(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur SPD: Streit um den Markenkern von Reinhard Zweigler

Geschrieben am 09-05-2016

Regensburg (ots) - Gestern standen sie am Abgrund, heute sind sie
einen Schritt weiter. Nein, über solche abgedroschenen Witze kann bei
den deutschen Sozialdemokraten derzeit wirklich niemand lachen. Sie
schuften sich im Maschinenraum der Berliner Groß-Koalition ab, doch
offenbar dankt ihnen das keiner. Bei den Wahlen in Baden-Württemberg
und Sachsen-Anhalt erhielten die Genossen derart schlimme Watschn,
dass es einen um die SPD Angst und Bange werden könnte. Und nun tritt
auch noch im südlichen Nachbarland Österreich ein
sozialdemokratischer Bundeskanzler zurück. Kein Rückenwind für eine
Partei, die mit sich selbst hadert, deren Selbstbewusstsein unter dem
Gefrierpunkt vereist scheint. Dabei muss der Rückzug von Werner
Faymann in Wien nicht einmal ein schlimmes Zeichen für die
sozialdemokratischen Nachbarn im Norden sein. Es könnte unter
Umständen sogar ein Weckruf sein. Der Wiener Ex-Kanzler hat
eigentlich nur gezeigt, wie man es nicht machen sollte, was passiert,
wenn man über keinen klaren politischen Kompass verfügt, wenn man den
Rechtspopulisten, etwa in der wichtigen und hochemotionalen
Flüchtlingsfrage, Munition frei Haus liefert. Die derzeitige
Bredouille der SPD hat zudem tragische Vorbilder in anderen
sozialdemokratischen Parteien, von Griechenland, bis Spanien,
Portugal oder Großbritannien. Die Erosion des Zusammenhalts in der EU
geht mit der Erosion der Macht sozialdemokratischer Parteien einher.
Nur macht das die Sache für Gabriel und Co. um keinen Deut einfacher.
Dass derzeit wild um die Person des SPD-Vorsitzenden spekuliert wird,
macht die Malaise der Sozialdemokratie in Deutschland indes nur noch
deutlicher. Es liegt ja nicht nur daran, dass ein in die Jahre
gekommener Münchner Journalist Gerüchte ohne Substanz in die Welt
setzt, sondern das Problem steckt viel tiefer. Und es geht weit über
die Person Sigmar Gabriel hinaus. Dessen Analyse, dass die SPD viel
mehr als staatstragend wahrgenommen wird und nicht mehr als linke
soziale Bewegung, geht in die richtige Richtung. Gerhard Schröder hat
1998 die Wahl gegen Helmut Kohl gewonnen, weil man dem frischen Mann
mehr zutraute als dem Langzeit-Kanzler. Rot-Grün war seinerzeit die
Verheißung für ein moderneres Deutschland. Dabei ist zweifellos auch
einiges erreicht worden. Auch an der Agenda 2010 war nicht alles
schlecht. Nur leider wurden damals einige Auswüchse und
Fehlentwicklungen, von der Rentenpolitik bis zur ausufernden
Leiharbeit und satten Steuergeschenken an Konzerne, nicht korrigiert.
Gedrückt von der Merkel-Union war dies in einer Groß-Koalition auch
kaum möglich. Eine gründliche Erneuerung in der Opposition war für
die SPD keine wirkliche Option. Der SPD schmolz in der
Nach-Schröder-Zeit erst die Wählerschaft, dann die Kompetenz in
sozialen Fragen und schließlich die Glaubwürdigkeit weg wie Schnee in
der Frühlingssonne. Doch verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, ist
für eine Partei so ziemlich die schwierigste Operation, die das
politische Leben bereithält. Dem Nach-wie-vor-Parteichef Sigmar
Gabriel bleibt in dieser verfahrenen Situation eigentlich nur die
Alternative zwischen knorrigem Weitermachen wie bisher, was für die
SPD in der Tat auf mittlere Sicht existenzbedrohend sein könnte. Oder
aber er besinnt sich auf den sozialen, linken Markenkern der
Sozialdemokratie, der nun allerdings auf die neuen Verhältnisse -
global, europäisch und national - durchbuchstabiert werden müsste.
Die Sozialdemokratie muss glaubhaft darlegen, wofür sie in der
heutigen Zeit noch gebraucht wird, vielleicht sogar unersetzlich ist.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

590605

weitere Artikel:
  • Stuttgarter Nachrichten: Kommentar zur SPD Stuttgart (ots) - Existenzbedrohend: Das Wort hat Wucht. Erst recht, wenn der Parteichef höchstselbst die Lage seiner SPD derart dramatisch einschätzt. Denn eine Partei, die erkennbar daran zweifelt, dass sie noch gebraucht wird, und das, was um sie herum passiert, nicht mehr richtig versteht, gibt sich früher oder später selbst auf. Dabei gibt es genug zu tun, um die jammervollen Genossen wieder im ganz großen politischen Diskurs satisfaktionsfähig und für mehr als 20 Prozent der Wähler attraktiv zu machen. Doch was hört man aus mehr...

  • BERLINER MORGENPOST: Schlechtes Zeugnis; Kommentar von Joachim Fahrun zum Bericht des Berliner Landesrechnungshof Berlin (ots) - Der Bericht des Landesrechnungshofes zeichnet ein beängstigendes Bild der Berliner Behörden - und stellt damit der seit fast fünf Jahren regierenden Koalition aus SPD und CDU ein miserables Zeugnis aus. Dass in den heißen Tagen der Flüchtlingskrise Aufträge über Hunderttausende Euro freihändig vergeben und vorgeschriebene Verfahrenswege nicht eingehalten worden sind, mag man ja vielleicht noch verstehen. Warum aber andere Behörden in ihrem Routinebetrieb das Vergaberecht auch nur als eine lässliche Empfehlung betrachten, mehr...

  • Westfalenpost: Martin Korte zum Rücktritt des Bundeskanzlers in Österreich: Kein Rückhalt, nirgendwo Hagen (ots) - Es gibt nicht viele, die Werner Faymann nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler eine Träne nachweinen. Nicht in Österreich und auch nicht im Rest Europas. Sogar große Teile seiner eigenen Partei verweigerten ihm am Ende die Unterstützung, bei den Mai-Feiern pfiffen ihn die linken Sozis sogar öffentlich aus. Schon die 27 Prozent bei den letzten Wahlen waren kein vernünftiges Macht-Fundament, aber die Wahl des Bundespräsidenten, aktuelle Umfragen und der Druck von rechts haben die Krise der Sozialdemokraten in unserem mehr...

  • Westfalenpost: Wilfried Goebels zum Untersuchungsausschuss: Die Glaubwürdigkeit des Innenministers Hagen (ots) - Wer trägt eigentlich die politische Verantwortung für den desaströsen Polizeieinsatz in der Kölner Silvesternacht? Der für die Polizei zuständige nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger schob die Schuld im Untersuchungsausschuss einmal mehr auf untergeordnete Behörden und betätigte sich als Schutzschild für Regierungschefin Hannelore Kraft. Wer wusste wann was? Die Opfer haben einen Anspruch, dass bei der Aufklärung nichts vertuscht und beschönigt wird. Die Staatskanzlei in Düsseldorf weigert sich, interne mehr...

  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Betriebsrenten Bielefeld (ots) - Einen »wesentlichen« Beitrag gegen Altersarmut: So nennt Finanzstaatssekretär Michael Meister das neue Modell einer staatlich geförderten Betriebsrente, von der ausschließlich Geringverdiener profitieren. Das ist ein großes Wort für eine wesentlich zu kleine Summe. Knapp 397 Euro pro Jahr sollen die Bezieher geringer Einkommen zunächst ansparen, ohne dass ihr Nettoverdienst reduziert wird. Knapp 59 Euro muss dafür der Arbeitgeber beisteuern. Für den Rest wird dann wohl, ob direkt als Zuschuss oder indirekt mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht