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Mittelbayerische Zeitung: In der Empörungsfalle / Gegen irregeleitete Pegida-Anhänger helfen klare Worte. Gegen Hassprediger braucht es andere Rezepte. Leitartikel von Reinhard Zweigler

Geschrieben am 20-10-2015

Regensburg (ots) - Hass ist die Rache des Feiglings, der
eingeschüchtert ist, bemerkte der Dramatiker George Bernard Shaw. Die
Pegida-Demonstration vom vorgestrigen Abend in Dresden hat leider
eine neue, schlimme Stufe des Hasses und der Feigheit erreicht. Was
vor einem Jahr als Empörung gegen die "Islamisierung des Abendlandes"
begann, ist zu einem Aufmarsch der Feindseligkeit gegenüber
Asylsuchenden, gegen maßgebliche Politiker, gegen das demokratische
System, gegen Medien geworden. Pegida erlebte eine Radikalisierung,
die zum Teil über die Grenzen unserer Verfassung hinausgeht, über die
Grenzen kulturvollen politischen Streits ohnehin. Doch politische
Debatte, auch hart in der Sache, ist dabei offensichtlich schon lange
nicht mehr gewollt. Es geht vielen Marschierern vielmehr um trotziges
Einfordern ihres Strandpunktes. Das Boot ist voll. Merkel, Gabriel
und Co. seien "Volksverräter". Ab an den Galgen mit ihnen. Wer so
denkt, redet und demonstriert, dem ist nicht an einem friedlichen
Interessenausgleich, nicht an einer humanen Flüchtlingspolitik und
Integration von Menschen gelegen, die aus schierer Not zu uns
flüchteten. Es ist dies der bittere Hass, der aus Verlust- und
Veränderungsängsten entsteht. Unrühmlicher Tiefpunkt war nun die
Entgleisung des deutsch-türkischen Rechtspopulisten Akif Pirincci.
Der Mann verstieg sich nicht nur zur Verunglimpfung deutscher
Politiker als "Gauleiter gegen das eigene Volk", sondern bedauerte
gar, dass KZs ja "leider derzeit außer Betrieb" seien. Damit hat der
Autor nicht nur einen unsäglichen Vergleich bemüht, sondern zugleich
ein historisches Tabu gebrochen. Damit ist es nicht mehr weit bis zu
Holocaust-Leugnern vom Schlage eines David Irving. Vermutlich hat
Pirincci damit allerdings auch den Straftatbestand der
Volksverhetzung erfüllt. Das muss die Justiz nun prüfen. Gegen
rechtsextreme, geschichtsvergessene Hassprediger hilft nun wirklich
nur noch die Härte des Rechtsstaates. Dass sich selbst der
vorbestrafte Pegida-Anführer Lutz Bachmann von Pirinccis unsäglichem
Auftritt distanziert, geschah wohl eher aus der Sorge, dass der Staat
den ganzen Spuk verbieten könnte. Etwas anders mögen die Dinge bei
vielen der Mitläufer liegen, die die Pegida als ihr Wut-Ventil auf
"die da oben" betrachten. Dass man sich Sorgen um zu viele
Flüchtlinge in Deutschland macht, dass Fragen zur Funktionsfähigkeit
der Kommunen, zur Leistungsfähigkeit unserer Sozialsysteme gestellt
werden, ist legitim, Hass und Gewalt gegen Flüchtlinge, gegen
Politiker, Bürgermeister, Landräte, Polizisten, gegen Journalisten
ist es nicht. Pegida-Mitläufer können nur erreicht werden mit klaren,
ehrlichen Worten, mit Konzepten, die wir diese riesige
Herausforderung meistern können. Einfache Wir-schaffen-das-Rhetorik
der Kanzlerin reicht dazu ebenso wenig aus wie die
Wir-machen-die-Grenzen-dicht-Phantasien von anderen Konservativen.
Allerdings müssen Politiker aufpassen, dass sie dabei nicht
gewissermaßen in eine Empörungsfalle treten. Vizekanzler Sigmar
Gabriel und Innenminister Thomas de Maizière zeigten vor Monaten noch
reichlich Verständnis für Pegida-Besorgte. Inzwischen sind sie
offenbar eines Schlechteren belehrt worden und empören sich mit
harten Worten. Doch Empörung allein reicht nicht. Es braucht
Antworten. Selbst wenn viele der Anti-Flüchtlingsmarschierer mit
Argumenten nicht mehr erreichbar scheinen. Sie laufen ihren
liebgewordenen Feindbildern hinterher. Dass sich nun Tausende
Menschen den Hass-Demonstranten entgegenstellen und dass Tausende
weiterhin den Flüchtlingen helfen, ist das eigentlich ermutigende
Zeichen.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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