(Registrieren)

BERLINER MORGENPOST: Ein langer Weg zur Demokratie Jacques Schuster über den Fall Ägypten und die Rechtfertigung von Empörung in der Politik

Geschrieben am 17-08-2013

Berlin (ots) - Um es gleich am Anfang zu sagen: Jeder Tote in
Ägypten ist einer zu viel. Die Gewalttaten in diesem Bürgerkrieg sind
eine Tragödie - ob es sich um ein Massaker an Muslimbrüdern handelt
oder um von Muslimen ermordete Christen, die ihre in Brand gesteckten
Kirchen retten wollten. Jeder darf darüber erbost sein und nach dem
Ende der Bluttaten rufen. Gilt das Recht auf Empörung auch für die
Politik? Jeder Politiker kann und soll menschliche Regungen zeigen -
einerseits. Andererseits ist es nie klug, sich den ersten
Gefühlsaufwallungen hinzugeben. Diplomaten regen sich nicht auf, sie
machen sich Notizen. Die Worte mögen kalt klingen, besonders wenn in
Kairos Straßen Schüsse fallen, doch sie sind das Ergebnis von
Erfahrungen. Freilich werden sie in jüngster Zeit immer häufiger
missachtet. Zum einen führt das "Fratzeschneiden im Spiegel der
öffentlichen Meinung" (George Kennan) dazu, dass die Außenpolitiker
aufflackernden Stimmungen folgen, nur um die Wähler zu befriedigen.
Zum anderen sind sie schnell bereit, die Werte und Regeln ihrer
Gesellschaft zu Naturgesetzen zu erheben, die in allen Ecken und
Enden der Welt gültig seien. Die Folge davon ist eine Phrasenpolitik,
die nichts enthüllt außer die eigene Unkenntnis und Hilflosigkeit.
Anders die europäischen Außenminister. Sie schicken sich an, die
ägyptische Armee zu verurteilen und die Hilfen für das bitterarme
Land einzustellen. Darüber hinaus fordern sie von allen Beteiligten,
einen Weg einzuschlagen, der in der Demokratie mündet. Schön wäre
das: ein Ägypten mit Ober- und Unterhaus im Stil der britischen
Demokratie. Oder darf es ein Präsidialsystem nach französischem
Vorbild sein? Die Frage mag man als Polemik werten oder auch nicht.
Zwei Wahrheiten und eine Lehre aber sollten bedacht werden, wenn es
um Ägypten geht. Zunächst die Tatsachen. Erstens: Es gibt keine
demokratische Bewegung in Ägypten. Zweitens: Es gibt nicht einmal
Liberale im klassischen Sinn. Sie aber sind die Stützen der
Demokratie. Zwei große Blöcke stehen sich feindselig gegenüber: die
Armee und die Muslimbrüder. Keiner von ihnen hat je an die Demokratie
geglaubt. Während die Generäle seit dem Sturz der Monarchie 1952 an
den Schalthebeln der Macht sitzen und dafür streiten, auch dort zu
bleiben, haben die Muslimbrüder unter dem frei gewählten Präsidenten
Mursi alles getan, Ägypten in einen Gottesstaat zu verwandeln. Wer
von beiden Lagern wird in dieser Situation ernsthaft für
demokratische Verhältnisse streiten? Vielleicht die kleine dritte
Gruppe, die sich liberal nennt? Vielleicht ist ein Bürgerkrieg
manchmal notwendig, um zu den richtigen Einsichten zu kommen. Ist der
Augsburger Religionsfrieden 1555 ohne die Kämpfe zwischen Katholiken
und Protestanten denkbar? Was wäre die britische Demokratie ohne die
"Glorious Revolution"? Was die Türkei ohne Atatürks brutalen Bruch
mit der Vergangenheit? Ob es gefällt oder nicht: In der Geschichte
ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten oft der Umweg.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

480378

weitere Artikel:
  • LVZ: Linkspartei will alle rot-rot-grünen Spekulationen für die Zeit nach der Bundestagswahl abwürgen: Riexinger nennt Vielzahl von Bedingungen Leipzig (ots) - Mit einem vielfältigen Katalog an Vorbedingungen hat Linksparteichef Bernd Riexinger Spekulationen über offene oder inoffizielle rot-rot-grüne Verabredungen für die Zeit nach der Bundestagswahl abgewürgt. Gegenüber der "Leipziger Volkszeitung" (Montag-Ausgabe) sagte Riexinger: "Mindestlohn, Mindestrente, Millionärssteuer, Ostrentenangleichung, keine Kriegseinsätze, das wollen wir. Wer das will, muss uns wählen, und wer im Bundestag unsere Stimmen will, muss das unterschreiben." Er warne davor, die Wahl auf einen mehr...

  • FREIE WÄHLER-Potenzial bei 22% laut ZDF-Politbarometer / Aiwanger: FREIE WÄHLER sind der politische Geheimtipp zur Bundestagswahl Berlin/Dresden (ots) - FREIE WÄHLER stehen für mehr Bürgerbeteiligung, sind gegen Konzernspenden an Parteien und gegen die Euro-Rettungsschirmpolitik. Der Bundesvorsitzende Hubert Aiwanger kommentiert das jüngste ZDF-Politbarometer: "Wir haben die richtigen Ideen und gute Leute. Die Wähler müssen uns nur noch besser kennenlernen. Daran arbeiten wir." Und weiter: "Noch haben wir nicht das große Medieninteresse bekommen. Aber auch daran arbeiten wir." Aiwanger räumt ebenfalls ein, dass die FREIEN WÄHLER nicht so viel Geld für mehr...

  • Kauder: Kopten waren noch nie so bedroht wie heute Berlin (ots) - In Ägypten ist es in den vergangenen Tagen zu massiven Übergriffen fanatischer Islamisten auf koptische Christen gekommen. Dazu erklärt der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder: "Die Situation der Christen in Ägypten bereitet uns große Sorgen. Noch nie in den vergangenen Jahrzehnten waren die Kopten so in ihrem Land bedroht wie heute. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion folgt mit Entsetzen den Berichten über die Übergriffe durch fanatische Islamisten. Gerade muslimisch geprägte Staaten sind nun mehr...

  • Aiwanger: "Geradezu lachhaft" München (ots) - Nachfolgend ein Statement von Hubert Aiwanger, Vorsitzender der FREIE WÄHLER-Landtagsfraktion, zur Meldung "Seehofer besteht auf Neuordnung des Länderfinanzausgleichs": Aiwanger: "Seehofer will für den Länderfinanzausgleich, für den er 2001 selbst gestimmt hat, nicht mehr verantwortlich sein und verweigert dafür die Unterschrift. Geradezu lachhaft." Pressekontakt: Dirk Oberjasper Pressesprecher / Leiter der Pressestelle FREIE WÄHLER Landtagsfraktion Maximilianeum, Max-Planck-Str. 1 81627 München mehr...

  • WAZ: NRW-Grünen-Chef wirft Gabriel in der Steuerdebatte "Zickzackkurs" vor Essen (ots) - Die Grünen gehen in der Steuerdebatte auf Konfrontationskurs zu SPD-Chef Sigmar Gabriel. "Fünf Wochen vor der Wahl schaltet Sigmar Gabriel auf die Garfield-Strategie um und stiftet Verwirrung. Ich bezweifle, dass ein Zickzackkurs in der Steuerpolitik Wähler überzeugt", sagte der Vorsitzende der NRW-Grünen, Sven Lehmann, der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ, Montagausgabe). Lehmann reagiert damit auf Äußerungen Gabriels, in denen er einen Kurswechsel in der Finanzpolitik andeutete. "Die Bekämpfung von Steuerbetrug mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht