(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Koalition/Türkei: Im Wahlkampfmodus von Reinhard Zweigler

Geschrieben am 17-08-2016

Regensburg (ots) - Alles nur ein "Büroversehen". So versuchte
gestern das Bundesinnenministerium die peinliche Panne um die
vertrauliche Einschätzung der Türkei herunter zu spielen. Dabei birgt
die an die Öffentlichkeit gelangte Antwort des Ministeriums auf eine
Anfrage der Linksfraktion in vielerlei Hinsicht politischen
Sprengstoff in sich. Sollte die Türkei nämlich wirklich eine
Aktionsplattform für islamistische Terroristen sein, wie das
vertrauliche Papier meint und was viele Experten längst für erwiesen
halten, dann stünden die Beziehungen zum Nato-Partner vom Bosporus in
einem gänzlich anderen Licht da. Das Flüchtlingsabkommen zwischen
Brüssel und Ankara etwa wäre mit einem Unterstützer des Terrors
geschlossen worden. Außen- und sicherheitspolitisch sowie in den
Beziehungen zur Türkei ist mit einem dünnen Papier selten so viel
Porzellan zerschlagen worden, wie es jetzt der Fall ist. Es dürfte
der Bundeskanzlerin äußerst schwer fallen, die ohnehin angespannten
Beziehungen zum türkischen Staatspräsidenten wieder zu kitten. Nur
mit ein paar diplomatischen Floskeln und notdürftigen
Beschwichtigungen wird der stolze Recep Tayyip Erdogan nicht zu
besänftigen sein. Zugleich jedoch zeigt die peinliche Panne, wie
brüchig die Berliner Koalition ist. Das SPD-geführte Außenministerium
war bei der Abfassung des brisanten Schreibens gar nicht beteiligt.
Der Ärger des deutschen Chefdiplomaten Frank Walter Steinmeier, der
sich gerade um Entspannung in Syrien kümmert, wozu er natürlich
Ankara braucht, über die Dummheit oder Unfähigkeit des CDU-geführten
Innenministeriums ist nur allzu verständlich. Was Steinmeier mühsam
aufzubauen versucht, wird mit einem unbedachten Papier aus einem
Unions-Ministerium torpediert. Der Ärger ist um so größer, weil
wichtige Zuarbeiten aus nachrichtendienstlichen Quellen, also vom
Bundesnachrichtendienst, über das Kanzleramt beigesteuert worden
sind. Der Frust der SPD richtet sich genau genommen also auch gegen
den Apparat im Kanzleramt, gegen den Kanzleramtsminister und
Merkel-Vertrauten Peter Altmaier und vermutlich sogar gegen die
Kanzlerin selbst. Anders als bei vorangegangenen BND-Affären hat nun
jedoch die politische Ebene versagt. Es sind nicht nur Pannen wie die
jetzige oder die anstehenden Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern
sowie in Berlin, die das Verhältnis der Koalitionäre belasten. Seit
einigen Wochen bereits haben viele in den Spitzen von CDU, CSU sowie
SPD auf Wahlkampfmodus umgeschaltet. Die SPD wirft der Union offen
Versagen in der Flüchtlingspolitik vor. Und die Union holzt zurück
und erklärt die Steuerfantasien der Sozialdemokraten - konkrete Pläne
gibt es noch nicht - zum Untergang des Abendlandes. So oder so wollen
alle ihr Pulver für den Wahlkampf 2017 trocken halten. Dabei wird die
SPD vermutlich einen Themenwahlkampf zur Gerechtigkeit, gerechte
Steuern, Renten, Löhne fahren wollen. Auch weil ihr ein zugkräftiger
Kanzlerkandidat fehlt. Schwierig wird es jedoch auch für die Union,
die eigentlich als Garant der inneren Sicherheit punkten wollte. Doch
ausgerechnet auf diesem, für die Wahlen entscheidenden Feld lässt die
Union derzeit Federn. Populistische Losungen wie die Abschaffung der
doppelten Staatsbürgerschaft oder ein Burka-Verbot wurden vom
Bundesinnenminister postwendend einkassiert. Die AfD dürfte vom
Hickhack in der Union profitieren. Zumal auch die Zugkraft von Angela
Merkel deutlich eingebüßt hat. Das war bei der vorangegangenen
Bundestagswahl noch völlig anders.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

597126

weitere Artikel:
  • Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Verhältnis zur Türkei Wegducken geht nicht mehr Sigrun Müller-Gerbes Bielefeld (ots) - Nun haben wir es schriftlich: Die Bundesregierung hält einen NATO-Partner und einen der wichtigsten Verbündeten in der Flüchtlingspolitik für einen Wegbereiter des Terrors, für eine "zentrale Aktionsplattform" für Islamisten im Nahen Osten. Ein Eingeständnis, das Konsequenzen haben muss. Dabei ist das eigentlich Überraschende der im Innenministerium gefertigten Analyse über die Türkei nicht das Verdikt an sich: Dass Ankara die Hamas fördert - deren Hauptquartier immerhin in Istanbul ist; dass bewaffnete Islamistengruppen mehr...

  • Weser-Kurier: Über Niedersachsen im Wahlkampf schreibt Peter Mlodoch: Bremen (ots) - Der Kampf gegen Kriminalität und Terror, gegen rechte wie linke Gewalt ist viel zu wichtig, als dass man ihn im Wahlkampfgetöse zerredet. Mit dieser Kritik an der Landtagsdebatte um die innere Sicherheit in Niedersachsen hat der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, Dietmar Schilff, völlig Recht. Auch wenn in knapp vier Wochen Kommunalwahlen zwischen Küste, Heide und Harz anstehen: Lautstarkes Poltern, bei dem die schwarz-gelbe Opposition Rot-Grün als viel zu lasch gegenüber Verbrechern und Extremisten kritisiert mehr...

  • Stuttgarter Nachrichten: Türkei Stuttgart (ots) - Über die türkische Außenpolitik insgesamt ist zu sagen: Sie hat ihr goldenes Jahrzehnt leider hinter sich. Jene Phase, in der die Türkei bis 2010 zu all ihren problematischen Nachbarn gute Beziehungen aufbauen und wahren konnte. In der sie zum Bollwerk der Stabilität und zur Mittlerin wurde, deren gute Dienste sogar Israel und Syrien für ihre ersten Verhandlungen seit Jahrzehnten nutzten. Wenig ist davon geblieben. Tief ist die Türkei in Zank und Zoff verstrickt, die ihr nahöstliches Umfeld prägen. Der Kurden-Konflikt mehr...

  • Weser-Kurier: Über den Untersuchungsausschuss zum Sozialhilfebetrug in Bremerhaven schreibt Jürgen Theiner: Bremen (ots) - Der Untersuchungsausschuss zum Sozialleistungsbetrug in Bremerhaven wird den Sozialdemokraten schweren Schaden zufügen. Man muss kein Prophet sein, um das vorherzusagen. Entweder kommt heraus, dass einzelne Akteure in der SPD-durchwirkten Verwaltung der Seestadt ihre schützende Hand über korrupte Vereinsfunktionäre gehalten haben - oder dass sie lange Zeit zu träge waren, gravierenden Anzeichen für massenhaften Leistungsmissbrauch nachzugehen. Filz oder Unfähigkeit wird auf dem Zeugnis stehen, das der Ausschuss am mehr...

  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Sigmar Gabriel Bielefeld (ots) - Die Reaktion von Vizekanzler Sigmar Gabriel ist eine menschliche. Und das kann am Ende den Unterschied ausmachen: Während seinem Parteikollegen Peer Steinbrück der Stinkefinger im Kanzler-Wahlkampf 2013 geschadet hat, könnte Gabriel dieser Ausrutscher als möglicher Kanzlerkandidat der SPD nützen. Steinbrück wollte kokettieren, Gabriel wurde dagegen von rechtsextremen Pöblern an seinem wunden Punkt getroffen. Der SPD-Chef ist launisch, eckt immer wieder an. Damit bietet er ein Gegenmodell zu Angela Merkel und ihrer mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht