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Landeszeitung Lüneburg: Klassische Medien als Anker der Glaubwürdigkeit - Fake News können gefährlich sein, sind aber auch eine Chance für klassische Medien, sagt Medienexperte Lutz Frühbrodt

Geschrieben am 16-02-2017

Lüneburg (ots) - Was sind für Sie Fake News?

Lutz Frühbrodt: Fake News sind gezielte Falschmeldungen. Der
Produzent und Absender erfindet also eine "Nachricht" oder stellt ein
Ereignis oder einen Vorgang absichtlich verzerrt dar, um die
Öffentlichkeit in eine bestimmte Richtung zu manipulieren. Um den
Unterschied deutlich zu machen: Klassische Medien versuchen, so
wahrhaftig wie möglich zu berichten, also die Quellen zu prüfen und
auch alle wichtigen Quellen zu befragen.

Was ist die dreisteste Falsch-#nachricht, die Ihnen bislang
untergekommen ist?

Dreist? Da denkt man natürlich spontan an die vielen Sachen, die
aus dem Trump-Lager und dessen Umfeld gekommen sind. Zum Beispiel als
während des Präsidentschaftswahlkampfes in Umlauf gebracht wurde,
Hillary Clinton wolle illegalen Einwanderern als Dank für deren
Wahlstimme die Staatsbürgerschaft schenken. Der kleine Haken an der
Sache: Die Illegalen haben gar kein Wahlrecht.

Welche dreisten Meldungen sind Ihnen noch aufgefallen?

Am erschreckendsten fand ich bisher jedoch eine Meldung Ende
vorigen Jahres, nach der ein hochrangiger israelischer Politiker
angeblich Pakistan mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht habe. Der
pakistanische Verteidigungsminister reagierte umgehend auf diese
Falschnachricht, indem er Israel eine entsprechende "Antwort"
ankündigte. Er nahm sie also ernst. Dass die Sache nicht eskalierte,
war den Mechanismen bei den beteiligten Regierungsapparaten zu
verdanken, die die Fake News dann wohl doch noch mal genauer prüften.
Dies setzt allerdings auch den guten Willen auf beiden Seiten voraus.
Anfang 2016 kursierte in den sozialen Medien die Nachricht, eine
13-jährige Deutsch-Russin sei in Berlin vorübergehend verschwunden
und möglicherweise von arabischen Asylbewerbern vergewaltigt worden.
Der staatliche russische Auslandssender "Russia Today" griff diese
Fake News auf, um zu "beweisen", dass die deutschen Behörden nicht
ausreichend gegen kriminelle Flüchtlinge vorgehen würden. Sogar der
russische Außenminister warf Deutschland Vertuschung vor. Wie sich
schnell herausstellte, hatte das Mädchen bei ihrem Freund übernachtet
- die einschlägigen Medien störten sich daran allerdings nicht und
kolportierten die Falschmeldung munter weiter.

Welche Fake-News-Seiten im Internet sind Ihnen bekannt?

Aus rechtlichen Gründen kann ich leider keine namentlich nennen.
Sie kommen aber größtenteils aus dem politisch rechten Spektrum und
verbreiten bevorzugt Unwahrheiten über das Sozialverhalten von
Geflüchteten. Es sollte aber auch nicht übersehen werden, dass einige
Fake-News-Seiten aus rein kommerziellen Gründen erstellt werden. So
ist zum Beispiel bekannt, dass in einigen Orten Mazedoniens
Internetseiten mit besonders sensationsheischenden Fake News
betrieben werden, um so viele Klicks wie möglich zu erzeugen. Je mehr
Klicks, desto mehr Werbung, desto mehr Einnahmen für die Betreiber.

Welche Rolle spielen die Sozialen Medien?

Zum Teil sind sie die Quelle von Falschnachrichten, zum noch
größeren Teil dienen sie aber als bestens geeigneter Kanal zur
viralen Verbreitung. Fake News breiten sich wegen ihres
Sensationswertes besonders schnell über Facebook, Twitter und andere
soziale Netzwerke aus. Die Nutzer schauen sich dabei oft nur die
Schlagzeile und den Einleitungstext für die geteilte "Nachricht" an
und klicken sich noch nicht einmal zur Originalquelle durch. Genau
diese Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit der sozialen Medien ist es,
die die Verbreitung von Fake News bisher so leicht macht - getreu dem
Motto: So oder so bleibt etwas hängen.

Bei herkömmlichen Medien filtern Redakteure Informationen und
prüfen deren Quellen. Ein Job, der nun auf Social-Media-Nutzer
zukommt?

Ohne jeden Zweifel verlangt die neue Medienwelt mehr
Medienkompetenz von ihren Nutzern ab. Oft müssen sie in
Sekundenschnelle entscheiden: Glaube ich das? Oder eher nicht? Aber
man darf die Nutzer dabei auch nicht allein lassen. Deshalb ist es
völlig richtig, dass die Bundesregierung auf die Betreiber der
Netzwerke politischen Druck ausübt. Das hat dazu geführt, dass zum
Beispiel das unabhängige Redaktionsnetzwerk "Correctiv" nun für
Facebook prüft, was auf dessen Seiten an Fake News herumgeistert. Das
kann aber nur ein erster Schritt sein, die sozialen Netzwerke müssten
systematisch und vollumfänglich auf Fake News geprüft werden.

Sind gerade die jungen Nutzer überhaupt in der Lage, falsche und
richtige Nachrichten zu unterscheiden?

Jüngere Nutzer befinden sich ja in der privilegierten Situation,
dass sie einen viel besseren Medienunterricht erhalten als früher. Da
gab es den nämlich so gut wie gar nicht. Allerdings werden sie auch
in eine medial sehr unübersichtliche und vor allem vielstimmige Welt
hineingeboren. Oft ist es ihnen deshalb egal, wer etwas sagt.
Hauptsache, es ist interessant. Darin liegt sicher eine Gefahr.

Welche Möglichkeiten gibt es, gegen Fake News vorzugehen? Kann man
da überhaupt etwas tun?

Vier Dinge. Erstens, die Medienkompetenz der Nutzer muss auf
diesem Feld weiter gestärkt werden. Zweitens, die sozialen Netzwerke
müssen dafür sorgen, dass Fake News umgehend wieder entfernt werden.
Drittens, Geschädigte sollten sich rechtlich zur Wehr setzen und sich
gar nicht erst auf publizistische Gefechte einlassen. Viertens, und
dieser Punkt wird oft übersehen, müssen Werbetreibende sehr viel
genauer darauf achten, dass ihre Anzeigen nicht auf einschlägigen
Seiten landen, auch wenn sie eine hohe Einschaltquote haben. Hier ist
also auch die soziale Verantwortung der Wirtschaft gefragt.

Einige Menschen sprechen den Medien ihre Glaubwürdigkeit ab.
NDR-Intendant Lutz Marmor sagte dagegen vor Kurzem, dass die
öffentliche Diskussion auch eine Chance für die Medien sein könne.

Ich bin überzeugt, dass die Fake-News-Debatte den klassischen
Medien wie Tageszeitungen und den öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten eher helfen wird. Es gibt zwar eine deutliche
Tendenz bei einigen Menschen, grundsätzlich nur noch das für wahr zu
halten, was sie glauben wollen. Bei einer sehr großen Mehrheit -
zumindest in diesem Lande - ist es doch aber nach wie vor so, dass
sie an der Wahrheit interessiert sind und auch nur das für wahr
halten, was nachprüfbar oder zumindest plausibel ist. Das lässt sich
heutzutage leider nicht immer 100 Prozent genau bestimmen. Deshalb
wirken die klassischen Medien in dieser neuen Unübersichtlichkeit wie
Ankerpunkte der Glaubwürdigkeit.

