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Landeszeitung Lüneburg: Heuchelei mit dem Völkerrecht / Jan van Aken, Linken-Bundestagsabgeordneter: "Fakten auf der Krim akzeptieren und auf Kooperation setzen"

Geschrieben am 27-03-2014

Lüneburg (ots) - Russlands Annexion der Krim erhöht die Spannungen
in der internationalen Politik und spaltet die Meinunen im Westen.
Während Rumäniens Staatspräsident Traian Basescu Moskau für
"unberechenbar" hält und neben Sanktionen die "militärische
Reaktionsfähigkeit" seines Landes erhöhen will, hält Alt-Kanzler
Helmut Schmidt den Sanktionskurs des Westens für "Unsinn". Der
Linken-Bundestagsabgeordnete Jan van Aken (52) sitzt im Auswärtigen
Ausschuss. Der ehemalige UN-Biowaffeninspekteur sieht beim Westen
eine Mitverantwortung für die Eskalation der Krise. "Putin hat das
Völkerrecht brutal gebrochen, aber der Westen sollte leise
protestieren. Er selbst brach sein Wort bei der NATO-Osterweiterung
und im Kosovo auch das Völkerrecht." Es sei besser, die Annexion der
Krim als Faktum hinzunehmen und einen kooperativen Kurs gegenüber dem
Kreml einzuschlagen.

Inwieweit ist die EU mitschuldig an der Eskalation, weil sie mit
ihren Avancen an Kiew im Kreml Einkreisungsängste forcierte?

Jan van Aken: Mitschuldig ja, aber ich würde davor warnen,
einseitig Schuld zuzuweisen. Das funktioniert weder in Richtung
Russland noch in Richtung Westen. Beide Seiten haben massiv an der
Ukraine gezerrt. Deswegen haben beide zu der Eskalation mit
beigetragen.

US-Truppen in Mittelasien, die NATO direkt im Vorgarten. Konnte
Putin aus seiner Sicht nicht anders, als den Seitenwechsel der
Ukraine mit aller Macht zu verhindern?

Van Aken: Natürlich hätte Putin anders können. Zwar hat er Recht
mit seiner Kritik, dass die NATO sich in den vergangenen 22 Jahren
nicht an Absprachen gehalten hat, indem sie sich nach Osten
erweiterte, indem sie den Raketenschutzschild direkt an Russlands
Grenzen errichtet hat. Das alles waren grobe Fehler, die einem
Kalte-Kriegs-Denken entsprangen, nicht auf die Interessen Russlands
Rücksicht zu nehmen, während man die eigenen durchdrückt. Jetzt hat
Putin die Situation genutzt und seine Züge gemacht. Nur, die
verfehlte Politik der NATO rechtfertigt die Annexion der Krim nicht,
auch wenn der Kreml das so sieht. Ich hoffe dennoch, dass die
Krim-Krise der Beginn einer Phase ist, in der Russland und die NATO
sich kooperativ verhalten, um Konfrontation und Stagnation zu
überwinden.

Ein bekennender Russlandversteher ist Gernot Erler (SPD). Der
russlandpolitische Koordinator der Bundesregierung zeigte sich
erschüttert von Putins Annexion der Krim. Wie war Ihre Gefühlslage?

Van Aken: Erschüttert war ich nicht. Und ich glaube auch, dass
Herr Erler ein bisschen heuchelt. Er ist in der Tat ein
Russlandversteher, das heißt, er kapiert, was dort passiert, und er
weiß genau, was der Westen falsch gemacht hat. Seine SPD hat in ihrer
Regierungszeit davon auch viel mitgetragen. Insofern darf es ihn
nicht wundern.  Ich war nicht erschüttert, sondern überrascht und
ärgerlich, dass Putin die konsequente Fortsetzung des konfrontativen
Kurses gewählt hat, auf dem beide Seiten seit einiger Zeit segeln.
Eine zeitlang empfand ich die Krise auch als bedrohlich, weil nicht
klar war, wie weit sich das noch aufschaukeln würde. Momentan sehe
ich das eher als Chance, dass irgendwer in der NATO vernünftig wird
und umdenkt.

Muss man das Pro-Russland Referendum der Krim einfach hinnehmen,
wie Sahra Wagenknecht meint, obwohl es unter dem drohenden Schatten
russischer Soldaten zustande kam?

Van Aken: Das hat Sahra Wagenknecht so nicht gesagt. Und hinnehmen
ist ein schwieriges Wort in dieser Situation. Umgekehrt sollte man
fragen: Was können wir tun? Ich denke, die Entscheidung ist gefallen.
Die Krim wird künftig zu Russland gehören, obwohl das ein klarer
Völkerrechtsbruch war, der zudem unter Androhung von Waffengewalt
vollzogen wurde. Aber das ist nun ein Faktum. Das muss man natürlich
immer weiter kritisieren, aber dreht man immer weiter an der
Konfrontationsspirale, verhängt man immer härtere Sanktionen, brechen
die Beziehungen komplett ab. Das aber ist der falsche Weg.

Hat sich der Westen beim Scheitern der Regierung einer nationalen
Einheit in Kiew etwas vorzuwerfen? Hat er auf die falschen Pferde
gesetzt?

Van Aken: Ja. Weil in der jetzigen Regierung Neonazis mitwirken,
nicht Rechtspopulisten, wie es im Westen oft beschönigend bezeichnet
wird, sondern knallharte Nazis, was die Regierungen der EU auch
wussten.

Ist die Krim nur die erste Beute in einem längeren Beutezug
Putins? Greift er auch nach der Ost-Ukraine?

Van Aken: Das halte ich für unwahrscheinlich. Denn wenn ein
Raubzug Putins Interesse wäre, hätte er ihn längst starten können. Es
sind ja keine neuen Sachverhalte, dass es im Baltikum starke
russischsprachige Minderheiten gibt. Und es ist auch nicht neu, dass
der Kreml in der Ukraine Interessen hat. Dennoch hat Putin in den
vergangenen Jahren hier keine aggressive Politik verfolgt. So gesehen
hat er die Gunst der Stunde genutzt, hat das Völkerrecht gebrochen
und sich die Krim einverleibt. Aber ich halte es für wenig
wahrscheinlich, dass er auf diesem Weg weitergeht .Er hat zugestimmt,
dass OSZE-Missionen in der gesamten Ukraine unterwegs sein können. Es
spricht derzeit nicht viel dafür, dass er sich in der Ost-Ukraine
einmischen wird.

Ist die Panik in den baltischen Staaten angesichts der
Argumtationskette, nur russischssprachige Bürger zu schützen,
nachvollziehbar?

Van Aken: Panik ist für mich vor dem Hintergrund von Vorschlägen
Moskaus in den vergangenen Jahren zu kooperativen Sicherheitssystemen
nicht nachvollziehbar. Dass die Menschen beunruhigt waren in den
vergangenen Wochen, kann ich verstehen. Man sollte diese Krise in den
baltischen Ländern aber auch als Mahnung verstehen, die NATO zu
drängen, kooperativ mit Moskau umzugehen.

Ist der Westen demnach mit dem Ausschluss Russlands aus der G8 auf
dem Holzweg?

Van Aken: Ja, klar. Das ist eher ein hilfloser Versuch, irgendwie
auf diesen Völkerrechtsbruch reagieren. Aber jetzt muss es doch darum
gehen, Auswege zu finden. Für mich läge ein Ausweg darin, auch einmal
Fehler zuzugeben: Ja, bei der Osterweiterung der NATO haben wir unser
Wort gebrochen. Ja, beim Kosovo-Einsatz haben wir genau so brutal das
Völkerrecht gebrochen wie jetzt Russland. Jetzt sollten der Westen
und Russland gemeinsam nach einem kooperativen Sicherheitssystem
suchen und die OSZE stärken. Diese Signale müssen aus dem Westen
kommen und von einer Politik hinterlegt sein, die genau das
bekräftigt. Also darf man jetzt nicht wieder das
Assoziierungsabkommen mit der EU auf den Tisch packen, das eine
Quasi-Angliederung der Ukraine bedeuten würde.

Hat der Westen das Recht verwirkt, auf den Bruch von Völkerrecht
zu reagieren, weil er es im Kosovo ebenfalls brach?

Van Aken: Ich sage zwar gerne, wenn Wladimir Putin oder Barack
Obama noch einmal das Wort Völkerrecht in den Mund nehmen, möge ihnen
die Zunge abfallen, weil beide heuchlerisch das Völkerrecht nur so
benutzen, wie es ihnen gerade passt. Trotzdem sollten alle westlichen
Politiker das Völkerrecht als Maßstab nehmen. Insofern ist es
richtig, dass der Westen protestiert, aber er sollte es nicht zu laut
tun und vor allem in Zukunft selbst das Völkerrecht achten.

Sie sagten "genauso brutaler Völkerrechtsbruch". Kann man den
Hilferuf des gestürzten Janukowitsch an den Kreml mit dem der
verfolgten Kosovaren gleichsetzen?

Van Aken: Mit dem Völkerrechtsbruch meine ich in diesem
Zusammenhang die einseitige Abtrennung eines Landesteils, nicht den
Jugoslawienkrieg. Beim Kosovo hatte Serbien der Abtrennung nicht
zugestimmt, bei der Krim nicht die Ukraine.

Stört Sie, dass die Rechtspopulisten von der AfD ein ähnlich
großes Verständnis für Putin aufbringen wie die Linke? Van Aken: Tun
sie das? Ich denke, bei denen ist es eher wie bei der Tea Party in
den USA. Die ziehen sich auf die Haltung zurück, was stört mich der
Krieg, was stört mich das Leid anderer? Deutschland den Deutschen und
den Deutschen die D-Mark, ansonsten ist der AfD die Ukraine
wahrscheinlich vollkommen egal.

Wie wollen Sie dem potenziellen künftigen Koalitionspartner SPD
erklären, dass Sie Auslandseinsätze der Bundeswehr stets ablehnen,
einige ihrer Fraktionskollegen den russischen Einmarsch in die
Ukraine aber abgenickt haben?

Van Aken: Das ist nicht so. Niemand in unserer Fraktion hat etwas
in die Richtung geäußert, in die uns Grüne und SPD gerade drängen
wollen. Es gibt eine große Einigkeit in der Fraktion, dass die
Militärintervention Russlands völkerrechtswidrig war. Es ist ein
besonderer Mechanismus in der deutschen Parteien- und
Medienlandschaft, dass jeder, der einen verständnisvollen Satz über
Russland sagt, gleich zum Putin-Freund gestempelt wird. Aber davon
lasse ich mich nicht beeindrucken. Wir kritisieren sowohl Putin als
auch die NATO.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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