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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Aus der Geschichte lernen Ritualisiertes Gedenken reicht nicht Stefan Brams

Geschrieben am 04-07-2014

Bielefeld (ots) - In diesen Tagen gedenken wir des 100. Jahrestags
des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs. Und werden mit einem kaum noch
zu überbietenden Angebot von Ausstellungen, Büchern, Dokumentationen
und Filmen an diesen Tag erinnert. Die historische Rückschau, das
Gedenken und Erinnern scheinen Konjunktur zu haben - in diesem Land.
Erinnern und Gedenken wird gerne damit gerechtfertigt, dass sich nur
so etwas aus der Geschichte lernen lasse, auf dass sie sich nicht
wiederhole. Der Philosoph George de Santayana wird in diesem
Zusammenhang gerne zur Rechtfertigung herangezogen, hat er das Thema
doch einst auf die einprägsame Formel gebracht: "Wer sich an die
Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen."
Der Dramatiker Heiner Müller hingegen war da deutlich skeptischer. Er
formulierte stattdessen: "Aus der Geschichte lernen heißt das Nichts
lernen." Angesichts all der Kriege in der heutigen Welt, des
Abschlachtens und Mordens, der zunehmenden Vernichtung unser
natürlichen Ressourcen wirken all unsere Anstrengungen, uns an
Jahrestagen unserer Geschichte zu vergegenwärtigen, in der Tat
geradezu sinnlos, erscheint der Mensch einem doch zunehmend unfähig,
aus dem Vergangenen Schlüsse für sein gegenwärtiges Handeln ziehen zu
können. Sollten wir uns deshalb nicht lieber gleich der Zukunft
zuwenden - und dem Blick zurück weniger Aufmerksamkeit schenken? Auch
bei uns in der Redaktion wird des Öfteren darüber gestritten, wie
viel Platz wir der Erinnerung und dem Gedenken einräumen sollen - am
29. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, am 8. Mai, dem Tag der Befreiung
vom Faschismus, am 9. November, dem Tag der Novemberrevolution, der
Reichspogromnacht und des Falls der Mauer. Die Liste ließe sich um
zahlreiche wichtige Gedenk- und Erinnerungstage ergänzen. Denn es
gibt sie reichlich - und sie alle haben sicher ihre Berechtigung, um
die Opfer nicht zu vergessen. Aber genau darin liegt auch die Crux
der Gedenktage. Sie werden nur allzu oft ritualhaft begangen,
verkommen zu Pflichtübungen der politischen Klasse und einiger
Interessierter, rauschen aber ansonsten an uns und unserem immer
hektischer gewordenen Leben vorbei. Volkhard Knigge, Direktor der
KZ-Gedenkstätte Buchenwald, hat vor einiger Zeit in einem Gespräch
mit dieser Zeitung gerade vor der Ritualisierung von Gedenktagen
gewarnt, dadurch würde zum Beispiel der Holocaust-Gedenktag nur
verschleißen. Auch ihn zu überfrachten sei falsch, denn eigentlich
müsse es darum gehen, die historische Auseinandersetzung nicht nur an
Feiertagen zu betreiben. Recht hat er. Wir überfrachten Gedenktage,
als hofften wir auf Absolution vor der Geschichte, wenn wir diese
Tage nur intensiv genug zelebrieren. Aber um aus der Geschichte
wirklich etwas zu lernen, müssen historische Themen zu Alltagswissen
und nah an die Menschen herangerückt werden. Gedenken braucht daher
vor allem eins: Wissen und eine didaktisch geschickte
Wissensvermittlung. Darum sollte es auch uns Journalisten gehen,
historische Hintergründe nicht nur an Gedenktagen zu vermitteln,
sondern auch dann, wenn wir über aktuell aufkeimende Konflikte
berichten. Denn Konflikte wie in der Ukraine zeigen: "Die
Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen" (William
Faulkner). Sie geht uns täglich an. Darum sollte es gehen. Vielleicht
lernen wir dann doch noch etwas aus der Geschichte.



Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de


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