultur ist mit einer Vielzahl von Fußnoten versehen. Das
drückt sich aus im anhaltenden Bestreben, den Kreis der "sicheren
Herkunftsländer" immer großzügiger und unter Verzicht auf genaues
Hinsehen zu definieren. Das fand seinen Niederschlag im stets
wackligen Türkei-Abkommen, das den Zustrom über die Ägäis und die
Balkan-Route versiegen ließ. Das spiegelt sich wider in der
Eindämmung des Familiennachzugs und einer rabiateren Abschiebepraxis.
Anhand weiterer Details der täglichen Asylpraxis im Land lässt sich
der schleichende Tod der Willkommenskultur trefflich dokumentieren -
so wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) eine
bundesweite Hotline für jene Migranten einrichtet, die freiwillig in
ihre Heimatländer zurückkehren. Für Schutzbedürftige wird es ein
immer schwierigeres bis nahezu aussichtsloses Unterfangen, in unser
Land zu gelangen. Erst wenn ihnen dies gegen alle Widerstände
gelungen ist, kommen sie als anerkannte Asylbewerber in den Genuss
großzügiger Integrationsförderung. Es ist durchaus eine Frage der
persönlichen Lesart, ob man dies mit dem Stempel der sinnvollen
Steuerung von Zuwanderung oder der gezielten Abschottung gegen die
Flüchtlingsströme versieht. Für jene, die draußen vor dem Tor
bleiben, sind dies allerdings sophistische Fragen. Die Deutschen
neigen dazu, sich derzeit mit wohlfeilem moralischen Impetus über die
Exzesse der US-Einwanderungspolitik unter dem neuen Präsidenten
Donald Trump zu echauffieren. Sie sollten nicht übersehen, dass ihr
Land selbst dabei ist, sich in eine Festung zu verwandeln. Dass diese
Festung verglichen mit den USA ein menschlicheres Antlitz hat, ist
für jene, die vergeblich Einlass begehren, ein gradueller
Unterschied.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell


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