Was können Medien tun, um ihre Glaubwürdigkeit noch weiter zu
stärken?

Das höchste Gut der klassischen redaktionellen Medien besteht in
ihrer Unabhängigkeit. Konkret: Die privat finanzierten Medien sollten
sehen, dass sie vor allem werbliche Einflüsse in ihrer
Berichterstattung so weit wie möglich fernhalten. Und die
Öffentlich-Rechtlichen sollten noch stärker ihre Staatsferne betonen.
Die Debatte um die Glaubwürdigkeit startete ja nicht mit dem
Aufkommen von Fake News, sondern mit den Vorwürfen der "Lügenpresse"
von rechts und der "Systempresse" von links. Die manchmal politisch
gefärbte Berichterstattung erst bei der Ukraine-Krise und dann bei
der Flüchtlingswelle hat das Image der klassischen Medien angekratzt
und zum Aufblühen so genannter Alternativmedien wie zum Beispiel dem
Blog "Nachdenkseiten" geführt.

Häufig sind einzelne Personen Ziel von Falschnachrichten.
Inwieweit schädigen Fake News den Ruf zum Beispiel von Renate Künast,
der ein falsches Zitat in den Mund gelegt wurde?

Renate Künast hat sich ja umgehend zur Wehr gesetzt und die
Urheberin verklagt. Recht so. Hier wurde die Nachricht aber überhaupt
erst durch die Künast-Klage zur Nachricht. Problematisch wird es,
wenn eine Falschnachricht, die einer öffentlichen Person am Zeug
flicken will, größere Verbreitung bis in die klassischen Medien
findet und somit eine Art publizistischen Ritterschlag erhält. Da
kann dann etwas kleben bleiben.

Klassische Medien als Anker der Glaubwürdigkeit Fake News können
gefährlich sein, sind aber auch eine Chance für klassische Medien,
sagt Medienexperte Lutz Frühbrodt.

In diesem Herbst ist Bundestagswahl. Wahlleiter Dieter Sarreither
sieht eine reale Gefahr durch falsche Nachrichten.

Die Medienszene starrt ja derzeit gebannt darauf, wann das
US-Portal "Breitbart News" nach Deutschland kommt und welche Wirkung
es hier erzielen wird. Breitbart galt im US-Wahlkampf als wichtigster
Unterstützer von Donald Trump und hat dabei nicht immer die
saubersten journalistischen Methoden eingesetzt, um es vorsichtig zu
formulieren. Ich hoffe aber, bis zum Wahlherbst sind die meisten
Wähler dafür sensibilisiert und immunisiert, dass gewisse Kräfte mit
gezielten Falschmeldungen oder Halbwahrheiten hausieren gehen wollen.

Gibt es andere Gefahren mit Blick auf die Wahlen?

Offen gesagt halte ich "Social Bots" für gefährlicher:
Meinungsroboter, die in sozialen Netzwerken und auf Kommentarseiten
von klassischen Medien, wie menschliche Nutzer auftreten und Stimmung
machen. Auch wenn alle Parteien offiziell dem Einsatz dieser
Meinungsroboter abschwören, was noch nicht fest steht, könnten diese
durchaus auch von ausländischen Regierungen gesteuert werden.

Quasi als Fazit: Wie gefährlich sind Fake News?

Sie sind brandgefährlich, wenn wir sie nicht ernst nehmen, und sie
sind brandgefährlich, wenn wir sie zu ernst nehmen und unser
bestehendes Mediensystem nicht für stabil genug halten. Aber egal,
wie man es sieht: Alle, die für eine vielfältige und demokratische
Medienkultur sind, sollten gemeinsam gegen Fake News vorgehen.

Das Interview führte

Florian Beye



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

Original-Content von: Landeszeitung L?neburg, übermittelt durch news aktuell


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