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Badische Zeitung: Wider den Tanz um das goldene Kalb / Die harte Kapitalismuskritik des Papstes kommt zur rechten Zeit - Gastbeitrag von Wolfgang Kessler

Geschrieben am 27-12-2013

Freiburg (ots) - Die harte Kritik von Papst Franziskus am
Kapitalismus hat viele Beobachter schockiert. Dabei kommt seine
Abrechnung gerade zur rechten Zeit. Denn die Kritik am globalen
Kapitalismus, die nach der Finanzkrise laut geworden war, ist längst
verstummt. Dafür blühen die Träume von hohen Renditen, steigenden
Vermögen und wachsenden Märkten wie in alten Tagen. Der Tanz um das
goldene Kalb ist wieder voll im Gange. Dennoch ist Franziskus von
einer platten Systemkritik weit entfernt, die da sagt: Weg mit dem
Kapitalismus - auf zum Kommunismus. Er urteilt nicht wie ein
Wirtschaftswissenschaftler darüber, ob der Markt oder ein Plan die
beste Möglichkeit ist, um Angebot und Nachfrage in Einklang zu
bringen. Der Papst kritisiert in seinem Rundschreiben "evangelii
gaudium" (Freude des Evangeliums) vielmehr die "Tyrannei des
vergötterten Marktes" und die Herrschaft des Geldes über den
Menschen. Der Tanz um das goldene Kalb entwerte die Beziehungen der
Menschen zueinander - und damit das menschliche Leben überhaupt.
Damit beschreibt der Argentinier Jorge Bergoglio, seit neun Monaten
Papst, in drastischen Worten die Folgen der wirtschaftspolitischen
Revolution, die die Welt seit 25 Jahren erlebt. Die Mehrheit in
Politik, Wirtschaft und Wissenschaft orientiert sich am
marktradikalen Denken. Danach ist der freie Markt effizienter als der
Staat; privat ist wirtschaftlicher als öffentlich; Gewinne schaffen
Arbeit, Löhne sind Kosten. Man müsse die fettesten Pferde füttern,
damit auch für die Spatzen mehr Pferdeäpfel abfallen, sagte die
frühere britische Premierministerin Thatcher. Diese Philosophie hat
die Welt revolutioniert. Herausgekommen ist ein globaler
Finanzkapitalismus, der fast alle Wirtschafts- und Lebensbereiche
einem harten Konkurrenzkampf unterwirft. Die Politik hat an Macht
verloren, weil ihre Kompetenzen an der Landesgrenze enden, während
die Wirtschaft diese Grenzen überspringt. Zugegeben, diese
Revolution hatte auch Vorteile. Sie hat in den "sozialen
Marktwirtschaften" das Bewusstsein dafür gestärkt, dass Leistungen
auch Kosten verursachen, dass staatliche Schulden später von jemandem
bezahlt werden müssen. Viele Menschen in den Schwellenländern haben
von dem globalen Kapitalismus profitiert. 500 Millionen Chinesen,
Inder, Indonesier oder Brasilianer bilden heute eine Art
Mittelschicht. Aber die sozialen, ökologischen und ethischen Kosten
dieser Entwicklung sind enorm hoch. Die 250 reichsten Menschen der
Welt besitzen so viel wie 48 Prozent der Menschheit. Eine Milliarde
Menschen lebt von weniger als 1,25 Dollar pro Tag. "Diese
Ausgeschlossenen sind nicht nur Ausgebeutete, sie werden behandelt
wie Müll", schreibt der Papst. Das Menschenbild hat sich verändert.
Gefragt ist der "homo oeconimicus", der nur tut, was ihm nutzt. Es
zählt nur noch, wer und was sich rechnet. In die Pflege, in die
Gesundheit, in Schulen, Universitäten, ja sogar in Beziehungen sind
betriebswirtschaftliche Kriterien eingezogen. Wer dabei nicht
mithalten kann, wird ausgegrenzt. Doch selbst viele, die gut
verdienen, fühlen sich als Getriebene einer Wirtschafts-Maschinerie,
die sie kaum mehr beeinflussen können. Kaputte Beziehungen,
entfremdete Kinder und psychische Probleme zeugen davon. Der
Beinahe-Bankencrash 2008 gab den Kritikern des Finanzkapitalismus
Recht und machte Hoffnung auf Veränderung. Plötzlich waren Regeln
für die Märkte gefragt, Regulierung wurde zum Zauberwort. Doch jetzt,
mehr als fünf Jahre nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers,
schwappt die Welle zurück. Zwar gelten nun einige neue Regeln, doch
die große Regulierung ist ausgeblieben. Die Spekulation geht weiter,
die Hedgefonds blühen. Flüchtlinge aus den armen Ländern sterben auf
dem Weg in die Wohlstandsländer. Die "Globalisierung der
Gleichgültigkeit", die der Papst geißelt, ist mit Händen zu greifen.
Als hätte es nie eine ökologische Diskussion gegeben, orientieren
sich die Regierungen der wichtigsten Länder wieder an Freihandel und
Wirtschaftswachstum - auf Kosten der Umwelt. In dieser Lage ist die
Kritik des Papstes nur zu berechtigt. Er spricht nicht als Ökonom
und hat kein alternatives Wirtschaftsprogramm. Aber er setzt klare
ethische Maßstäbe an jedes Wirtschaftssystem, egal, wie es heißt: Es
muss den Menschen dienen und nicht umgekehrt.

- Wolfgang Kessler ist Wirtschaftspublizist und Chefredakteur der
christlichen Zeitschrift Publik-Forum. Von ihm erschien gerade
das Buch "Zukunft statt Zocken. Gelebte Alternativen zu einer
entfesselten Wirtschaft".



Pressekontakt:
Badische Zeitung
Anselm Bußhoff
Telefon: 07 61 - 4 96-0
redaktion@badische-zeitung.de


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