(Registrieren)

DER STANDARD - Kommentar "Rekrutierungsprobleme" von Petra Stuiber

Geschrieben am 27-07-2014

Richter und Staatsanwälte müssen viel mehr können als
Strafrecht - daran hapert es - Ausgabe vom 28.7.2014

Wien (ots) - Man darf gespannt sein, ob und welche Moralpredigten
die jungen Gewalttäter von Bischofshofen vor Gericht hören werden (so
die Polizei sie überhaupt dingfest macht, die gestochen scharfen
Fotos der Attacke sind ja weiß Gott keine Hilfe). Josef S., jener
linke Demonstrant aus Jena, der gegen den rechten Akademikerball
protestierte und dafür eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs
erhielt, bekam von seinem Richter zu hören: "Der Zweck heiligt nicht
die Mittel." Wie wahr. Die Justiz sollte sich das selbst zu Herzen
nehmen: Wem nützt diese Verurteilung - und vor allem, wer nützt sie
aus? Was Josef S. alles angelastet wurde, zeigt: Hier war eine Justiz
am Werk, die weder das Demonstrationsrecht hochhält noch zu verstehen
scheint, dass sich Menschen an vorderster Front für oder gegen eine
Sache engagieren. Der Staatsanwalt warf ihm vor, dass er aus
Deutschland angereist war, um in Wien "in der ersten Reihe" zu
demonstrieren. Darauf kann man nur fassungslos fragen: Na und? Wenn
Gewerkschafter auf die Straße gehen, marschieren oft genug Minister
in der ersten Reihe - niemand käme auf die Idee, sie für Rädelsführer
zu halten. Oft genug stehen Richter und Staatsanwälte zivilem Protest
verständnislos gegenüber - etwa auch im Tierschützerprozess. Wie
steht Österreichs Justiz also überhaupt zur Zivilgesellschaft?
Nachdem die Prozessführung gegen Josef S. von Experten und Medien im
In- und Ausland zerpflückt worden war, hätte sich wenigstens einer
oder eine aus der Führungsriege der Justiz aufschwingen können, um
klarzustellen, dass man auch hier zum verfassungsmäßig verankerten
Demonstrationsrecht steht. Doch offenbar gibt es ein Führungsproblem
- niemand reagierte, niemand getraute sich, etwas zu sagen. Die
konservativen Burschen-Seilschaften, vor allem über den
Cartellverband, sind nicht allein der Grund dafür. Gerade in den
letzten Jahren ist der Frauenanteil in der Justiz stark gestiegen.
Geändert hat das wenig. Nach wie vor regieren Angepasstheit und
Korpsgeist - und das Bemühen, nur ja nirgendwo anzuecken. Nach dem
Motto: "Härte gegen Taschendiebe, Glacéhandschuhe bei Promis".
Staatsanwälte, die sich etwas getrauen, werden oft im Regen
stehengelassen. Mitunter hat man den Eindruck, bei clamorosen Fällen
tut sich nur dann etwas, wenn die öffentliche Empörung so groß ist,
dass sich auch die politische Führungselite gezwungenermaßen aufregt
(siehe Hypo). Dann schießt man auch gerne einmal übers Ziel hinaus
und schlampt im Verfahren (siehe Strasser) - was dem Vertrauen in die
Justiz auch nicht gerade förderlich ist. Justizminister Wolfgang
Brandstetter muss ernsthaft überlegen, welche Personen in Österreich
Staatsanwälte und Richter werden sollen. Die Kenntnis des
Strafgesetzbuches allein reicht jedenfalls nicht aus. "Soft skills"
müssen auch in der Justiz einen Wert darstellen. Nicht
systemkonformes, eigenständiges Denken muss gefördert werden.
Klugheit und Feingefühl sind gefragt. Fortbildung muss Pflicht
werden. Warum nicht auch überlegen, nur jene aufzunehmen und zu
befördern, die schon einmal ehrenamtlich mit Drogensüchtigen,
Obdachlosen, Haftentlassenen gearbeitet haben? Immerhin ist das jene
"Klientel", über die oftmals gerichtet wird. Die Justiz hat ein
massives Rekrutierungsproblem - und das wird immer mehr zu einem
politischen und sozialen Problem. Die Lösung all dessen müsste
eigentlich Chefsache sein.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

*** OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT ***


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

539349

weitere Artikel:
  • Berliner Zeitung: Kommentar zur Betreuungsgeldstudie Berlin (ots) - Ersonnen von der CSU, ist das Instrument gerichtet an ihr Milieu - die traditionsbewussten, oft solventen Unions-Wähler. Doch was gut ist für Bayerns Mütter, ist schlecht für viele Kinder. Denn genutzt wird das Geld besonders gern von Eltern, die keine oder keine gute Ausbildung haben, und von Familien mit Migrationshintergrund. Familien also, die ihren Kindern sicherlich viel Liebe, aber leider nicht immer die beste Perspektive, Bildung und andere Inspiration bieten können. Im Interesse dieser Kinder, im Interesse mehr...

  • neues deutschland: Krieg in Gaza und der Prophet Mose Berlin (ots) - Als der Herr auf dem Berg Sinai zu Mose sprach, hatte er dem Anführer der Israeliten eine Menge zu sagen. Das waren nicht nur jene als Zehn Gebote bekannt gewordenen Weisungen, sondern unter anderem auch der archaische Abgeltungskatalog »Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand ...«. Oft als Register radikaler Rachegelüste missinterpretiert, sollte dieses Diktum im Gegenteil Damm sein gegen die Maßlosigkeit barbarischer Blutrache. Die Zahl der von der israelischen Armee im Gaza-Streifen mehr...

  • Neue Westfälische (Bielefeld): Ausländermaut und andere Fehltritte Der Murks in der Politik Alexandra Jacobson, Berlin Bielefeld (ots) - Politik folgt nicht immer der reinen Logik, denn sie wird schließlich von Menschen gemacht. Manchmal mangelt es aber auch schlicht an Vernunft. Oder am Willen, Fehler einzugestehen. Gegenwärtig liefert Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt reichlich Anschauungsunterricht. Er ackert wie blöd, um die Quadratur des Kreises zu schaffen. Oder anders: die Pkw-Maut nur für Ausländer, die also Inländer nicht zusätzlich belastet und gleichzeitig Ausländer nicht diskriminiert, sprich europarechtskonform ausfällt. Das ist mehr...

  • Südwest Presse: KOMMENTAR · PROTHESEN-WEITSPRINGER Ulm (ots) - Nicht zu stoppen Inklusion ist ein großes Thema. Und ein schwieriges. Im Leistungssport, wo es um Zeiten, Weiten, Höhen und Geld geht, ganz besonders. Das hat schon der Fall des südafrikanischen Stelzen-Sprinters Oscar Pistorius gezeigt. Er musste seinen Start einklagen. Prothesen-Weitspringer Markus Rehm, der jetzt mit seinem Sieg bei den Meisterschaften in Ulm Furore macht, ist das bisher erspart geblieben. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) unterstützt ihn, sieht Rehm als Hoffnungsträger für Menschen mit mehr...

  • Mittelbayerische Zeitung: Kommentar von Christine Schröpf zur Maut Regensburg (ots) - CSU-Chef Horst Seehofer hat im Mautstreit die schärfste Waffe aus seinem Arsenal gezückt: Das Drohen mit einem Koalitionsbruch soll die Kritiker aus CDU und SPD zum Verstummen bringen. Seehofers Schwert ist zwar etwas stumpfer als früher - die Koalition in Berlin hätte Dank satter Mehrheitsverhältnisse auch ohne CSU Bestand. Doch Merkel kann mit Blick auf künftige Wahlen nicht daran interessiert sein, die Schwester-Partei nachhaltig zu vergrätzen. Und SPD-Chef Gabriel kalkuliert damit, dass er den "Herz-Jesu-Sozialisten" mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht